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Inklusive Haltung

Auch helfen will gelernt sein

Das »Hilfesystem« für Menschen mit Behinderung hat sich verselbstständigt.

Foto: GEW BERLIN

Der Mensch weiß intuitiv was positiv zur Bildung beiträgt und was die Förderung und Bildung behindert, sagt die Entwicklungspsychologie, die Bildungsforschung und auch die Verhaltungsforschung. Das Zauberwort »fördern« ist in aller Munde, vor allem wenn es um Menschen mit einer Behinderung geht. Aber was kann Förderung bewirken? Warum wird gefördert? Gezielte Förderung soll bewirken, dass etwas immer besser, dass etwas vorangebracht wird.

Umso erstaunlicher ist zu beobachten, dass trotz all der Aufklärung, der fachlichen und medizinischen Weiterentwicklung und dem unermüdlichen Wunsch Menschen mit einer Behinderung zu fördern, sich die Förderung oft nicht an den tatsächlichen Interessen, Bedarfen und Wünschen der betroffenen Menschen orientiert.

Worin besteht der Wert eines Menschen? Bestimmen die Anforderungen des Arbeitsmarktes den Wert eines Menschen? Kann der Mensch einfach nur sein, oder muss er von außen gesteuert werden, um sich mit anderen messen zu lassen? In einer heilen Welt könnte man sich von solchen provokanten Fragen distanzieren. Die Welt ist aber nicht heil, deshalb ist es wichtig, dass das Hilfesystem sich immer wieder kritisch mit diesen Fragen auseinandersetzt. Werden Menschen aufgrund ihres individuellen Seins angenommen, oder werden doch individuelle Erwartungen an jeden von uns geknüpft? Diese Erwartungen machen vor Menschen mit einer Behinderung nicht Halt.

Das Ziel von Hilfe

Es wird erwartet, dass Menschen mit einer Behinderung gefördert werden wollen, dass sie gefördert werden müssen, zu ihrem Wohl, damit sie sich in die Gesellschaft integrieren, inkludieren lassen.

Die Helfer*innen haben meist eine klare Vorstellung wie die Förderung aussehen soll, da sie davon ausgehen, dass sie einschätzen und überblicken können was geschieht, wenn Förderung misslingt. Um dies zu vermeiden werden ungefragt Grenzen überschritten. Auch Helfer*innen müssen manchmal erst lernen zu helfen. Es ist notwendig, dass sie verstehen, dass es nicht um ihre eigenen Bedürfnisse, sondern um die Bedürfnisse der*des anderen geht.

Zwei Mütter beobachten ihre Kinder wie sie versuchen, sich an Tisch- und Stuhlbeinen hochzuziehen. Immer wieder rutschen die beiden Kinder an den Möbelbeinen herunter. Die Mütter loben ihre Kinder, sie lächeln sie an, klatschen in die Hände und ermutigen sie, trotz der Schwierigkeiten und Niederlagen weiterzumachen.

Die Mütter könnten ihren Kindern den Frust ersparen indem sie eingreifen und ihnen helfen. Doch die Mütter wissen wie wichtig es ist, dass ihre Kinder lernen, ihre Ziele selbstbestimmt zu verfolgen. Wie groß ist die Freude über jedes noch so kleine erreichte Ziel. Die Kinder werden getragen von dem Wissen, dass ihre Mütter ihnen vertrauen.

Beide Kinder haben ihr Ziel erreicht. Sie stehen zum ersten Mal mit wackeligen Beinen auf eigenen Füßen. Das eine Kind ist zehn Monate, das andere Kind zehn Jahre alt.

Dank dem ständigen Fortschritt und der unermüdlichen Weiterentwicklung in unterschiedlichen medizinischen Bereichen können immer mehr Menschen mit einer Behinderung gezielte Förderung erhalten. Eine Förderung kann wiederum zu einer Verbesserung ihrer Lebensqualität führen. Es gehört inzwischen auch zum Standard, dass Bezugspersonen von Kindern mit einer Behinderung Unterstützung in Form von Selbsthilfegruppen, Therapien oder anderen Maßnahmen wahrnehmen können.

Trotz all dem Fachwissen und der Unterstützung fällt es so vielen Helfer*innen schwer, Menschen mit einer Behinderung ihre eigenen Wege gehen und ihre eigenen Fehler und Erfahrungen machen zu lassen. Schuldgefühle, der Wunsch nach Macht oder ein aus-geprägtes Helfer*innensyndrom können Gründe sein, warum Helfer*innen unentwegt Menschen mit einer Behinderung, auch gegen deren Willen fördern wollen.

Was möchten Menschen mit einer Behinderung? Als erstes möchten sie einfach nur Mensch sein. Die Behinderung soll nicht im Vordergrund stehen, sondern als normaler Teil ihres Lebens dazugehören. Sie möchten selbstbestimmt leben, eigene Entscheidungen treffen, respektiert und geliebt werden. Sie möchten, dass man mit ihnen spricht und nicht über sie. Diese Wünsche klingen banal und normal, leider sind sie das nicht. Ständig müssen Menschen mit einer Behinderung um ihre Rechte kämpfen.

Helfer*innen helfen sich und anderen am besten, indem sie zulassen nicht perfekt sein zu wollen, wenn sie gemeinsam mit dem anderen den Weg und das Ziel teilen.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Privat:  030 / 219993-46