bbz 10 / 2017
Anmärkungän zur Gäschlächterschraibwaise
Von Lehrer über Lehrer/-in und LehrerIn zur Lehrer*in. Die aktuelle Schreibweise der bbz bewegt die Gemüter. Sie ist bisweilen mühsam, aber sie stellt eine Positionierung dar.
Für die einen ist es die jeweils neueste sprachpolizeiliche Sau, die durchs Dorf getrieben wird – für die anderen Maßstab für die Durchsetzungskraft politisch-emanzipatorischer Geschlechterpolitik. Ich will im Folgenden eine medientheoretische Argumentation einführen und so, um es vorweg zu nehmen, die aktuelle Positionierung der bbz-Redaktion stützen. Doch zunächst zu den bisherigen Argumenten:
Die Position den gendergap (Erzieher_in) oder das Sternchen (Wissenschaftler*in) zu benutzen, folgt einer klassischen feministischen Analyse. In patriarchalen Systemen ist die Sichtbarkeit der unterdrückten Position – beispielsweise der Frauen – eingeschränkt. Und wenn die weibliche Position sichtbar ist, dann nicht autonom, sondern abhängig vom männlichen System: als Anhängsel. Die grammatisch männliche Form, die Frauen mit einschließt, wird als Blendwerk patriarchaler Macht interpretiert.
Um dies zu ändern soll aus einer politischen Perspektive Sichtbarkeit auf allen Ebenen hergestellt werden, also auch auf der Ebene der Sprache. Dies führt zur expliziten Nennung, zu Beginn in Form von »Lehrer und Lehrerinnen«, oft auch als Schrägstrich: »Lehrer/-innen«. Der Schrägstrich wurde irgendwann Anfang der 1980er politisiert und aufrecht gestellt. Das »große I« also ein absichtlicher »Fehler«, der den des patriarchalen Systems sichtbar macht.
Die Sichtbarmachung des Weiblichen durch explizite Benennung oder das große »I« wurde im Zuge der queerness-Debatte seit den 1990er Jahren als Unsichtbarmachung von Positionen kritisiert, die sich nicht einem der beiden genannten Geschlechter (Frau und Mann) zuordnen lassen wollen. In dieser Logik der Sichtbarmachung durch grammatische Fehler wurde das große »I« also zunächst zum gap und dann aktuell zum Sternchen.
Problem gelöst? Nein. Jede Schreibweise diskriminiert irgendeine Gruppe. Aber jede Gruppe hat berechtigte Interessen, in einer Schreibweise aufzutauchen. Es gibt also keine Lösung für das Problem.
Damit wäre ich bei der zweiten Position, die meist mehr oder weniger so formuliert wird: »Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit die grammatisch maskuline Form für Personengruppen verwendet, alle Geschlechter sind jedoch mitgemeint«. Damit soll signalisiert werden, dass das Problem bekannt ist und dass man sich gegen Diskriminierungen politisch bekennt, aber, das ist hier entscheidend, einen Zusammenhang zwischen Schriftform und »Realität« abstreitet.
»Haben die denn nichts Besseres zu tun?«
Eine dritte Position setzt auch auf den Unterschied zwischen Realität und Sprache. Sprache wird aber in ihrer Bedeutung abgewertet. Gerade weil man sich mit der realen Unterdrückung beispielsweise der Frauen beschäftigen müsse, sei die Auseinandersetzung um Sprache doch Kleinkram. »Haben die denn nichts Besseres zu tun, als sich um Wörter zu streiten?« heißt es, oder »Ihr ändert doch nichts an der patriarchalen Realität, wenn ihr nur autoritär über bestimmte Formeln wacht«.
Exemplarisch findet sich diese Position im Leserbrief des Kollegen Wolfgang Harnischfeger in der bbz vom Juni 2017, der meint: »… man lernt auch heute noch Bäcker und ist anschließend eine Bäckerin und übt den Bäckerberuf aus«. Das stimmt so – und es stimmt wiederum nicht. Die Realität, die hier beschrieben wird, ist selber schon falsch, denn der männliche Bäcker wird als Synonym für den Berufsstand genommen, weshalb es nicht richtiges oder falsches Deutsch dafür gibt, sondern nur konventionelles und unkonventionelles. Dass das konventionelle aufgrund unserer Einübung als lesefreundlich gilt ist Ergebnis von Lernprozessen, die geändert werden können, nicht von vermeintlich richtiger Sprache oder Grammatik.
Genderneutrale Sprache als Kompromiss
Es gibt diverse Versuche, den Konflikt zwischen den geschilderten beiden Positionen zu lösen oder auch zu umgehen, indem neue Begriffe empfohlen werden. Der zitierte Kollege Harnischfeger hat selbst-verständlich recht, wenn er anhand von Begriffen wie »ISS-Lehrer*inneneltern« zeigt, dass das Ergebnis der Sternchen-Schreibweise nicht sonderlich funktional, nicht schön zu lesen, und vielleicht sogar nicht ästhetisch ist. Auch das Wort »Lehrkraft« erinnert eher an Physik (Schwerkraft, Anziehungskraft) als an Didaktik. Aber kann eine Bildungsgewerkschaft, an deren Selbstverständnis Harnischfeger appelliert, die Gestaltung von Sprache den anderen überlassen? Das hier behandelte Problem ist ja nicht nur eins der gender-Debatte: Beim Thema der Einwanderungsgesellschaft Deutschland gibt es die Wandlung vom »Gastarbeiter« über den »integrationswilligen Ausländer« und den Menschen »nichtdeutscher Herkunft« bis zum aktuellen »Migrationshintergrund« – der Begriff kommt vom Statistischen Bundesamt!
Das sprachliche Problem wird durch die Neuschöpfungen oft nicht gelöst, die Begriffe sind ebenfalls sperrig und verschleiern den politischen Konflikt, der damit verbunden ist.
In anderen kulturellen Feldern gibt es da interessantere Lösungen, die Wortneuschöpfung und falsche Rechtschreibung verbinden, beispielsweise aus dem HipHop den »gangsta«. Also »Lehras« und »Schülas« als Lösung, dann noch alles kursiv und in Anführungszeichen oder mit Fußnoten erklärt und ergänzt, so dass immer »alle damit gemeint« sind?
Vielleicht könnte ja ein Weg aus dem Dilemma darin bestehen, Sprache und Schrift als Medien zu sehen. Ich mache jetzt ein Experiment und schreibe folgenden Satz:
»Dies ist keine Pfeife«.
Ich glaube, dass viele der Lesenden jetzt ein Bild dazu im Kopf haben: das Bild des Künstlers René Magritte, auf dem eine »Pfeife« »zu sehen« ist und darunter (auf französisch) dieser Text steht. Ich erzeuge durch das Zitat also eine zumindest gedankliche Realität im Kopf der Lesen*den. Bei diesem Werk Magrittes geht es aber nicht nur um das Verhältnis von Realität und Bild. Es geht auch um das Verhältnis von Schrift und Bild: Woher wissen w_ir, dass d_er Text »Dies ist k_eine Pfeife« eigentlich e_in Text ist und kei_ne Bildfolge, woher wissen wir, dass das »Bild« der »Pfeife« auf dem »Bild« nicht eher ein Schriftzei*chen ist, welches für »Pfeife« steht (ähnlich den* chi*nesischen Zeichen oder Piktogramm-Schrift*en)? Die Antwort ist einfach: Wir wissen das, weil wir uns in »unsa« Kultur darauf geeinigt haben.
Beide Medienarten Bild und Schrift sind aber nicht so »rein« voneinander zu trennen, wie das hier zunächst aussieht, ganz im Gegenteil sie kommen meist zusammen vor. Wir schreiben ständig kursiv, benutzen Fußnoten, Bindestriche, Großbuchstaben und Abkürzungen: Ist »GEW« eine Abkürzung oder ein Bild? Warum beschäftigt man Grafiker*innen, um »GEW« zu schreiben? Warum glauben wir, dass »GEW« »geschrieben« und nicht »gemalt« wird?
Schriftliche Begriffe stehen nicht von sich aus für irgendetwas, sie stehen für etwas, auf das wir uns in Differenz zu etwas anderem geeinigt haben. Dadurch, und das ist das entscheidende Argument für Position 1, konstruieren sie »Realität« mit anderen gesellschaftlichen Praktiken zusammen (nicht nur, aber mit!). Wenn wir »Lehrer« schreiben, meinen viele womöglich alle anderen eingeschlossen, aber es gibt keine Einigung mehr darüber, sondern Streit, ob diese Konvention sich nicht ändern sollte. Andere Möglichkeiten als das »große I«, der gender-gap oder das »Sternchen*« sind also denkbar und werden sicher in den nächsten Jahren kommen: Kursivschreibung Lehrerin, Durchstreichen als Lehrerin, absichtliches Falsch-Schreiben: »Lährer« oder auch »Lehra« oder auch »Läras«.
Dies ist keine gerechte Welt
Aber alle diese Schreibweisen unterstützen die politische Bewegung, die dahintersteht und sich als sprachliche/bildliche Dauervariation (auch in unseren inneren Bildern und Begriffen) äußert:
Dies* beschreibt k/eine gerechte Welt
– und deshalb muss sie sich ändern, auch in unseren sprachlichen Beiträgen dazu, wie wir sie uns vorstellen und konstruieren.
In diesem Sinne ist die aktuelle Schreibweise der bbz kein Endpunkt und keine Lösung. Sie ist bisweilen mühsam, aber sie stellt eine Positionierung dar. Die Kritik daran ist aus der jeweiligen Sicht berechtigt. Sie ist sperrig und sie liest sich schlecht. Das trifft aber nicht das Problem, um das es geht. Es geht nicht um ein Abbild der Realität durch Sprache, also auch nie darum ob irgendeine Gruppe jetzt drei oder zehn oder 52 Prozent der Bevölkerung oder der Pädagog*innen ausmacht. Eine Rechtfertigung damit, dass es angeblich so und so viel Prozent lesbisch/ schwule/transgender-Menschen gibt, geht deshalb auch am Punkt vorbei. Es geht darum, mit Sprache die Realität als offene zu beschreiben, deren Wahrnehmung und damit vielleicht auch deren Gestaltung man* somit auch durch Sprache, Schrift und Bild offenhalten kann.