Schwerpunkt "Demokratie macht Schule"
Aktiv für Kinder- und Jugendbeteiligung
Wie können wir gemeinsam Kinder und Jugendliche besser in für sie relevante Prozesse einbinden und für Beteiligung motivieren? Das Projekt »Drehscheibe Kinder- und Jugendpolitik Berlin« hat Antworten.
Es ist 8:30 Uhr, langsam füllt sich der Seminarraum mit Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 16 Jahren. 45 junge Menschen sind neugierig, welche Erkenntnisse eine Befragung ihrer Altersgruppe an den Schulen und Jugendfreizeiteinrichtungen in Reinickendorf Nord gebracht hat. Dort sollte eine Jugendfreizeiteinrichtung renoviert und umgestaltet werden. Damit diese auch von jungen Menschen angenommen wird, sollte sie nach den Wünschen der Kinder und Jugendlichen ausgerichtet werden – sowohl in der räumlichen wie auch in der inhaltlichen Gestaltung.
Den Beratungsprozess gestalten
Durchgeführt wurde die Befragung mittels eines Fragebogens, den zwei Sozialraumkoordinator*innen und ein Jugendhilfeplaner des Bezirksamtes Reinickendorf mit Unterstützung der Drehscheibe Kinder- und Jugendpolitik Berlin entwickelt haben. Der Befragung war ein umfangreicher Beratungsprozess durch die Drehscheibe vorausgegangen.
Im Beratungsprozess wurde deutlich, dass ein Beteiligungsprojekt ausschließlich zur Gestaltung der Jugendfreizeiteinrichtung nicht reichen würde. Notwendig war eine umfängliche Befragung darüber, was Kinder und Jugendliche im Bezirk Reinickendorf Nord wollen. Wer nutzt die Einrichtungen – und welche Angebote sind gewünscht?
Die Drehschreibe unterstützte dabei, zu definieren, welche Parteien in den Prozess mit eingebunden werden müssen: Fachkräfte sowohl in der Verwaltung als auch in den einzelnen Jugendfreizeiteinrichtungen sowie Schulsozialstationen, Lehrer*innen und Politiker*innen, insbesondere der Stadtrat für Jugend – und dann natürlich die Jugendlichen selbst. Durchgeführt wurde dann ein Fachtag für Fachkräfte der Jugendarbeit an Schulen und in Jugendfreizeiteinrichtungen, um das Thema Beteiligung im Bezirk und die Weiterentwicklung des konkreten Projekts vorzustellen.
Nach der Auswertung des Fachtags wurde der Fragenkatalog entwickelt. Dieser wurde an alle Sekundarschulen und Gymnasien in der Region Nord verteilt. Der Rücklauf war überraschend hoch. Es wurden über 1.500 Fragebögen ausgefüllt und zurückgegeben. Die Sozialraumkoordinator*innen und der Jugendhilfeplaner werteten sie aus. Die Ergebnisse wurden auf einem eigenen Fachtag für Kinder und Jugendliche vorgestellt. Diese bearbeiteten in Kleingruppen die Ergebnisse weiter und entwickelten dabei konkrete Vorschläge für die neugestaltete Jugendfreizeiteinrichtung sowie konkrete Wünsche für die Region Reinickendorf Nord. Diese wurden in einen so genannten Gallery-Walk dem damaligen Stadtrat für Jugend vorgestellt. Im anschließenden Gespräch mit den Jugendlichen erläuterte der Stadtrat, welche Ideen der jungen Menschen er umsetzen kann und wo er Hindernisse für eine Umsetzung sieht. Er sagte den Jugendlichen zu, mit ihnen in Kontakt zu bleiben und sie über die Fortschritte zu informieren.
Das oben beschriebene Szenario fasst einen rund einjährigen Beratungs- und Begleitprozess der Drehscheibe zusammen und bildet einen wesentlichen Kern der Arbeit des Projekts. Träger der Drehscheibe ist die Stiftung Sozialpädagogisches Institut Berlin »Walter May« (Stiftung SPI). Finanziert wird die Drehscheibe zu hundert Prozent aus Mitteln des Landes Berlin. Im Auftrag der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie übernimmt sie die Aufgabe einer Landeskoordinierungsstelle für Kinder- und Jugendbeteiligung. Dafür stehen insgesamt 60 Fachstunden pro Woche, die auf zwei Kolleg*innen aufgeteilt sind, zur Verfügung. Der primäre Auftrag besteht darin, Bezirke dabeizu unterstützen, verlässliche Strukturen für Kinder- und Jugendbeteiligung auf- beziehungsweise auszubauen. Die Zielgruppen sind in erster Linie Fachkräfte in den Bezirksämtern und Einrichtungen vor Ort sowie Bezirkspolitiker*innen, die für die Bereiche Jugend Verantwortung tragen. Nicht immer ist eine Begleitung eines Bezirks so intensiv gestaltet wie zuletzt in Reinickendorf. Aber allen gemeinsam ist die stets parteiliche Arbeit für die Belange junger Menschen.
Ohne Mitstreiter*innen geht es nicht
Auch wenn das Thema Beteiligung/Partizipation seit längerem an Bedeutung gewinnt, braucht es viele Mitstreiter*innen, damit verlässliche Beteiligungsstrukturen in den Berliner Bezirken wachsen. Das Beispiel aus Reinickendorf zeigt sehr gut, wie viele Parteien dazu beitragen – und tatsächlich kommt es auf jede*n Einzelne*n an. Deshalb vernetzt die Drehscheibe die Fachkräfte, die zum Thema Beteiligung und Partizipation in den Bezirken arbeiten. Mitglieder des Netzwerkes sind Kinder- und Jugendbeteiligungsbüros, Kinder- und Jugendbeauftragte, Mitarbeitende der Kinder- und Jugendparlamente, bezirkliche Beteiligungskoordinator*innen und außer der Drehscheibe weitere Landesinstitutionen. Gemeinsam tauscht sich das Netzwerk zu Entwicklungen in den Bezirken aus, formuliert Qualitätskriterien für gelingende Beteiligungsstrukturen und entwickelt Öffentlichkeitskampagnen.
Die Beteiligungsstrukturen in Berlin entwickelten sich langsam, aber stetig. Mit der Novellierung des Jugendwohlfahrtsgesetzes zum Kinder- und Jugendhilfegesetz 1991 und mit der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention durch Deutschland erhielten junge Menschen in den Berliner Bezirken zunehmend Beteiligungsrechte. Damit die Bezirke Anreize hatten, Beteiligungsstrukturen zu etablieren, kooperierte die Drehscheibe mit unterschiedlichen Institutionen, wie zum Beispiel mit der Jugend- und Familienstiftung des Landes Berlin oder der Kreuzberger Kinderstiftung. Mit den aufgelegten Förderprogrammen konnten Kinder- und Jugendbüros an den Start gehen. Mit dem seit dem Jahr 2014 aufgelegten Jugenddemokratiefonds »stark gemacht« des Landes Berlin werden Projekte unterschiedlichster Art von und für Kinder und Jugendliche sowohl in den Bezirken als auch für das Land Berlin zum Thema Beteiligung gefördert. Die Drehscheibe übernimmt hierbei die Betreuung der Einrichtungen, die im jeweiligen Bezirk Kinder- und Jugendjurys ausrichten und die entsprechende Förderung aus dem Jugenddemokratiefonds erhalten.
Beteiligung zwölf Mal anders
Da die Berliner Bezirke eigens verfasste Kommunen sind, sehen die jeweiligen Beteiligungsstrukturen für Kinder und Jugendliche recht unterschiedlich aus. Mit dem neuen Berliner Jugendförder- und Beteiligungsgesetz, das im Januar 2020 in Kraft getreten ist, sind die Bezirke nun dazu angehalten, jeweils eine Beteiligungskoordination einzurichten und müssen alle vier Jahre einen Jugendförderplan unter Beteiligung von Kindern und Jugendlichen aufstellen. Das soll in Kooperation mit den bereits bezirklich etablierten Strukturen der Kinder- und Jugendbeteiligung geschehen. Dadurch hofft das Land Berlin, vielen junge Menschen mehr Einfluss im Bezirk zu ermöglichen.
Wo fangen Beteiligung, Partizipation, Teilhabe an, wo hören sie auf?
Mit dieser Frage ist die Drehscheibe ständig beschäftigt. Wenn ihr einen Beteiligungsprozess mit jungen Menschen starten wollt, meldet euch bei der Drehscheibe. Wo sie können, unterstützen die Mitarbeiter*innen euch oder bringen euch mit den richtigen Partner*innen zusammen. www.mitbestimmen-in-berlin.de