Schwerpunkt „Risse in der Hochschulfassade“
Akademischer Diebstahl bleibt ungestraft
Manche Professor*innen bereichern sich vorsätzlich am geistigen Eigentum ihrer Doktorand*innen. Dagegen Widerstand zu leisten, bedeutet häufig auch, sich aus der Wissenschaft zu verabschieden, wie in dem folgenden Fall deutlich wird.
Während meines Promotionsstudiums hatte ich nicht das Gefühl, dass es zwischen mir und meinem Erstgutachter ein Machtverhältnis zu meinen Ungunsten gab. Ich war durch einen Teilzeitjob und ein Stipendium finanziell von der Universität unabhängig und die Betreuungstreffen waren zwar selten, doch das kam meiner Art zu arbeiten eher entgegen. Sie waren freundlich – sogar freundschaftlich – und ermutigend. Inhaltlich profitierte ich vom Feedback des Professors, wenngleich er in meinem thematischen Unterbereich nicht Experte war.
Plagiat mit Vorsatz
Nach der Verteidigung meiner Dissertation bekam ich zufällig einen noch nicht veröffentlichten Artikel in die Hände, den er als alleiniger Autor zu meinem Dissertationsthema geschrieben hatte. Der Artikel war mit bekannten Professor*innen geteilt und diskutiert worden. Ich war zunächst überrascht, dass er diese Arbeit nicht mit mir besprochen hatte – ich wäre gerne bereit gewesen, einen Beitrag zu leisten. Beim Lesen merkte ich schnell, dass der Text voller Copy-Paste-Stellen aus meiner Doktorarbeit war. Es handelte sich um ganze Argumente, Ideen, Quellen, Fußnoten. Manches war auch etwas umformuliert worden. Meine Arbeit wurde mit keinem Wort und keiner Fußnote erwähnt. Der Vorsatz war im Text klar erkennbar – mich überraschte nur, dass er sich nicht mehr Mühe gegeben hatte, die Spuren zu verwischen.
Ich war verletzt und erschüttert. Ich fragte Menschen in meinem Umfeld, was ich tun solle, und bekam von Kolleg*innen aus der Wissenschaft ausnahmslos den dringenden Rat, mich auf keinen Fall zu wehren. Die Wissenschaft sei ein feudales System, ich würde einen Ruf als »schwierig« bekommen und nicht mehr für Stellen in Betracht gezogen, und für Professor*innen gäbe es ohnehin keine Konsequenzen aus Plagiatsverfahren. Einige Kolleg*innen deuteten an, sie hätten Ähnliches über diesen Professor schon gehört, auch von anderem Fehlverhalten war die Rede.
Zu diesem Zeitpunkt haderte ich schon aus den oben genannten Gründen mit der Wissenschaft als zukünftiger Karriereoption. Ich komme aus einer Familie, in der beide Elternteile studiert haben und habe daher das Privileg, nicht ganz so ungebrochen respektvoll auf die Uniwelt zu blicken wie andere, von denen ich weiß, wie verunsichernd dieses Umfeld mit seinen vielen ungeschriebenen Regeln ist.
Fehlverhalten ohne Konsequenzen
Freund*innen, die außerhalb der Wissenschaft arbeiten, bestärkten mich im Gefühl, dass ich dieses Unrecht nicht auf mir sitzen lassen sollte. Ich wollte den Professor aber nicht ins offene Messer laufen lassen, indem ich entweder die Textstellen öffentlich mache, oder aber ihn erst anzeige, wenn der Artikel in einer Fachzeitschrift erschienen sein würde. Für das direkte Gespräch schien mir meine Position zu verletzlich und auch die Aussicht zu wahrscheinlich, dass das Thema unter den Teppich gekehrt würde. Ich wandte mich letztlich an die Ombudsstelle für gute wissenschaftliche Praxis des Fachbereichs.
Meine Erfahrung damit zeigt, an welchen Stellen das bestehende System strukturell krankt und warum es nachvollziehbar ist, dass viele Promovierende sich bei Fehlverhalten ihrer Vorgesetzten – egal welcher Art – nicht zur Wehr setzen. Die Ombudsperson des Fachbereichs an meiner Universität, auch eine Professor*in, war sehr freundlich und nahm mein Anliegen ernst. Nach einem Gespräch, in dem ich das Material zeigte und um eine Einschätzung bat, empfahl die Person mir, eine Mail an den Professor zu schicken, den Fall zu schildern und um ein Gespräch zu dritt zu bitten. Arbeitsrechtlich, wissenschaftlich oder disziplinarisch habe solches Fehlverhalten keine Konsequenzen, erfuhr ich, allenfalls bei erneutem Vergehen oder nicht näher definierten »schlimmeren Verfehlungen«. Bei Studierenden, die in Hausarbeiten abschreiben oder nicht zitieren, fallen die Konsequenzen oft härter aus, auch beim ersten Mal.
Opfer zahlen einen hohen Preis
Es folgte dann ein Gespräch zu dritt, in dem das Thema aus meiner Sicht gut besprochen wurde. Ich hatte neben einer Entschuldigung des Professors die Gelegenheit, zu sagen, dass ich mich nur wehren konnte, weil ich nicht mehr in der Wissenschaft bleiben wolle. Auf die Frage, ob meine negative Erfahrung zu dieser Tatsache beigetragen habe, antwortete ich mit »Ja«. Auch, dass ich meine Dissertation auf die schnellstmögliche Weise digital und nicht prestigeträchtig in Buchform veröffentlicht hatte, um mein geistiges Eigentum als solches unmissverständlich öffentlich zu machen, erwähnte ich. Ich sagte noch, dass ich fürchte, dass das Treffen für mich dennoch negative Konsequenzen haben könne, wie den Ausschluss aus dem akademischen Netzwerk.
Das Treffen endete mit einer kurzen Besprechung zwischen mir und der Ombudsperson, nachdem der Professor grußlos den Raum verlassen hatte. Meine Frage, ob dieser Fall in irgendeine Statistik aufgenommen oder der Name des Professors vermerkt würde, wurde verneint. Wie bereits von mir befürchtet, gab es seither keinen nennenswerten Kontakt mehr zwischen dem Professor und mir.
Ich verstehe alle, die in meiner Situation einfach stillgehalten hätten. Wäre ich noch an der Uni, hätte ich vermutlich dasselbe getan. Zu sehr wäre ich auf die Gunst des Professors angewiesen gewesen, zu viel Angst hätte ich vor der Voreingenommenheit der Ombudsperson als möglicherweise enger Kolleg*in des Professors gehabt. So gab es zwar ein klärendes Gespräch, in dem entschieden wurde, dass der Artikel in dieser Form nicht erscheinen darf. Doch die Konsequenzen habe nur ich getragen: die viele Zeit für die Dokumentation, das Kenntlichmachen der Plagiate und die Mediation, den Verlust des Kontakts zum Professor als einer wichtigen Person und potenziellen Referenz.
Täter*innen haben nichts zu fürchten
Die strukturellen Probleme bleiben: Es gibt an der Uni keine Daten darüber, wie oft Ombudspersonen kontaktiert werden und aus welchen Anlässen, wie sich diese Zahlen entwickeln, und ob bestimmte Personen mehrfach in Erscheinung treten. Sollte ein zweiter Fall mit demselben Professor etwa an einer anderen Ombudsstelle gemeldet werden, wüsste niemand, dass es bereits einen Erstfall gab (falls meine Meldung überhaupt die erste war).
Ein Fall wie meiner ist weder selten noch extrem. Kolleg*innen, denen ich von meiner Erfahrung erzählt habe, haben mir Erschreckendes anvertraut. Die Beziehung zwischen Doktorand*in und Professor*in ist von Asymmetrie geprägt und leistet damit Missbrauch verschiedener Art Vorschub. Offenbar war mein Erstgutachter sich absolut sicher, dass ihm nichts passieren würde, da ich in jedem Fall früher oder später von dem Artikel erfahren hätte. Obwohl ich ihn meldete, ist klar: Zumindest meine Uni verschleiert diese Fälle und schützt Täter*innen bewusst.
Dieser Artikel wurde zum Schutz der Beteiligten anonym veröffentlicht.