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Schwerpunkt „Gesund in kleineren Klassen“

Auch mehr von uns ist besser für alle

Ein Einwand gegen die Tarifforderungen der GEW BERLIN für kleinere Klassen lautet, dass diese angesichts des akuten Mangels an Personal und Räumen nicht umsetzbar seien. Dabei zeigen die Erfahrungen der Pflegekräfte, dass ein guter Tarifvertrag die Weichen anders stellen kann.

Foto: Christian von Polentz

Mehr von uns ist besser für alle« war der Slogan, als die Beschäftigten der elf Berliner Kliniken von Charité und Vivantes im Sommer 2021 sieben Wochen lang unbefristet streikten. Er leuchtet sofort ein, weil es jede*r bereits erlebt hat: der Mangel an Personal im Gesundheitswesen hat katastrophale Folgen für die Versorgung der Patient*innen. Die Überlastung der Pflegekräfte hat zu einem Exodus aus dem Beruf geführt, wodurch die Belastung noch mehr stieg. Die Forderungen der Pflegekräfte nach Entlastung und mehr Personal sollten einen Ausweg aus diesem Teufelskreis weisen – im Interesse von uns allen.

 

Eine anerkannte Streikforderung

 

Doch zunächst wurde von den Arbeitgeber*innen bestritten, dass es überhaupt zulässig sei, für eine in einem Tarifvertrag festgeschriebene bessere Personalbemessung zu streiken. Dies sei grundgesetzwidrig, denn über die Personalbemessung entscheide doch alleine die Arbeitgeberin. Was in Deutschland als »tariffähig« gilt, ist keineswegs in Gesetzen festgeschrieben, es entscheidet sich erstens auf der Straße und zweitens im Gerichtssaal. Und so stellte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg unter dem Eindruck der breiten gesellschaftlichen Solidarität für die Streiks der Pflegekräfte an der Charité 2015 fest: Das Direktionsrecht der Arbeitgeber*innen endet dort, wo der Gesundheitsschutz der Beschäftigten beginnt.

Der erste Tarifvertrag an der Charité war ein Durchbruch, weil eine Machtfrage entschieden wurde. Die Klinikleitung musste das Recht, über die Personalbemessung zu entscheiden, erstmals mit der Gewerkschaft teilen. Doch die tatsächliche Entlastungswirkung dieses Tarifvertrags blieb begrenzt, weil die Maßnahmen zum Personalaufbau recht unverbindlich blieben. Aus dieser Erfahrung lernten die Belegschaften anderer Kliniken. Mit jedem seither vereinbarten Entlastungstarifvertrag wurden die Instrumente für einen verbindlichen Personalaufbau verbessert.

 

Unterbesetzung hat Konsequenzen

 

Wir lernen: die Arbeitgeber*innen stellen nicht freiwillig mehr Personal ein, sie müssen dazu gezwungen werden. Der Tarifvertrag, den ver.di 2021 bei Charité und Vivantes durchsetzen konnte, sieht nun ein engmaschiges Konsequenzen-Management vor. Für jede einzelne Station wurden nach einer intensiv geführten Diskussion an der Basis, Anforderungen an gute Pflege eingefordert und schließlich im Tarifvertrag auch weitgehend durchgesetzt.

Wenn eine Pflegekraft jetzt eine Schicht lang auf einer unterbesetzten Station arbeiten muss, dann kriegt sie Belastungspunkte gutgeschrieben. Diese kann sie gegen zusätzliche freie Tage eintauschen. Dadurch gerät die Arbeitgeberin unter Zugzwang und muss dafür sorgen, dass die Besetzungsregeln des Tarifvertrags eingehalten werden. Zusätzliches Personal muss somit eingestellt werden. Ehemalige Pflegekräfte sehen dadurch erneut eine Perspektive in ihrem Ausbildungsberuf und lassen sich wiedereinstellen. So das Kalkül. Inwieweit es aufgeht, wird sich zeigen.

Diese Erfahrung belegt, dass Tarifverträge für den Gesundheitsschutz und eine verbesserte Personalbemessung möglich sind. Auch wenn dadurch keine Zauberkraft entsteht, müssen doch von dem*der Arbeitgeber*in zusätzliche finanzielle Mittel aufgebracht werden. Die Arbeitsbedingungen müssen schrittweise im Sinne einer geringeren Belastung verändert werden. Die Versorgungsqualität steigt, oder in unserem Fall die Bildungsqualität. Denn auch mehr von uns Lehrkräften ist besser für alle.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Privat:  030 / 219993-46