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Anerkennung förderlicher Zeiten

Auch für angestellte Lehrkräfte mit voller Laufbahnbefähigung?

Was ist bisher passiert und wer sollte jetzt aktiv werden? Wir bringen euch auf den aktuellsten Stand.

Foto: unsplash.com

Bei der Einstellung werden Tarifbeschäftigte der Stufe 1 ihrer Entgeltgruppe zugeordnet, wenn sie nicht über einschlägige Berufserfahrung oder für die Tätigkeit förderliche Zeiten verfügen. Das Land Berlin erkennt Lehrkräften ohne volle Laufbahnbefähigung aufgrund der „Grundsätze zur Anerkennung förderlicher Zeiten nach § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L“ vom 31. März 2015 förderliche Zeiten im Umfang von höchstens 10 Jahren für die Stufenzuordnung an. Das geschieht aber nur, wenn die Schulleiter*in vor Vertragsunterzeichnung auf dem Laufzettel 610 bestätigt hat, dass die Anerkennung der Zeiten aus Gründen der Personalgewinnung erforderlich war.

Die Anwendung der oben genannten Verwaltungsvorschrift, die grundsätzlich auch auf voll ausgebildete Lehrkräfte, sogenannte Erfüller*innen, angewendet werden kann, wurde von der Senatsverwaltung für die Lehrkräfte mit voller Laufbahnbefähigung ausgesetzt, solange diese die Zulage in Höhe der Differenz zwischen ihrer individuellen Stufe und der Stufe 5 erhalten.

Die Verwaltungsvorschrift spielte für die Erfüller*innen ursprünglich keine große Rolle, da die Stufe 5 gleichzeitig die Endstufe war. Schließlich war es egal, ob ein Teil des gezahlten Entgeltes Zulage heißt, wenn die Entgelthöhe in der Summe dieselbe ist.

Die Situation hat sich 2018 mit der Einführung der Stufe 6 auch für Tarifbeschäftigte der Entgeltgruppen 9 bis 15 geändert. Mit Schreiben vom 27. Juli 2017 forderte die Senatsverwaltung zunächst die Lehrkräfte mit voller Laufbahnbefähigung auf, die förderlichen Vorbeschäftigungen mitzuteilen und die Nachweise sowie die Bestätigung der Schulleiter*in (Laufzettel 610) einzureichen, damit über Beginn und Ablauf der Stufenlaufzeit zur Stufe 6 neu entschieden werden könne.

Der Aufforderung der Senatsverwaltung sind damals viele Lehrkräfte mit voller Laufbahnbefähigung hoffnungsvoll nachgekommen. Nachdem fast 2 Jahre nichts passierte, erhielten die Kolleg*innen dann ein Schreiben der Senatsverwaltung. In diesem wurde ihnen mitgeteilt, dass das Schreiben vom Juli 2017 auf einer fehlerhaften Rechtsauffassung beruht habe. Das Vorliegen förderlicher Zeiten wurde nicht geprüft.

Gegen die Nichtanerkennung förderlicher Zeiten haben mehrere betroffene GEW-Mitglieder Klage beim Arbeitsgericht erhoben. Diese Klagen wurden zunächst abgewiesen, so wie auch die Berufungen beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg. Die Revision wurde nicht zugelassen. Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im „Musterverfahren“ wurde vom 5. Senat des Bundesarbeitsgerichts zurückgewiesen. Damit schienen alle Messen gesungen.

Überraschenderweise hat dann derselbe Senat des Bundesarbeitsgerichts in einem anderen Fall am 13. Juli 2022 – 5 AZR 412/21 – entschieden, dass das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 15. Juni 2021 aufgehoben und die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen wird, siehe https://www.bundesarbeitsgericht.de/wp-content/uploads/2022/09/5-AZR-412-21.pdf.

Das Bundesarbeitsgericht hat beanstandet, dass das Land Berlin sein Ermessen gemäß § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L bezüglich der Anerkennung förderlicher Zeiten zum 1. August 2021 nicht ausgeübt und keine Entscheidung über die förderlichen Zeiten zu dem Zeitpunkt getroffen hatte, zu dem die Klägerin die Stufe 5 regulär erreichte. Das Landesarbeitsgericht hätte daher prüfen müssen, ob das beklagte Land aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null die Klägerin ab diesem Zeitpunkt der Stufe 6 zuzuordnen hatte. Eine solche Prüfung hatte das Landesarbeitsgericht nicht vorgenommen, worin nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts ein Rechtsfehler bei der Beurteilung der Klage für die Zeit seit dem 1. August 2021 bestand.

Mit dieser Begründung hat das Bundesarbeitsgericht gleichzeitig die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts bestätigt, soweit es die Prüfung der förderlichen Zeiten vor Erreichen der Stufe 5 abgelehnt hatte.

Zunächst ist klar, dass eine endgültige Entscheidung über die Zahlung des Entgeltes aus der Stufe 6 in dem vorgenannten Fall noch nicht vorliegt. Diese wird das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg treffen müssen. Es wird „Feststellungen zu treffen haben, ob die Zeiten der vorherigen Berufstätigkeit der Klägerin als förderlich im Sinne von § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L unter Berücksichtigung der Verwaltungsvorschrift anzuerkennen sind. Es wird unter Berücksichtigung des zu erwartenden weiteren Vortrags der Parteien auch zu prüfen haben, ob die Klägerin dargelegt hat, dass dem beklagten Land bei seiner Entscheidung über die Berücksichtigung förderlicher Beschäftigungszeiten kein Ermessensspielraum geblieben ist, oder ob es sich in anderer Weise in Bezug auf die Gewährung der Stufe 6 selbst gebunden hat“.

Wie diese Feststellungen aussehen werden, kann man nicht vorhersagen.

Kolleg*innen, die

  • bereits bei Einstellung als angestellte Lehrkräfte eine volle Laufbahnbefähigung hatten und

  • die vor ihrer Einstellung unter fachlich und/oder pädagogischen Gesichtspunkten förderliche Zeiten nachweisen konnten und

  • die inzwischen, nach insgesamt 10 Jahren, die Stufe 5 erreicht haben (Stufe steht rechts oben auf jedem Entgeltnachweis) und

  • denen von der Schulleiter*in auf dem Laufzettel 610 aus Gründen der Personalgewinnung die Anerkennung förderlicher Zeiten betätigt wurden,

sollten schriftlich und nachweisbar die Personalstelle um Entscheidung über ihre förderlichen Zeiten bitten und mit demselben Schreiben vorsorglich den Anspruch auf Zahlung des Tabellenentgeltes aus der Stufe 6 ihrer Entgeltgruppe geltend machen:

„... ich bitte um Feststellung meiner förderlichen Zeiten und mache hiermit vorsorglich den Anspruch auf Zahlung des Tabellenentgeltes aus der Entgeltgruppe ... für die Zeit seit dem ... geltend. Die Nachweise und der Laufzettel 610 liegen Ihnen vor/füge ich bei. Bitte berechnen Sie mein Tabellenentgelt entsprechend neu und überweisen Sie die Differenzbeträge auf mein Konto. ...“

Die schriftliche Geltendmachung von Zahlungsansprüchen ist gemäß § 37 Abs. 1 TV-L für höchstens sechs Monate rückwirkend möglich.

Weitere Informationen folgen, sobald das Urteil des Landesarbeitsgerichts vorliegt.

Achtung: Ab 2023, d. h. ab Streichung der außertariflichen Zulage für neu eingestellte Erfüller*innen, sollten Schulleiter*innen die förderlichen Zeiten bei angestellten Lehrkräften mit und ohne volle Laufbahnbefähigung immer prüfen und gegebenenfalls vor Vertragsunterzeichnung auf dem Laufzettel 610 bestätigen.