bbz 11 / 2017
Ab in die Schule
Schulen brauchen die Unterstützung geflüchteter Lehrkräfte für das Gelingen der inklusiven Bildung. Die Bildungsverwaltung muss ihnen endlich den Zugang zum Schuldienst öffnen.
Mit Beginn des Schuljahres 2017/18 erwartet die Schüler*innen und Lehrkräfte laut Tagespresse eine verheerende Situation an den Schulen. Dabei geht es nicht nur um den hinlänglich bekannten baulichen Verfall maroder Schulgebäude, sondern auch um eine Personalsituation, die sich offenbar nur mit so drastischen Schlagzeilen wie zum Beispiel »Das letzte Aufgebot« im Tagesspiegel charakterisieren lässt. Zu befürchten ist außerdem, dass sich dieser Personalnotstand auch in Folgejahren weiter verstärken wird.
Ignoriert und ausgeschlossen
Schulsenatorin Sandra Scheeres sieht das Positive. Immerhin sei es in Berlin im Gegensatz zu anderen Bundesländern gelungen, den Bedarf für das neue Schuljahr zu decken und es werde eifrig nach weiteren Möglichkeiten gesucht, um Nachwuchskräfte zu rekrutieren. Die Arme dieser Suche reichen bekanntermaßen bis ins Ausland. Doch halt! Gibt es da nicht im Inland noch eine Ressource für den Berliner Schuldienst, die bislang offenbar ignoriert und exkludiert wurde?
Viele geflüchtete Lehrkräfte mit langjähriger Unterrichtserfahrung im Herkunftsland haben bereits großes Engagement für eine berufliche Perspektive in Deutschland unter Beweis gestellt und scheuen nicht die Mühe einer umfassenden Qualifizierung für den Seiteneinstieg ins Berliner Lehramt. Seit mittlerweile zwei Jahren hoffen sie auf ihre Chance. Sie wollen endlich ihre oft jahrelange pädagogische Qualifikation und Lehrerfahrung an Schulen einbringen und eine berufliche Perspektive haben. Wer kann es ihnen verdenken? Sie sind hochgradig motiviert für Weiterbildung und fleißig dabei, Deutsch zu lernen. Viele haben bereits das Niveau B2 (siehe unten) nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen (GER) erreicht, manche haben sogar die große Hürde zu C1 geschafft, unter anderem auch mit Hilfe des Programms »Refugee Teachers Welcome« der Universität Potsdam. Ihre Qualifikation sollte auch der Bildungsverwaltung als »weitere Möglichkeit« willkommen sein.
Ihre Qualifizierung ist eine lohnende Investition
In ihrem Impulspapier sehen auch Ulrich Kober und Angela Müncher von der Bertelsmann Stiftung vielfältige Einsatzmöglichkeiten für geflüchtete Pädagog*innen. Fazit der von der Bertelsmann Stiftung in Auftrag gegebenen Machbarkeitsstudie: Die Kosten einer notwendigen vorbereitenden Qualifizierung geflüchteter Lehrkräfte seien eine lohnende Investition, da sie einen wertvollen Beitrag leisten könnten bei der Integration von geflüchteten Schüler*innen, zumal sie deren Herkunftssprache sprechen und selber über Migrations- und Integrationserfahrung verfügten, nicht nur im Unterricht, sondern auch im Kontext von Kooperation mit Eltern und im Bereich der Ganztagsangebote. Nicht zu vergessen ist auch die Umsetzung der Koalitionsvereinbarung hinsichtlich der Förderung von Mehrsprachigkeit und des herkunftssprachlichen Unterrichts, bei der geflüchtete Lehrkräfte mit ihren speziellen Potentialen die Expert*innenrolle einnehmen würden. Das versteht sich von selbst. Für die Finanzierung der Nachqualifizierung der vielen neuen Seiteneinsteiger*innen und sicherlich kostspieligen Werbekampagnen im Ausland stehen anscheinend ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung.
Deshalb sollte eine vorbereitende Qualifizierung von erfahrenen Lehrkräften, die sich bereits im Lande befinden, auch finanziell machbar sein, insbesondere bei sprudelnden Steuereinnahmen in Bund und Ländern. Wie auch immer ein geeignetes Programm aussehen könnte, so sollte das Konzept im Dialog mit diesen erfahrenen Lehrkräften und mit der Zielvorgabe entwickelt werden, letztendlich den Zugang zum regulären Lehramt im Berliner Schuldienst zu ermöglichen. Dabei wird es vonnöten sein, die mitgebrachte pädagogische Erfahrung als Qualifikationsbonus begünstigend in die Waagschale zu werfen und den formalen Zugang niedrigschwelliger zu gestalten, damit zum Beispiel Mathematiklehrer*innen und Schulleiter*innen aus Damaskus mit zehnjähriger Lehrerfahrung eine adäquate berufliche Eingliederung in einem vertretbaren Zeitfenster erlangen können. Ein erleichterter Zugang wird auch mit dem GEW-Beschluss »Mehr Pädagog*innen mit ›Migrationshintergrund‹ in Bildungseinrichtungen!« gefordert.
Universitäten geben wertvolle Impulse
Für den Erzieher*innenberuf gibt es solche Programme bereits. Flexibilität geht offenbar, wenn der Personalnotstand schon offiziell ausgerufen wurde. Da gibt es beispielsweise das Angebot der Gesellschaft für interkulturelle Zusammenarbeit, die seit dem Jahr 2014 in Kooperation mit der Anna-Freud-Schule und Unterstützung der Bildungsverwaltung eine verkürzte Erzieher*innenausbildung auf den Weg gebracht hat.
Zudem wurde gerade ein modellhafter, berufsbegleitender »Schulversuch« in Kooperation mit der Stiftung Sozialpädagogisches Institut Berlin »Walter May« (SPI) gestartet, der den Arbeitsmarktzugang für Geflüchtete erleichtert und sich ebenfalls insbesondere an Hochschulabsolvent*innen mit Migrationshintergrund wendet, deren im Herkunftsland erworbenes pädagogisches Studium in Deutschland nicht anerkannt wird. Oft hat dieser Personenkreis »nur« ein Fach und/oder »nur« den Bachelor-Abschluss. Das Projekt soll nach einem vorgeschalteten Sprachkurs, dessen Ziel das B2-Niveau ist, in drei Jahren zum*zur staatlich anerkannten Erzieher*in qualifizieren.
Desweiteren können verschiedene Programme an mehreren Universitäten, die geflüchtete Lehrkräfte an Schulen bringen wollen und über erste Erfahrungswerte verfügen, wertvolle Impulse geben. Die Initiator*innen dieser Programme und die daran Beteiligten verdienen gewiss jeden Respekt. Das oben erwähnte und über Brandenburg hinaus schon sehr bekannte Potsdamer Programm »Refugee Teachers Welcome« hat bereits mit dem zweiten Durchgang begonnen und erreicht, dass alle Teilnehmer*innen nach erfolgreicher Prüfung an einer Brandenburger Schule als zusätzliche »Assistenzlehrkräfte« zum Einsatz kommen werden. Sie müssen dafür das Sprachniveau C1 erreicht haben – eine bewundernswerte Leistung!
An der Universität Göttingen werden in einem Pilotprojekt speziell syrische Lehrkräfte für ein Qualifizierungsprogramm ausgewählt, das in vier Phasen zur Übernahme in den Schuldienst führen soll. Für diese Zielgruppe werden zunächst die spezifischen Bedarfe für ein Fort- und Weiterbildungsprogramm ermittelt. Davon könnte gewiss auch Berlin profitieren. Auch die Universität Bielefeld bietet in Kooperation mit dem Ministerium für Schule und der Landeskoordinierungsstelle der Kommunalen Integrationszentren Nordrhein-Westfalens ein Qualifizierungsprogramm namens »Lehrkräfte Plus« für zunächst 25 geflüchtete Lehrkräfte an, das von der Bertelsmann Stiftung unterstützt wird.
Selbstverständlich werden auch hier die Teilnehmer*innen für ihre berufliche Zukunft in Schulen auf das Sprachniveau C1 gebracht.
Der Handlungsbedarf wurde erkannt
Auch die Summer School Konferenz an der Uni Köln »Refugee Teachers. Potentials and Challenges for University Education«, die vom 25. bis 29. September 2017 stattfand, zeugt davon, dass sich auch an weiteren Universitäten in den verschiedenen Bundesländern etwas tut und der Handlungsbedarf erkannt ist. Das grundsätzliche Problem universitärer Initiativen besteht darin, dass sie für Einstellungen in den Schuldienst selbstverständlich auf die Unterstützung durch die Schulverwaltungen angewiesen sind. Diese Beispiele zeigen erfreulicherweise, dass auch das gelingen kann.
Die Integration geflüchteter Lehrkräfte in den Arbeitsmarkt Schule ist ein mühevoller und langer Weg.
Dies wurde unseren geflüchteten Kolleg*innen auf mehreren Peer-Up-Treffen der GEW BERLIN ehrlich vermittelt. Viele wären bereit, diesen Weg zu gehen. Es entspräche dem wechselseitigen Charakter von Integrationsprozessen, ihnen diesen Weg auch in Berlin zu eröffnen.
Niveau B2: Selbstständige Sprachverwendung
Niveau C1: Fachkundige Sprachkenntnisse