Kinder-, Jugendhilfe und Sozialarbeit
Arbeiten für ein Achtel des Mindestlohns
In Werkstätten verdienen Menschen mit Behinderung durchschnittlich 1,46 Euro pro Stunde. Das ist nicht mit dem Prinzip »Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit« vereinbar.
In Deutschland arbeiten rund 300.000 Menschen mit einer Behinderung in einer Behindertenwerkstatt. In diesen werden von den Mitarbeitenden unter anderem Spielzeuge, Büromaterialien sowie Möbel angefertigt. Insgesamt erwirtschaften die Werkstätten dabei einen jährlichen Umsatz von acht Milliarden Euro.
Ziel der Werkstätten ist es, diejenigen Menschen mit einer Behinderung, die aufgrund der Art und Schwere ihrer Behinderung entweder nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können, eine angemessene berufliche Bildung sowie eine Beschäftigung zu einem ihrer Leistung angemessenen Arbeitsentgelt anzubieten. Zudem soll ihnen ermöglicht werden, ihre Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu entwickeln, zu erhöhen oder wiederzugewinnen und dabei ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln.
Kein Mindestlohn für Werkstattbeschäftigte
Die in einer Behindertenwerkstatt beschäftigten Menschen mit einer Behinderung schließen mit der Werkstatt einen Werkstattvertrag ab und stehen aufgrund dessen in einem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis. Der im Mindestlohngesetz (MiLoG) festgeschriebene Mindestlohn von derzeit 12,41 Euro gilt jedoch nur für Arbeitnehmer*innen und greift somit gerade nicht für die Beschäftigten in einer Behindertenwerkstatt.
Das Arbeitsentgelt in den Behindertenwerkstätten richtet sich also nicht nach dem Mindestlohngesetz, sondern setzt sich vielmehr aus einem Grundbetrag und einem Steigerungsbetrag zusammen. Insgesamt ergibt sich daraus ein durchschnittliches Arbeitsentgelt von ungefähr 220 Euro pro Monat und ein Stundenlohn von weniger als 2 Euro.
Im Konflikt mit der UN-Behindertenrechtskonvention
In den Behindertenwerkstätten zeichnet sich also ein Bild ab, in denen Menschen mit einer Behinderung bei niedrigster Entlohnung arbeiten. Der Stundenlohn beträgt gerade mal etwa ein Achtel des festgeschriebenen Mindestlohns.
Auch aus einer rechtlichen Perspektive ist die aktuelle Situation in den Behindertenwerkstätten als problematisch einzustufen. Aus der Verfassung sowie aus der UN-Behindertenrechtskonvention kann ein Recht darauf hergeleitet werden, dass es Menschen mit einer Behinderung grundsätzlich möglich sein muss, ihren Lebensunterhalt durch die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit selbst zu finanzieren. Bei einem monatlichen Einkommen von 220 Euro ist dies gewiss nicht möglich. Zwar soll den Werkstattbeschäftigten langfristig der Übergang auf den regulären Arbeitsmarkt – auf dem private und öffentliche Arbeitgeber*innen mit jahresdurchschnittlich monatlich mindestens 20 Arbeitsplätzen auf wenigstens 5 Prozent der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen haben – geebnet werden. Allerdings schafft gerade einmal ein Prozent aller Beschäftigten in Behindertenwerkstätten den Sprung auf den regulären Arbeitsmarkt.
Diese rechtlich problematische Situation könnte dadurch gelöst werden, dass die in einer Behindertenwerkstatt beschäftigten Menschen mit einer Behinderung entweder als Arbeitnehmer*innen eingestuft werden und damit dem Mindestlohngesetz unterfallen würden oder das Arbeitsentgelt sowohl in Form des Grundbetrags als auch in Form des Steigerungsbetrags gesetzlich erhöht wird. Jedenfalls müsste der Staat die dadurch entstehenden monetären Differenzen deckeln, da die Werkstätten dies finanziell nicht leisten könnten.