Schule
Aufatmen: Ausatmen!
Endlich gibt es gute Nachrichten für Lehrer*innen.
Endlich werden uns Tipps und Tricks gegen die vielfältigen Probleme des Bildungssystems verraten. Ihr habt noch nichts davon gehört? Dann kommt mal mit mir mit! Ich nehme euch mit auf eine kleine Reise. Packt gern das Schreiben der SWK (gleich mehr dazu) in euren Koffer. Denn schließlich ist das unser kleines, süßes Handbuch, mit dem wir lernen.
Darin könnt ihr erst mal lesen, was die »SWK« ist. Ganz viel Freude: »Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultus-ministerkonferenz (SWK) ist ein unabhängiges wissenschaftliches Beratungsgremium der Kultusministerkonferenz. Ihr gehören 16 Bildungsforscher*innen aus unterschiedlichen Disziplinen an. Die SWK berät die Länder zu bildungspolitischen Fragen. Sie identifiziert bestehende Herausforderungen und gibt evidenzbasierte Empfehlungen für deren Lösung. Dabei nimmt die Kommission eine interdisziplinäre, längerfristige und systemische Perspektive ein. Die SWK bindet externe Sachverständige in ihre Arbeit ein und hört Vertreter*innen aus Politik, Verwaltung, Bildungspraxis und Zivilgesellschaft an. Eine Geschäftsstelle unterstützt die Kommission bei ihrer Arbeit.«
Klingt das nicht vielversprechend? Ich finde es großartig und sinnvoll, dass es ein unabhängiges Beratungsgremium gibt – Neutralität? Lieben wir! Es ist gut und höchste Eisenbahn, dass dieses Gremium evidenzbasierte Lösungen vorgibt. Schließlich ist der Lehrkräftemangel ein strukturelles, bundesweites Problem. Es kann nur gut sein, was diese Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven uns servieren. Oder!?
Sicherlich habt ihr schon mal davon gehört, dass es in Schulen etwas stressig zugeht. So hetzt man von A nach B, betreut teilweise zwei Klassen gleichzeitig und arbeitet auch lange über die eigentlichen Arbeitszeiten hinaus. Was kommt dabei raus? Richtig, viele von uns sind ziemlich gestresst. Was ist die logische Konsequenz? Die SWK schlägt vor, dass wir Stressprävention betreiben, um dem Lehrkräftemangel und daraus resultierendem Stress entgegen zu wirken:
»Setzt man direkt beim Stresserleben der Lehrkräfte an, so haben sich Achtsamkeitstrainings bewährt«. Beispiele sind Meditation, Atemübungen und Visualisierungsübungen. Ist das nicht großartig? Wenden wir das Ganze doch direkt in der Praxis an.
Augen zu und Pipi-Pause
Ihr hetzt von einem Klassenraum zum nächsten? Ihr konntet zwischen der ersten und der sechsten Stunde nicht mal auf die Toilette gehen? Kein Problem, stelle dir einen Raum mit Fliesen vor. Stelle dir eine Kabine mit beschmierten Wänden vor, den Geruch von abgestandenem Wasser und Schimmel. Atme ein und atme aus – Na? Fühlt es sich nicht fast an wie eine kurze Toilettenpause? Wer braucht schon echte Pausen, wenn das Geschäft jetzt auch mit Visualisierungsübungen zu erledigen ist?
Denn in der Realität ist es doch oftmals so, dass zwischen zwei Stunden zehn Minuten Pause sind. Diese zehn Minuten sind aber nicht dafür gedacht, dass ich mir einen Kaffee kochen kann (das ist auch schier unmöglich mit den Kaffeemaschinen aus dem Jahre 1998) – nahaa! In diesen zehn Minuten packe ich so schnell wie es geht mein gesamtes Unterrichtsmaterial in die Tasche, das heißt: lustige bunte Magneten und laminierte Schilder von der Tafel nehmen, Arbeitsblätter die übrig sind in die Stehordner der fehlenden Kinder sortieren, ins Klassenbuch eintragen was ich gemacht habe, das Smartboard ausschalten, lüften, gleichzeitig aber wieder Fenster schließen, mit den Kindern über die letzte und nächste Stunde sowie den Lieblingsnachtisch sprechen, das Material vom Sachunterricht in die Ablagen legen und das wiederum in den Schrank. Schließlich bin ich in diesem Raum nur Gast und muss alles zur jeder Stunde neu hin und her räumen.
Dann hetze ich zum nächsten Klassenraum, eile zum Schrank, packe hier wieder alles aus, klatsche meine Magneten und laminierten Kärtchen an die Tafel, warte darauf, dass der Steinzeit-Laptop hochfährt und rede gleichzeitig wieder mit Schüler*innen darüber, was wir jetzt machen und welcher der Anfangsbuchstabe des Namens meines Partners ist. Bähm! 10 Minuten sind um. Ich war weder pinkeln, noch habe ich von meinem Tee trinken können. Ihr seht, es macht Sinn, dass ich mir zukünftig visualisiere, dass ich auf Toilette gehe. In der Realität klappt’s nicht.
Räume, Platz und ein bisschen Yoga
Neben Visualisierungsaufgaben schlägt die SWK Achtsamkeitsübungen vor. Yoga ist so ein Klassiker unter den Resilienzübungen. Dank meiner nun besser ausgebauten Visualisierungsfähigkeiten, kann ich mir auch Yoga als durchaus praktische Angelegenheit im Unterricht vorstellen.
Sicherlich habt ihr alle schon ein inneres Bild vor Augen, wenn ihr euch das Wort »Klassenraum« durch den Kopf gehen lasst. Für den Bau von Schulen wird momentan ein Maßstab von zwei Quadratmetern pro Grundschulkind als nötig erachtet. Hat meine Klasse 28 Lernende, so müsste dementsprechend der Raum mindestens 56 Quadratmeter haben. Wenn wir es genau nehmen, müssten wir hier noch das Mobiliar abziehen. In meiner Schule gibt es Räume, die sind etwa halb so groß. Die Klassen, die dort unterrichtet werden, allerdings nicht wirklich.
Wie ist es denn jetzt, wenn ich 28 Kinder in einer Klasse habe, jedoch nur Platz für 25? Ich würde sagen, kein Problem! Wir schlagen Seite 27 der SWK-Stellungnahme auf und finden die Lösung! Auf geht’s, lasst uns ein bisschen Yoga machen: Stellt euch auf die Knie, Hände unter die Schultern. Kopf gerade als Verlängerung zur Wirbelsäule. Dabei den Rücken schön in einer Linie lassen. Et voila! Die Yogafigur »Kuh« bietet die Möglichkeit an, dass ihr als Lehrkraft im Handumdrehen selbst zur Sitzbank werdet. Dank der Yogaübung konntet ihr das Platzproblem eurer Schule lösen. Namaste!
Probleme einfach wegatmen
Der dritte Vorschlag der SWK sind Atemübungen. Als artige Staatsdienerin möchte ich natürlich auch das Atmen richtig können, um meinem Job und all seinen Verpflichtungen gerecht zu werden. Wofür könnten diese also gut sein? Welche Sorgen habe ich? Welche Sorgen kann ich geschickt einfach mit vehementem Ein- und Ausatmen wegatmen?
Wenn ich so überlege, dann fällt mir Einiges ein. In Berlin verlassen nur 900 Lehramtsabsolvent*innen die Unis, obwohl es eigentlich 3.000 sein müssten. In Sachsen-Anhalt wurde kürzlich einfach festgelegt, dass Lehrpersonen eine Stunde mehr arbeiten müssen. Wobei – ist ja gar nicht so schlimm: Diese Wochenstunde zu viel darf ja schließlich ab dem Schuljahr 2033/34 abgebummelt werden. Zweitausenddreiunddreißig – alle Kinder, die jetzt geboren werden, sind dann in der fünften Klasse und mein Hund ist wahrscheinlich im Hundehimmel. Sorgen bereitet mir auch die Idee der SWK, dass die Teilzeitarbeit begrenzt werden soll und dass Sabbatmodelle »überprüft und eingeschränkt« werden sollen.
Funny! Ich habe das Gefühl, dass diese Punkte nicht ganz zur Attraktivität des Lehrberufes beitragen werden. Mein persönlicher Schutz, nicht kaputt zu gehen in diesem System ist, dass ich in Teilzeit arbeite. Wird mir in Zukunft auch das noch genommen, dann bin ich weg hier. Ich will ja nichts sagen, aber mein Schulleiter bezeichnet uns vollausgebildete und grundständig studierte Lehrer*innen als »Goldstaub«. Ich finde, er hat recht. Teilzeiteinschränkungen machen den Beruf unattraktiv. Der Goldstaub wird sich aus dem Staub machen, wenn das passiert.
In der Schule verbringt die Zukunft der Gesellschaft – Kinder – mehr als die Hälfte ihres Tages. Ich verstehe nicht, wie das so unwichtig sein kann! Wie soll ich den Lernenden gerecht werden, wenn ich selbst nicht mal nach Luft schnappen, geschweige denn eine Pinkelpause machen kann. Im Grunde ist es doch wie im Flugzeug: Wenn wir uns als pädagogisches Personal nicht zuerst selbst die Maske aufsetzen, können wir auch den Kindern nicht helfen. Also bitte, liebe einflussreiche Menschen da draußen: Gebt uns Sauerstoffmasken, ich möchte Kindern den Unterricht bieten können, den sie verdient haben!
Die ungekürzte Textvariante wurde im Infoblatt der GEW Pankow veröffentlicht.