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Schule

Berliner Schulen allein im Neuland

Im Bereich der Digitalisierung gibt es Bewegung. Wie die anfängliche Freude über Dienstgeräte schnell in Frust umschlug und was in Zukunft anders laufen muss, skizzieren unsere Autor*innen.

Foto: Adobe Stock

Berlin hat seit etwas mehr als einem Jahr eine Digitalisierungsstrategie für den Schulbereich, eine Stabstelle soll den Aufbruch der Schulen in digitale Welten organisieren. Zeit, einmal Bilanz zu ziehen und den Stand der Dinge mit unseren gewerkschaftlichen Forderungen abzugleichen.

Laut der Website der Senatsbildungsverwaltung läuft es mit der Digitalisierung in Berliner Schulen: »Es entwickelt sich eine neue Lern- und Unterrichtskultur. Die herkömmliche Lernpraxis wird zu innovativen Lernsituationen unter Einbezug digitaler Medien umgestaltet. Lernen heißt hier, sich auf das Leben in der Informationsgesellschaft vorzubereiten.«

Wer die Praxis kennt, fühlt sich beim Lesen dieser Zeilen unweigerlich in ein Paralleluniversum versetzt, oder in ferne Zukunftswelten. Woran liegt das und wo klemmt es?

 

Dienstgeräte bleiben teure Buchstützen

 

Am Geld hat es schon mal nicht gelegen. Das Land Berlin hat in 2021 über 36 Millionen Euro für Endgeräte für Lehrkräfte und weiteres pädagogisches Personal ausgegeben, pro Stück kostet allein das Tablet mit Zubehör knapp 1.000 Euro. Endlich ein dienstliches Endgerät, mit dem jetzt in Berliner Schulen das Ende der Kreidezeit eingeläutet werden soll, freuten sich viele Kolleg*innen. Zu früh gefreut?

Seit 2021 können wir beobachten, dass die Senatsbildungsverwaltung ein ganz spezielles Verständnis einer One-Device-Strategie an den Tag legt. Motto: Erst das Gerät, dann die (virtuelle) Infrastruktur und ein Gerät für alle, aber nicht für jede*n. Schauen wir genauer hin, wo der Fehler im System ist: Laut »Nutzungsvereinbarung« dienen die Endgeräte für »Organisation, Vorbereitung und Durchführung des Unterrichts, sowie zur Erledigung administrativer Tätigkeiten«. Weil jedoch die Nutzung privater mobiler Endgeräte für dienstliche Zwecke im Land Berlin verboten ist und Computer-Arbeitsplätze in den Schulen Mangelware sind, müssten Pädagog*innen bereits nach einem Bruchteil ihres Arbeitstages den Ausflug in die ‚Schule in der digitalen Welt‘ aus Rücksicht auf ihre Gesundheit beenden. Denn unter ergonomischen Gesichtspunkten sind die Tablets lediglich für mobiles oder kurzzeitiges stationäres Arbeiten geeignet, nicht aber als stationäre Arbeitsplätze, an denen die von der Senatsbildungsverwaltung geforderten Aufgaben umfänglich erfüllt werden könnten. Dazu wären zusätzliche Peripheriegeräte (Monitor, Maus, und so weiter) erforderlich, zudem ergonomische Arbeitsstühle, Schreibtische und Beleuchtung – denn die Arbeitsstättenverordnung gilt auch für Pädagog*innen. Mit Zwang, Verboten und ohne Mitsprache der schulischen Beschäftigten in die digitale Welt durchstarten? Wohl kaum.

Laut der Senatsbildungsverwaltung ist der Rollout seit diesem Sommer abgeschlossen. Viele Kolleg*innen haben ein Endgerät erhalten und könnten damit arbeiten. Könnten? Eine kleine Anfrage hat im Februar diesen Jahres ergeben, dass von 43.540 Lehrkräften lediglich etwa 19.000 Kolleg*innen ihr Endgerät auch überhaupt nur einmalig aktiviert haben. Daran dürfte sich seitdem wenig geändert haben. Die Zahl der aktiv genutzten Geräte fällt noch geringer aus, das zeigt der Blick in die Schulen. Dass die mobilen Dienstgeräte ein massives Akzeptanzproblem haben, überrascht nicht. Denn es fehlt noch immer an Funktionalität, Ausstattung und sicheren Nutzungsbedingungen. Von der Infrastruktur in den Schulen, der Ausstattung von Schüler*innen und einem attraktiven Fortbildungsangebot ganz zu schweigen. Zudem braucht es Regelungen, die Beschäftigte vor ausufernder Kommunikation schützen und dem Druck zu ständiger Erreichbarkeit eine klare Absage erteilen.

Die Senatsbildungsverwaltung wäre besser beraten gewesen, wenn sie die dienstlichen Endgeräte im Sommer 2021 nicht überstürzt eingeführt hätte. Zu diesem Zeitpunkt war die Funktionalität der Geräte erheblich beschränkt und bei vielen Kolleg*innen wandelte sich die anfängliche Freude schnell in Frustration. Der richtige Weg wäre gewesen, die Bedarfe der verschiedenen Schulformen vor der Beschaffung zu berücksichtigten. Klar, der Arbeitgeber ist verpflichtet, geeignete Arbeitsmittel für seine Beschäftigten zur Verfügung zu stellen, daran lässt die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine Zweifel. Aber folgt daraus, dass es ein Endgerät für alle Zwecke und Arbeitszusammenhänge sein muss? Wir finden: Klares Nein! Daraus folgt: Wenn diese Geräte ihre Lebensdauer überschritten haben, muss die nächste Beschaffung mehr Auswahl für Kolleg*innen und Bedarfe der unterschiedlichen Schultypen bieten und die schulischen Beschäftigtenvertretungen müssen frühzeitig einbezogen werden.

 

Wichtige Gruppen bleiben außen vor

 

Entgegen der Aussagen der Behörde hat die Implementierungsstrategie der Senatsbildungsverwaltung außerdem einen großen Bogen um einige Beschäftigtengruppen gemacht. So gingen die Lehramtsanwärter*innen bisher leer aus. Wir finden das nicht nur ungerecht, sondern können über die verschenkte Chance nur den Kopf schütteln. Gerade die Referendar*innen bringen jede Menge neue Ideen mit in die Schulen und können während ihrer Ausbildung auch mal Neues ausprobieren, wozu später im Berufs-alltag nur noch wenig Zeit bleibt. Zumindest wurde nun kürzlich angekündigt, dass auch Referendar*innen demnächst Geräte erhalten sollen. Beim weiteren pädagogischen Personal gab es jedoch eine Rolle rückwärts der Senatsbildungsverwaltung. Viele Erzieher*innen und Betreuer*innen haben anders als ursprünglich angekündigt kein eigenes Dienstgerät erhalten, sondern sollen sich mit einer Poollösung zufriedengeben. Die Senatsbildungsverwaltung scheint nicht alle in die digitale Welt mitnehmen zu wollen.

Auch der verkürzte Blick auf Schule verblüfft: Wenn innerschulische Organisation und Kommunikation zunehmend digital stattfinden, wenn das Potential für Medienbildung und digital gestützte pädagogische Angebote auch außerhalb von Unterricht sehr groß ist, dann reicht es nicht aus, wenn sich die Digitalisierungsstrategie der Senatsbildungsverwaltung fast ausschließlich auf den Unterricht fokussiert und dabei Ganztag und multiprofessionelle Teams völlig außen vor lässt.

Mit diesem Stückwerk, anstatt einem nachhaltigen und beteiligungsorientierten Aufbau der digitalen Infrastruktur, hat die Senatsbildungsverwaltung den Beschäftigten einen Bärendienst erwiesen. Denn durch die Festlegung auf dieses eine Gerät sind Kompatibilität und individuelle Lösungen je nach Schulprofil von vornherein stark limitiert. Das erstaunt, denn empirisch wurde gezeigt, dass Lehrkräfte hoch motiviert sind, digital gestützt zu arbeiten und weniger Stress durch Digitalisierung empfinden, wenn sie sich an ihren Schulen aktiv mit der Digitalisierung beschäftigen können. Dafür brauchen die Kolleg*innen jedoch Zeitressourcen und eigene Gestaltungsmöglichkeiten. »Digitaler Stress« wurde verursacht durch fehlende Funktionen und Leistungsfähigkeit der schulischen IT Systeme, die Sorge, dass die Technik nicht funktionieren könnte und sich für den Fall absichern zu müssen, dass die Technik ausfällt. Schade, dass diese Studie erst nach der Beschaffung der Geräte veröffentlicht wurde, wer hätte das ahnen können.

Aber nun mal positiv: Wie stellen wir uns denn das gemeinsame digital gestützte Lehren und Lernen in der Zukunft vor? Diese und andere didaktische und bildungspolitische Fragen sollten doch eigentlich im Mittelpunkt stehen. Die Senatsbildungsverwaltung mit ihrer Digitalisierungsstrategie – aber vor allem wir Pädagog*innen vor Ort, müssen den schulischen Digitalisierungsprozess mit Leben füllen. Dafür bedarf es nicht zuletzt einer deutlichen Steigerung der Ressourcen im Bereich der Fort- und Weiterbildung. Die Kollegien brauchen dringend mehr Zeit und nachhaltige Qualifizierungsangebote, um Schule und Unterricht zeitgemäß mitgestalten zu können. Dazu gehören aus unserer Sicht zusätzliche Studientage, gemeinsame Fortbildungsangebote an den Schulen vor Ort, Blended-Learning-Formate und vor allem festangestellte Medienpädagog*innen vor Ort an den Schulen, die den Prozess kontinuierlich begleiten und unterstützen. Einen solchen Transformationsprozess gibt es nun mal nicht zum Nulltarif und er ist aller Erfahrung nach nur erfolgreich, wenn das pädagogische Personal aktiv mitgestaltet.            

 

Bildung in der digitalen Welt. Online verfügbar unter: www.digitalisierung-studie.de

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
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