Kinder-, Jugendhilfe und Sozialarbeit
Adieu Mehringdamm
Sparmaßnahmen des Senats erschweren Eltern den Zugang zu Beratung.
bbz: Herr Haudel, können Sie sich unseren Leser*innen kurz vorstellen? Wer sind Sie und wo arbeiten Sie?
Thomas Haudel: Mein Name ist Thomas Haudel, ich arbeite als Psychologe in der Erziehungs- und Familienberatungsstelle Kreuzberg-Friedrichshain am Standort Mehringdamm und bin seit 1999 Mitglied der GEW.
Können Sie uns einen Einblick in Ihre Tätigkeit bei der Erziehungsberatungsstelle geben?
Haudel: Gerne. Ich arbeite dort als psychologischer Berater. Ich unterstütze mit meinen vier Kolleg*innen Eltern bei Erziehungsfragen, insbesondere wenn es um herausforderndes Verhalten ihrer Kinder geht. Ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit liegt auf der Beratung von Eltern bei Paarkonflikten und in Trennungssituationen. Dabei geht es oft um die Aufteilung der elterlichen Sorge nach der Trennung und die Bewältigung von Kommunikationsproblemen, die in solchen Situationen häufig auftreten.
Wie groß ist die Nachfrage nach Ihren Angeboten?
Haudel: Die Auslastung ist sehr hoch. Unser kostenloses Angebot wird stark in Anspruch genommen. Jährlich betreuen wir etwa 500 bis 600 Klient*innen. In unserer Statistik erfassen wir rund 320 Familien, zusätzlich berücksichtigen wir den jeweils anderen Elternteil.
Das klingt nach einer wichtigen Anlaufstelle für den Bezirk. Wie ist die Beratungsstelle strukturiert?
Haudel: In Kreuzberg-Friedrichshain sind wir mit drei Standorten – in der Adalbertstraße, in der Frankfurter Allee und am Mehringdamm – gut aufgestellt, was für Berlin nicht selbstverständlich ist. Diese Bürger*innennähe ist aus meiner Sicht sehr wichtig, da sie den Zugang zu unseren Angeboten erleichtert und lange Anfahrtswege vermeidet. Leider wurde uns im Januar mitgeteilt, dass unser Standort am Mehringdamm voraussichtlich ab Juni oder Juli dieses Jahres geschlossen wird.
Was sind die Gründe für diese Schließung?
Haudel: Der Hintergrund sind die Sparmaßnahmen des Senats. Es gibt eine Initiative zur Flächenoptimierung, die von der Senatsverwaltung für Finanzen ausgeht. Dabei wurde berechnet, wie viel Quadratmeter pro Mitarbeiter*in im öffentlichen Dienst als ökonomisch vertretbar gelten – 15 Quadratmeter für eine Fachkraft mit Klient*innenkontakt. Man hat die einzelnen Objekte analysiert und festgestellt, dass manche Behörden eine sehr hohe Quadratmeterzahl pro Mitarbeiter*in haben, andere weniger. Alle Bezirke wurden aufgefordert, diese Vorgaben umzusetzen. In unserem Fall am Mehringdamm ist die Quadratmeterzahl im Verhältnis zur Mitarbeiter*innenzahl und die Miete nach diesen Vorgaben zu hoch.
Wie gestaltet sich das Mietverhältnis für dieses Gebäude?
Haudel: Das Gebäude gehört dem Berliner Immobilienmanagement (BIM), einer landeseigenen Gesellschaft, die die Mietkosten festlegt. Die Miete am Standort Mehringdamm ist vergleichsweise hoch, was den Bezirk unter zusätzlichen finanziellen Druck setzt. Es gab Verhandlungen zwischen dem Jugendamt und der BIM, um die Miete zu senken. Allerdings war die BIM nicht bereit, die Kosten zu reduzieren. Dies zeigt, wie wirtschaftliche Zwänge direkte Auswirkungen auf soziale Angebote haben. Der Senat hätte auf die BIM Einfluss nehmen und einer Mietminderung zustimmen können. Das ist nicht geschehen.
Gab es Menschen, die sich in der Vergangenheit für den Erhalt des Standorts eingesetzt haben?
Haudel: Über die letzten Jahre haben sich viele Verantwortliche für den Erhalt des Standorts Mehringdamm engagiert, weil sie die große Bedeutung für die Bürger*innen, die gute Verkehrsanbindung und die Synergieeffekte mit dem Familienzentrum erkannt haben. Dazu gehörten die ehemalige Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann, die frühere Leiterin der Beratungsstelle Frau Ziermann und die ehemalige Standortkoordinatorin Frau Groß. Auch der jetzige Leiter Herr Issmail hat lange für den Standort gekämpft. Doch letztlich musste der Bezirk dem vom Senat vorgegebenen Kostendruck nachgeben.
Welche Konsequenzen hat das für Ihre Arbeit und die Bürger*innen?
Haudel: Für mich persönlich ist es ein Abschied von einem Arbeitsort, an dem ich seit 22 Jahren tätig bin und den ich sehr schätze. Es ist traurig, so einen Arbeitsort zu verlieren. Verglichen mit anderen Belastungen der Menschen in dieser Stadt sind aber für uns Mitarbeiter*innen die neuen Arbeitsbedingungen ertragbar, auch wenn wir enger zusammenrücken müssen. Wir werden auf die beiden verbleibenden Standorte verteilt. Für unsere Klient*innen bedeutet es einen großen Einschnitt. Eine vertraute Anlaufstelle für ihre Sorgen rund um die Kinder geht für immer verloren. Alle Eltern vom Sozialraum Tempelhofer Vorstadt müssen künftig längere Wege in Kauf nehmen und bis zur Adalbertstraße fahren, um eine Beratung zu bekommen. Das ist eine zusätzliche Belastung.
Die Erziehungsberatungsstelle am Mehringdamm war einst im ehemaligen »Haus der Familie«. Viele ältere Kreuzberger*innen werden sich erinnern. Was bleibt, wenn sie schließen muss?
Haudel: Ja, das »Haus der Familie« an unserem Standort hat eine lange und bedeutsame Vergangenheit. Der Bau wurde von der SPD unter der Leitung des damaligen Bezirksbürgermeisters Rudi Pietschker beschlossen und das Gebäude 1976 eingeweiht. Ursprünglich vereinte es ein Standesamt, ein Jugendamt, ein Familienzentrum, eine Kita und eine Erziehungsberatungsstelle unter einem Dach – ein äußerst fortschrittliches und bürger*innenfreundliches Konzept, das dem Namen »Haus der Familie« gerecht wurde. Im Laufe der Jahre hat das Gebäude jedoch immer mehr von seinem ursprünglichen Charakter verloren. Familienbezogene Einrichtungen wurden im Laufe der Jahre ausgelagert und nach unserem Auszug bleibt lediglich das Familienzentrum vom Verein Pestalozzi-Fröbel-Haus übrig.
Wie bewerten Sie die Sparmaßnahmen insgesamt?
Haudel: Es ist wichtig, verantwortungsvoll mit öffentlichen Geldern umzugehen. Aber die aktuellen Sparmaßnahmen des CDU/SPD-geführten Senates treffen vor allem die Mittelschicht und Bürger*innen mit geringem Einkommen. Die Wohlhabenden werden kaum belastet. Es gibt seit Jahren keine Vermögenssteuer und große Unternehmen werden auch in Berlin steuerlich geschont. Ich halte das für ein politisches Fehlverhalten, insbesondere von der CDU. Sie blockiert solche Maßnahmen in Berlin und im Bund, während die finanzielle Last des Sparens auf die breite Bevölkerung abgewälzt wird – anstatt das Geld dort zu holen, wo es reichlich vorhanden ist.
Es gibt viel Kritik an der derzeitigen Umsetzung von Sparmaßnahmen. Was sagen Expert*innen dazu?
Haudel: Unser GEW BERLIN-Vorsitzender Gökhan Akgün hat in der bbz vom November 2024 dargelegt, wie viel Geld Berlin entgeht, weil Großunternehmen nicht gründlich geprüft werden. Es sind 1,4 Milliarden Euro. Es gibt also ein großes Potenzial, öffentliche Gelder dort einzufordern, wo ausreichend Ressourcen vorhanden sind.
Was kann getan werden, um die Schließung des Standorts doch noch abzuwenden und welche Hebel gibt es, um langfristig den Wert solcher Einrichtungen für die Berliner Bevölkerung zu sichern?
Haudel: Die jetzt beschlossene Schließung lässt sich kaum verhindern, es sei denn, es käme zu massiven Bürger*innenprotesten, was jedoch kaum zu erwarten ist. Um weitere Standortschließungen sozialer Einrichtungen mittelfristig zu verhindern, braucht es eine Neubewertung der Sparvorgaben durch den Senat, die den Fokus auf soziale Auswirkungen der Sparmaßnahmen legt. Langfristig müssen wir als GEW im Dialog mit dem Senat die Bedeutung der Standorterhaltung bei sozialen Einrichtungen hervorheben und kreative Lösungen suchen, um den Zugang zu wohnortnahen Beratungsangeboten zu sichern. Entscheidend ist außerdem, dass wir die Bürger*innen informieren und aktivieren, damit sie für ihre Rechte eintreten und gemeinsam mit uns für den Erhalt wichtiger sozialer Infrastruktur kämpfen.