bbz 4-5 / 2017
Auch als GEW-Geschichtsbuch interessant
Die Geschichte der weiblichen Lehrkräfte und der GEW in den 1950er Jahren in Berlin
Die 2014 erstellte Dissertation von Dania Annikke Dittgen beschreibt anschaulich die bildungspolitische Situation im Westteil Berlins der 1950er Jahre. Da waren einige Schlachten schon geschlagen: Mit dem Beginn des Kalten Krieges wird 1952 im Westteil die Einheitsschule über die Revision des Schulgesetzes vom Tisch gewischt und die verbeamtete Lehrkraft eingeführt. Und statt im FDGB, der nur noch im Ostteil existierte, organisierte man sich hier inzwischen in der UGO (unabhängige Gewerkschaftsopposition) und später im DGB.
Dittgen zitiert am Anfang die Bildungsforscherin Marion Klewitz mit dem Satz »Nirgends ist der Lehrerberuf im allgemeinbildenden Schulwesen in dem Maße Frauenbereich geworden wie in Berlin.« Diese Feststellung für das Jahr 1985 geht zurück auf eine Entwicklung seit Ende des 19. Jahrhunderts und hält bis heute an. Seit Kriegsende gab es kontinuierlich etwa 40 Prozent Frauen als Lehrerinnen, damit lag deren Anteil in Berlin wesentlich höher als in Westdeutschland.
Obwohl nun gerade der Philologenverband sich lange gegen die Gleichstellung der Frau und die Koedukation gewehrt hat, ist die Mehrzahl der Lehrerinnen, die Dittgen interviewt hat, dort Mitglied. Mög-licherweise auch deshalb, weil der »Berliner Verband der Lehrer und Erzieher« (BVL, die heutige GEW BERLIN) stärker von den Grundschullehrkräften geprägt war. Dittgens Untersuchung konzentriert sich dagegen auf die weiblichen Lehrkräfte an den wissenschaftlichen Oberschulen. Trotzdem ist Dittgens Buch auch als GEW-Geschichtsbuch interessant.
Außer Lotte Eifert und Annelies Hoppe sind in dieser Zeit nur vereinzelt Frauen im Vorstand des BVL tätig. Dittgen vermutet, dass die Arbeitsbedingungen und die dort verhandelten Themen die Frauen weniger ansprechen und sie möglicherweise auch die »Vereinsmeierei« und der Arbeitsstil der Männer stören. So schildert sie, dass das Vorstandsmitglied Lotte Eifert 1952 zurücktreten will, weil die »Arbeit im Vorstand so wenig erfreulich und nutzbringend geworden sei«. Als problematisch, so Dittgen, werde der autoritäre Führungsstil des damaligen Vorsitzenden Richard Schröter gesehen. Auch Annelies Hoppe, später mit Erich Frister an der Spitze der Bundes-GEW gewählt, wird zitiert mit der Aussage, dass im Vorstand »bestimmte Dinge » nicht angesprochen werden dürften«.
Der Lebensweg Lotte Eiferts, Jahrgang 1912, erhält im Buch einen besonderen Stellenwert. Zwar teilweise anonymisiert, aber doch gut erkennbar berichtet Dittgen über Lotte Eifert: Sie muss ihr Studium (Mathematik, Biologie und Physik) wegen ihrer jüdischen Herkunft 1933 abbrechen, arbeitet anschließend als Bürokraft und wird 1941 zur Zwangsarbeit eingezogen. Ihr Vater war 1940 gestorben, ihre Mutter wird 1941 von der Gestapo abgeholt und nach Auschwitz verschleppt. Als ihr auch selbst 1943 die Verschleppung droht, kann sie sich bis Kriegsende verstecken.
Nach dem Krieg wird sie Hilfslehrerin, legt auch noch eine Prüfung für das Lehramt ab und wird schließlich Leiterin eines Gymnasiums im Wedding. In der GEW beziehungsweise dem BVL ist sie parallel dazu immer auch im Vorstand tätig und erhält später die Ehrenmitgliedschaft.
Anneliese Hoppe, das zweite von Dittgen erwähnte Vorstandsmitglied in der damaligen GEW, kann aus politischen Gründen nicht studieren, holt das später nach und wird 1948 erste weibliche Lehrkraft an einer Knabenschule. Sie wechselt dann in die Schulverwaltung und wird 1973 Leitende Wissenschaftliche Direktorin des legendären Berliner Pädagogischen Zentrums (PZ). Parallel dazu ist sie ab 1968 bis 1980 zweite Vorsitzende der Bundes-GEW.
Die anderen Biographien der weiblichen Lehrkräfte sind sehr viel alltäglicher, vermitteln aber gut, in welchem Umfeld und mit welcher Einstellung in diesen Jahren Lehrerinnen an einer wissenschaftlichen Oberschule arbeiteten. Es ist immer noch die Zeit, als von den Frauen verlangt wird, ihre Tätigkeit aufzugeben, wenn sie heiraten, um den Männern nicht einen Arbeitsplatz wegzunehmen.
Dittgen, Dania Anikke: West-Berliner Lehrerinnen zwischen Kontinuität und Neuanfang. Weibliche Berufstätigkeit an wissenschaftlichen Oberschulen in den 1950er Jahren. Dissertation Freie Universität 2014. Logos Verlag Berlin 2016