Gewerkschaft
Auch mitmachen erfordert Ressourcen
Ehrenamtliches Engagement ist das Salz in der Suppe der GEW BERLIN, aber es braucht mehr als das. Eine Bilanz nach zwei Jahren.
Von Juni 2020 bis Juni 2021 war ich kommissarisch und anschließend gewählt Teil der Leitung des Vorstandsbereichs Öffentlichkeitsarbeit im geschäftsführenden Landesvorstand (GLV). In dieser Zeit war ich für Organisationsentwicklung zuständig. In diesem Text möchte ich meine Erfahrung mit der Organisationsentwicklung in der Form von provokanten Thesen schildern.
These: Die GEW ist eine Personalratsgewerkschaft
Die »Mitmachgewerkschaft« wird innerhalb der GEW BERLIN oft gelobt, häufig mit einem Vergleich zu den anderen »Funktionärsgewerkschaften« des DGB. Dort gibt es hauptamtliche Gewerkschaftssekretär*innen für verschiedene Organisationsbereiche, die nicht unbedingt in jenen Bereichen auch noch in der Praxis arbeiten. Die GEW BERLIN habe das bessere Modell der ehrenamtlichen Selbstorganisation, heißt es oft, weil sie damit eng an der Basis und somit authentischer sei.
Diese »Mitmachgewerkschaft« wird aber vor allem von Mitgliedern der Beschäftigtenvertretungen (Personalrat, Betriebsrat, Frauenvertretung, Schwerbehindertenvertretung) getragen. Qua Amt haben sie das notwendige Wissen über ihren jeweiligen Organisationsbereich und vor allem über die GEW, um sich effektiv in die GEW einzubringen. Andere wiederum, die nicht die starken Strukturen von Beschäftigtenvertretungen hinter sich haben, müssen wir besonders fördern, um GEW-Ämter ausfüllen zu können: zum Beispiel Promovierende, Studierende, prekär beschäftigte Erwachsenenbildner*innen, wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, und Beschäftigte an Betrieben ohne Betriebsrat, wie private Schulen, Kitas oder freie Träger der Sozialarbeit. Die stärksten Beschäftigtenvertretungen der GEW BERLIN wiederum sind die der öffentlichen Schule.
These: Die GEW ist eine Schulgewerkschaft
Ein Drittel der Mitglieder der GEW BERLIN arbeitet nicht an einer Schule. Man könnte anhand der Diskussionen in den Gremien und des medialen Bildes der GEW den Eindruck bekommen, sie sei nur eine »Lehrer*innengewerkschaft.« Hier sollte natürlich nicht unerwähnt bleiben, dass Schulthemen nicht gleich Lehrkräftethemen sind. Ist die GEW eine Bildungsgewerkschaft oder doch nur eine Lehrer*innengewerkschaft?
Zur Lösung der oben genannten Probleme ist die Quadratur des Kreises erforderlich: Man muss große Mengen an Zeit und Wissen aufbringen, um ausreichend gewerkschaftliche Ressourcen zu gewinnen, um sich in die Gewerkschaft einzubringen. Wer keinen Tarifvertrag und keine Beschäftigtenvertretung hat, wird sich nur mit großem persönlichen Einsatz einbringen können. Nur einige wenige Referent*innen und Ehrenamtliche kämpfen heldenhaft um die Gründung von Betriebsräten und die Durchsetzung von Tarifverträgen außerhalb der öffentlichen Schule in der GEW BERLIN. Um diese Bereiche im gewerkschaftlichen Kontext zu stärken, ist es notwendig, großzügig Ressourcen wie Zeit und finanzielle Mittel aufzubringen.
These: Die »Ehrenamtsgewerkschaft« muss sich ändern
Die »Mitmachgewerkschaft« wird zuletzt am meisten durch die Kultur der GEW BERLIN selbst verhindert. Wer doch bereit ist, sehr viel Freizeit in der GEW zu verbringen, geht vor allem in die vielen Gremien, denn die GEW BERLIN macht selten zeitlich befristete Projekte oder Kampagnen. Diese Gremien tagen häufig, lange und – wegen der ehrenamtlichen Struktur – vor allem abends unter der Woche. Das ist auch für schulische Mitglieder selten familienfreundlich. Obwohl die GEW BERLIN Kinderbetreuungskosten erstattet, ist dieses Angebot noch nicht ausreichend bekannt.
Das Tagen ist aber noch kein Arbeiten. Wegen der Häufigkeit, Dauer und Vielzahl der Gremien und -sitzungen ist es ein Leichtes, sich immer nur zu treffen und nie zu handeln. Werden Mitglieder gewonnen, Stellungnahmen geschrieben, und Veranstaltungen durchgeführt oder werden nur Positionen besprochen und beschlossen?
Zudem zeigen sich die Grenzen einer Personalratsgewerkschaft auch innerhalb des Organisationsbereichs Schule. Die GEW BERLIN hat nicht an allen Schulen eine Kontakt- oder Vertrauensperson und es wird nicht an jeder Schule in großem Maße gestreikt. Schulstreiks erfordern aktive Mitglieder an jeder Schule. Bisher hat das Personalratsmodell diese Lücke über die Jahre nicht schließen können. Viele Untergliederungen (Bezirke, Abteilungen, Fachgruppen, Personengruppen und so weiter) haben seit Jahren Schwierigkeiten, mehr aktive Mitglieder zu gewinnen.
Obwohl die GEW BERLIN einen vergleichsweisen jungen geschäftsführenden Landesvorstand hat, findet ein Generationenwechsel nicht überall statt. Obwohl die Zeitkapazitäten und Erfahrungsschätze von Rentner*innen und Pensionär*innen große wertvolle Ressourcen sind, kann eine Gewerkschaft logischerweise nicht überwiegend deren Sache sein. Eine Arbeitnehmer*innenvertretung, die auf Ehrenamt baut, braucht die Beteiligung von Arbeitnehmer*innen.
Zusammenfassend ist es aus meiner Perspektive unklar, ob das Ehrenamtsmodell der GEW für alle ihre Organisationsbereiche weiterhin noch zu rechtfertigen ist.
Wie weiter?
Einige dieser Fragen wurden in der Zukunftswerkstatt besprochen. Solche Formate sind eine Möglichkeit, Lösungen für die Herausforderungen der Organisationsentwicklung gemeinsam zu finden. Voraussetzung bleibt jedoch die Bereitschaft, über langjährige Modelle kollegial, ergebnisoffen und ergebnisorientiert miteinander zu sprechen.