Hochschule
Befristung in Zeiten von Corona
Damit Qualifizierungen und befristete Projekte in der Wissenschaft erfolgreich weitergeführt und abgeschlossen werden können, braucht es sachgerechte und verbindliche Regelungen.
Seit Beginn des Jahres hat Corona die gewohnten Abläufe weltweit auf den Prüfstand gestellt. Kontaktbeschränkungen und Lockdown haben die Prozesse in Lehre, Forschung, Service und Qualifizierungen zum Erliegen gebracht. Auch wenn bereits Lockerungen im gesellschaftlichen Leben verfügt worden sind, werden die bisherigen Prozesse über einen längeren Zeitraum von den Folgen der Auszeit beeinflusst werden.
Einer der großen Problembereiche liegt im Feld der befristeten Arbeitsverhältnisse. Die Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen haben Befristungsquoten von bis zu 90 Prozent im Bereich des wissenschaftlichen Personals. Auch in Berlin.
Die Hälfte der Verträge läuft kürzer als ein Jahr
Das seit langer Zeit umstrittene Feld der befristeten Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft hatte und hat ohnehin schon Probleme: Die Hälfte der Verträge laufen unterhalb eines Jahres und sind zumeist mit Teilzeitarbeit verbunden. Nicht zuletzt auf Initiative der GEW wurden 2016/17 mit der Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes Weichen zur besseren Planbarkeit gestellt: Kopplung der Befristung an Qualifizierungen wie zum Beispiel eine Promotion, und dazu passende, angemessene Fristen für die Vertragslaufzeit sowie die Kopplung der Drittmittelbefristungen an die Projektlaufzeit und nicht an die Finanzierungstranchen. Trotz dieser Präzisierungen gibt es weiterhin Streit. Qualifizierungsziele wie zum Beispiel – Ich beantrage ein Projekt – sind fragwürdig, Fristen sind mehr als unscharf und immer noch zu kurz und Teilprojekte ersetzen die längeren Fristen bis zum Projektende. Wie schon vor der Novellierung besteht kein Anspruch auf Ausschöpfung der Fristen.
Treten innerhalb der vereinbarten Vertragslaufzeit Probleme auf, sind bisher im Wissenschaftszeitvertragsgesetz zwei Strategien zur Lösung gesetzlich verankert. Zum einen wird der individuell verfügbare Qualifizierungszeitrahmen von zwölf Jahren in bestimmten Fällen erweitert.
Dazu zählen eine familienpolitische, eine behindertenpolitische und eine Chroniker*innen – Komponente. Dabei wird die Maximalfrist um zwei Jahre erweitert. Ein Rechtsanspruch auf Ausschöpfung dieser Erweiterungen besteht nicht. Die zweite Möglichkeit besteht in der Verlängerung der befristeten Verträge um bis zu zwei Jahren, wenn gewisse »Umstände« die Qualifizierung in bestimmter Weise beeinflussen: Personalratstätigkeit mit Freistellung, Schutzfristen, Erziehungszeiten und Krankheitszeiten nach Auslaufen der sechs Wochen Lohnfortzahlung. Diese zweite Alternative ist als Rechtsanspruch fixiert und damit für die Beschäftigten berechenbar.
Politisches Deckmäntelchen ohne Plan
Corona ist kein individuell bedingter Grund für Verzögerungen in der Erfüllung der arbeitsvertraglich vereinbarten Aufgaben und Pflichten. Wie in anderen Bereichen der Gesellschaft wurde und wird nach Kompensationsmöglichkeiten gesucht, damit Qualifizierungen und befristete Projekte erfolgreich weitergeführt beziehungsweise abgeschlossen werden können. Das ist positiv, genauso wie die schnelle, gesetzliche Realisierung der gefundenen Regelungen.
In der Wissenschaft sieht die Lösung folgendermaßen aus. Die Politik hat nur einen Bereich geregelt: Den Qualifizierungsbereich. Anstatt eine für die Beschäftigten überschaubare, planbare Lösung – die GEW hat dazu ausführlich Vorschläge unterbreitet – voranzutreiben, ist ein politisches Deckmäntelchen entstanden. Die Höchstbefristungsdauer kann um ein halbes Jahr und bei Andauern von Corona-bedingten Einschränkungen per Verordnung um maximal ein weiteres halbes Jahr erweitert werden. Dies bedeutet, dass kein Rechtsanspruch weder auf Nutzung, noch auf Ausschöpfung dieser Rahmenerweiterung besteht. Die Erfahrungen mit der familienpolitischen Komponente, die in gleicher Weise geregelt ist, zeigen die große Zurückhaltung der Hochschulen und Forschungsinstitute bei der Nutzung dieser Möglichkeit.
Gestaltungsspielräume verbindlich nutzen
Im Bereich der Drittmittelforschung und der dortigen Befristung ist von den meisten Geldgebern eine »Corona-Verlängerung« der Finanzierung und damit der Befristungen zugesagt worden. Dies ermöglicht kurzfristig den Abschluss der Projekte, zieht jedoch aus der Sicht der Betroffenen klar nach sich, dass diese Verlängerungen auf die Zwölf-Jahresfrist angerechnet wird und damit die folgende Qualifizierungsmöglichkeit einschränkt. Für den Bereich der studentischen Beschäftigung ist gar nichts geregelt. Keine Erweiterung der in diesen Fällen verfügbaren Rahmenzeit von sechs Jahren, kein Verlängerungsanspruch, kein Finanzierungsausgleich. Und das obwohl sich das Studium unter Umständen Corona-bedingt verlängert. Kombiniert man diese Nichtregelung mit den zynischen Kreditgewährungen im BAföG-Bereich, dann sind die Studierenden, die am stärksten von Corona betroffene Gruppe im Wissenschaftsbereich.
Was können wir tun? Erstens ist die Information über die geänderten Rahmenbedingungen in geeigneter Form für die Beschäftigten zugänglich zu machen. Eine Erweiterung der GEW-Kommentierung zu »Befristeten Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft« ist bereits auf dem Weg.
Beschäftigte können entsprechende Anträge auf Verlängerung stellen. Da es keinen Rechtsanspruch auf Bewilligung dieser Anträge gibt, müssen zur wirksamen Nutzung dieser Verlängerungsoptionen politische Entscheidungen getroffen werden. Berlin hat sich mit den Bemühungen zur »Guten Arbeit in der Wissenschaft« auf den Weg begeben, Befristung zu gestalten, Möglichkeiten wie die familienpolitische Komponente verbindlich umzusetzen, mehr Dauerarbeitsverhältnisse zu etablieren, sowie Personalentwicklung an den Hochschulen zu etablieren und umzusetzen. Dieser Weg kann und muss um verbindliche Verlängerungsoptionen für alle Beschäftigten, unabhängig davon, ob sie zur Qualifizierung, im Drittmittelbereich, als studentische Hilfskraft oder als befristet Beschäftigte in Technik, Service und Verwaltung beschäftigt sind, ergänzt werden. Selbst wenn auf der Bundesebene nur geringfügige oder halbherzige Kompensationen beschlossen worden sind, sind Berlin und seine Hochschulen und Forschungseinrichtungen nicht daran gehindert, weitergehende Regelungen umzusetzen. Berlin hat begonnen, verbindlichere Befristungskonzepte umzusetzen. Jetzt muss auch ein Corona-Schritt folgen. Aller Erfahrung nach wird das für Beschäftigte, Personal- und Betriebsräte und die Gewerkschaften ein hartes Stück Arbeit. Gemeinsam können und werden wir es schaffen!