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Gegen Arbeitszwang durch "Ein-Euro-Jobs"

Landesdelegiertenversammlung vom 16./17.11.2004

Letzte Aktualisierung: 20.11.2004

I.
Die GEW BERLIN lehnt es entschieden ab, Arbeitslose gegen eine bloße Aufwandsentschädigung zur Übernahme von Arbeit zu verpflichten.
Diese sog. "Arbeitsgelegenheiten", die das SGB II (Hartz IV) für Arbeitslose, die "Arbeitslosengeld II" beziehen, vorsieht, werden zu einer weiteren massiven Verdrängung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse führen und den seit Jahren ungebremst anhaltenden Abbau von regulären Arbeitsplätzen verschleiern und weiter fördern.

Diese Maßnahmen zielen darauf ab:

  • die öffentlichen und privaten Arbeitgeber weiter aus ihrer Verantwortung zur Schaffung von regulären Arbeitsplätzen zu entlassen und den Stellenabbau zu beschleunigen,
  • die politisch bewusst erzeugte Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte zu verschleiern und gesellschaftlich notwendige Arbeiten zum "Nulltarif" zu erledigen,
  • zusätzliche Möglichkeiten zu schaffen, die sozialen Leistungen gegenüber Arbeitslosen drastisch zu kürzen und Sanktionen zu verhängen,
  • die Arbeitslosenstatistik noch mehr als bisher zu verfälschen.

Einen Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit und zur Schaffung von Beschäftigung leisten diese Maßnahmen nicht.

Die GEW BERLIN verurteilt diese Politik als neue Form von Arbeitszwang und sieht darin einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Verbot von Zwangsarbeit (Art 12 Abs. 2 und 3 GG).

Die GEW BERLIN fordert alle Träger und Arbeitgeber auf, die Einrichtung solcher "Arbeitsgelegenheiten" zu unterlassen.

Die GEW BERLIN fordert die Personal und Betriebsräte auf, mit allen ihnen zur Verfügung stehenden rechtlichen Mitteln den Einsatz von Arbeitslosen mit Aufwandsentschädigung zu verhindern.

Die GEW BERLIN fordert den GEW-Hauptvorstand und den DGB Berlin-Brandenburg auf, die Betroffenen aktiv zu unterstützen und zu beraten sowie Klagen gegen den Zwang zur Aufnahme von Arbeit mit Aufwandsentschädigung zu führen. Parallel dazu ist eine Verfassungsbeschwerde anzustrengen.


II.
Die GEW BERLIN lehnt die Pläne des Bildungssenators ab, arbeitslose Lehrkräfte mit einer bloßen Aufwandsentschädigung für Sprachkurse heranzuziehen, die vom Staat angeboten werden müssen, um einen erfolgreichen Schulbesuch zu gewährleisten. Das ist aus Sicht der GEW BERLIN rechtswidrig, da es sich nicht um ergänzende bzw. zusätzliche Arbeitsfelder handelt. Derartige Maßnahmen werden zu einem gnadenlosen Verdrängungswettbewerb für qualifizierte Pädagogen und Pädagoginnen führen.
Die GEW BERLIN fordert den Bildungssenator auf, umgehend klar zu stellen, dass der Staat sich nicht auf diese Weise aus seinen Kernaufgaben, Kinder in ihrer Sprachentwicklung individuell so zu unterstützen, dass sie am Unterricht in einer Schule problemlos teilnehmen können, zurückziehen wird.

Die GEW BERLIN lehnt ebenfalls alle Pläne des Senats ab, andere in der Berliner Schule anfallende Arbeiten, z.B. in Schulsekretariaten, Bibliotheken oder im technischen Dienst, von Menschen erledigen zu lassen, die dafür einen Euro pro Stunde als Aufwandsentschädigung bekommen.

Die GEW BERLIN fordert Schulleiter/innen und Lehrkräfte auf, sich mit diesem Thema intensiv zu befassen und nicht zuzulassen, dass auf diese Weise jetzt all die Aufgaben erledigt werden, die der Gesetzgeber und der Senat von Berlin durch permanente Stellenstreichungen in den letzten Jahren für überflüssig erklärt hat.

III.
Die GEW BERLIN fordert vom Berliner Senat und den Arbeitsagenturen:

  1. Öffentlich geförderte Beschäftigung muss in sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen erfolgen und tariflich bzw. ortsüblich entlohnt werden! Dazu ist ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor aufzubauen, der insbesondere eine angemessene Kofinanzierung zu ABM und Eingliederungs- bzw. Lohnkostenzuschüssen vorsehen muss.
  2. "Arbeitsgelegenheiten" gegen Aufwandsentschädigung dürfen nur dort eingerichtet werden, wo in den letzten drei Jahren kein Abbau von Stellen bzw. Arbeitsplätzen erfolgt ist und keine sog. Personalüberhänge bestehen. Die Träger solcher Maßnahmen müssen verpflichtet werden, dies nachzuweisen und insbesondere darzulegen, dass die zu erledigenden Arbeiten zusätzlich sind. Die Zusätzlichkeit ist daran zu messen, dass diese Arbeiten nicht durch reguläre Beschäftigte erledigt werden können. Die fehlende Finanzierung ist kein Kriterium für Zusätzlichkeit! Die Träger müssen zudem nachweisen, dass sie während der Laufzeit dieser Maßnahmen keine Arbeitsplätze abbauen.
  3. Die Zusätzlichkeit ist von den Arbeitsagenturen bzw. Arbeitsgemeinschaften streng zu prüfen und gegenüber den jeweiligen Verwaltungsausschüssen der Arbeitsagenturen in jedem Einzelfall nachzuweisen.
  4. "Arbeitsgelegenheiten" gegen Aufwandsentschädigung sind auf maximal 10 % der insgesamt für öffentlich geförderte Beschäftigung zu Verfügung stehenden Mittel zu begrenzen.
  5. Arbeiten gegen Aufwandsentschädigung dürfen nur Arbeitslosen angeboten werden, die besonderer Hilfe und Unterstützung zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt benötigen, weil sie z.B. aus gesundheitlichen oder anderen Gründen seit mindestens drei Jahren keine Arbeit bekommen konnten. Die Träger bzw. Arbeitgeber müssen eine entsprechende Betreuung sicherstellen.
  6. Die Annahme von Arbeiten gegen Aufwandsentschädigung muss freiwillig sein. Die Zuweisung solcher Arbeiten muss an die bisherige berufliche Tätigkeit und Qualifikation anknüpfen. Die Träger müssen sich verpflichten, verbindlich Qualifizierungsmaßnahmen anzubieten.

IV.
Die Arbeitsagenturen sind zu verpflichten, in den Verwaltungsausschüssen regelmäßig Rechenschaft abzulegen über die Zahl der eingerichteten Arbeiten gegen Aufwandsentschädigung, die Prüfung der Zusätzlichkeit und die jeweiligen Träger dieser Maßnahmen.

Die GEW BERLIN fordert den DGB Berlin-Brandenburg auf, darauf zu drängen, dass in den Beiräten der neu zu bildenden Arbeitsgemeinschaften (ARGE) der sog. "Job-Center" paritätisch Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter beteiligt werden. Da die Entscheidungen über die Durchführung und Vergabe von Arbeiten gegen Aufwandsentschädigung ab 2005 vor Ort in den Beiräten der ARGE getroffen werden, kann nur durch eine entsprechende Beteiligung der Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen eine angemessene Kontrolle sichergestellt werden.