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bbz 07-08 / 2017

Auf dem Rücken der Studierenden

Mittlerweile findet man sie fast überall, die berufsbegleitenden Auszubildenden, die eigentlich keine Auszubildenden sind, da sie vom ersten Tag an voll auf den Personalschlüssel angerechnet werden. Die daraus entstehenden Belastungen stellen alle vordergründigen Vorteile in den Schatten

Foto: PICTURE-FACTORY/FOTOLIA

Die berufsbegleitende, duale Ausbildung ist eine im Grunde positive Begleiterscheinung des Erzieher*innenmangels im Land Berlin. Neben der schulischen Vollzeitausbildung an Berliner Fachschulen für Sozialpädagogik kann man in der berufsbegleitenden Ausbildung innerhalb von drei Jahren Erzieher*in werden, also zur Schule gehen und gleichzeitig arbeiten und Geld verdienen. Klingt nicht schlecht. Ist es auch nicht. Man muss zwar neben der Präsenzzeit in den Einrichtungen und in der Schule noch lernen und sich auf Prüfungen vorbereiten, aber es scheint machbar zu sein. Eine Abbruchquote ist noch nicht bekannt. Die ersten Absolvent*innen kommen aber in den Betrieben an.

Die Praxisorientierung der berufsbegleitenden Ausbildung ist allerdings nur ein Vorwand. Die dreijährige Vollzeitausbildung dauert der Politik zu lange, um sich schnell Erzieher*innen zu »backen«. Durch die berufsbegleitende Ausbildung kann die Senatsverwaltung die klaffenden Personallücken ein wenig unsichtbarer machen.

Studierende fordern nur zögerlich ihre Rechte ein

Für die Studierenden resultieren Probleme aus der berufsbegleitenden Ausbildung, da sie parallel einen Arbeitsvertrag mit dem Träger und einen Ausbildungsvertrag mit einer Fachschule haben. Beide Verträge sind notwendig für die berufsbegleitende Ausbildung, werden aber nicht aufeinander abgestimmt. Dadurch entsteht eine Abhängigkeit, weil die Studierenden auf den Arbeitsvertrag angewiesen sind, um ihre berufsbegleitende Ausbildung zu beenden. Folglich fordern sie nur zögerlich ihre  Arbeitnehmer*innenrechte ein.

Außerdem entsteht eine extreme Belastung, weil hohe Arbeits- und Ausbildungsanforderungen miteinander kollidieren. Nicht fertig Studierte dürfen voll auf den Personalschlüssel angerechnet werden und landen ziemlich schnell im kalten Wasser. Das heißt sie managen eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Kindern. Sie sind also voll ausgelastet und dürfen gleichzeitig noch Prüfungen meistern. Da verbleibt nur wenig Zeit für Familie und Freunde. Die Belastbarkeit der erst in Zukunft gleichgestellten Kolleg*innen wird in dieser berufsbegleitenden Ausbildung schwer auf die Probe gestellt. Und man hört dann doch ab und an von Abbrecher*innen, die die Doppelbelastung nicht mehr aushalten konnten und sich im gesunden Eigeninteresse aus der berufsbegleitenden Ausbildung verabschieden.

Finanziell sind die berufsbegleitend Studierenden natürlich ebenfalls nicht gleichgestellt. Sie erledigen zwar die gleiche Arbeit wie die staatlich anerkannten Erzieher*innen, sind aber der Entgeltgruppe 5 zugeordnet – wenn sie nach TV-L bezahlt werden, also im öffentlichen Dienst angestellt sind. Die anfangs noch attraktiv wirkende berufsbegleitende Ausbildung bei gleichzeitiger Verdienstmöglichkeit wirkt nun weniger attraktiv. Denn mit weniger als 1.000 Euro Netto bei Doppelbelastung nach Hause gehen – eigentlich möchte man das Niemandem zumuten.

Auch die Qualität lässt zu wünschen übrig

Vielerorts lässt sich ein Qualitätsverlust in der Ausbildung feststellen. Bei der Vielzahl von Fachschulen, insbesondere der neu gegründeten, wird eine flächendeckende Überprüfung und Einhaltung der geltenden Qualitätsstandards nicht mehr gewährleistet. Hinzu kommt, dass die Studierenden während der berufsbegleitenden Ausbildung in der Regel nur in einer Praxisstelle arbeiten. Während in der Vollzeitausbildung drei verschiedene Praktika vorgeschrieben sind, verpassen die berufsbegleitenden Studierenden die Möglichkeit, ein breites Spektrum des Berufsfeldes kennenzulernen.
Die zur Verfügung gestellten Rahmenbedingungen wie etwa die Praxisanleitung in den Einrichtungen sind nach zu justieren. Es genügt nicht, die Praxisanleitung nur im ersten Jahr der berufsbegleitenden Ausbildung durch den Senat kozufinanzieren. Eine durchgängige dreijährige Finanzierung dürfte der Qualität der berufsbegleitenden Ausbildung entgegen kommen. Auch wäre es angebracht, die Studierenden im ersten Jahr der berufsbegleitenden Ausbildung nicht auf den Personalschlüssel anzurechnen.

Kolleg*innen nicht ausbrennen lassen

Die Stimmen in den Einrichtungen werden lauter, die zwar froh sind über die schnelle Hilfe, gleichzeitig aber unzufrieden mit der mangelnden Vorerfahrung in Theorie und Praxis. Studierende im ersten Ausbildungsjahr können noch keine Elterngespräche führen, kennen die Sprachlerntagebücher noch nicht und kommen bei der Gestaltung von Projekten an ihre Grenzen. Ohne jegliche pädagogische Erfahrung können sie die Entwicklungsprozesse der Kinder nicht ausreichend fachlich begleiten. Vor Ort können Studierende der berufsbegleitenden Ausbildung von den erfahrenen Kolleg*innen zugleich als Hilfe und Belastung wahrgenommen werden.

Wenn wir also nicht allein auf Schnelligkeit sondern auch auf Nachhaltigkeit setzen, dürfen wir die neuen Kräfte nicht ausbrennen lassen. Und vorhandene Kräfte müssen entlastet werden. Die Anerkennung der berufsbegleitenden Studierenden als »echte« Auszubildende wäre ein langfristiges Ziel, um in ferner Zukunft, also nach Bewältigung des aktuellen Fachkräftemangels, diesen berufsbegleitenden Ausbildungsweg alternativ zur rein schulischen Ausbildung zu etablieren. Denn so könnte man Entlastungen für die Studierenden und die Betriebe schaffen und würde so nicht Berufsanfänger*innen »verheizen«. Die Studierenden könnten sich pädagogisch mehr ausprobieren und bessere Begleitung durch die Praxisanleitungen im Betrieb erfahren. So könnte das Modell funktionieren.