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Kinder-, Jugendhilfe und Sozialarbeit

Betriebsratsgründung ist nicht einfach

Welche Hindernisse es zu überwinden gibt, wenn sich Beschäftigte der Kinder- und Jugendhilfe zusammenschließen und ihre Rechte einfordern, davon berichtet Dean Gärtner.

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Foto: Adobe Stock

bbz: Wie seid ihr Mitarbeiter*innen der Kinder lernen Leben gGmbH (KileLe) dazu gekommen, einen Betriebsrat zu gründen und warum?

Gärtner: Es war eine Sache, die im Träger schon länger thematisiert wurde, aber immer wieder ins Leere gelaufen ist, weil der Ansatz der Falsche war. Es wurde zum Beispiel die Frage an die Geschäftsleitung gestellt: »Wollen wir nicht mal einen Betriebsrat gründen?«. Da ist es logisch, dass die Geschäftsleitung sagt: »Na wieso denn, bei uns läuft es doch.«

Es gab also keinen konkreten Anlass?

Gärtner: Es gab Gespräche im Vorhinein, weil ich nach über zwei Jahren im Betrieb dachte, diese Arbeitsbedingungen, Arbeitsbelastungen, Überstunden und das Gehalt sind prekär. Wenn man es mit anderen Berufen vergleicht, mit anderen Bereichen oder sogar anderen Trägern, empfinde ich da schon große Unterschiede. Auch wenn die schlechten Arbeitsbedingungen oft vom Senat hausgemacht sind und nur politisch gelöst werden können, kam irgendwann dennoch der Gedanke auf, einen Betriebsrat zu gründen. Ich wollte meinen Teil dazu beitragen, dass sich endlich etwas ändert.

Wie haben deine Kolleg*innen reagiert, als du mit deiner Idee auf sie zugekommen bist?

Gärtner: Die Rückmeldungen auf meine Idee waren erst einmal grundsätzlich sehr positiv. Aber wenn ich mich mit Kolleg*innen außerhalb des Trägers unterhalten habe, wurde ich immer wieder gewarnt: »Sei da echt vorsichtig.«. Wenn man einen Betriebsrat gründet, muss einem klar sein, dass man in die Schusslinie gerät. Ich habe versucht, alles unter dem Radar, mit so wenigen Leuten wie möglich zu machen. Denn sind zu viele Menschen beteiligt, kann schnell was nach außen gelangen und gerade in der Vorbereitungsphase war es wichtig, sich bedeckt zu halten. Ich wusste ja, dass unsere alte Geschäftsleitung in meinen Augen unberechenbar war.

Du hattest schon Mitstreiter*innen, die mit dir zusammen den Betriebsrat gegründet haben, oder?

Gärtner: Genau, die wirklich ausgesprochene Idee kam bei einem Mitarbeiter*innenfest auf, da standen wir zu viert, haben uns darüber unterhalten und dann gesagt: »OK, wir müssen jetzt einen Betriebsrat gründen.«. Von den vier Leuten haben sich dann zwei aufstellen lassen und damit kam das so langsam ins Rollen.

Waren die Kolleg*innen besorgt?

Gärtner: Ja, es gab eine riesige Besorgnis. Auf der einen Seite gab es den »Kampfeswillen«, endlich was zu tun. Da ist einer, der traut sich, was zu machen, und da machen wir mit. Auf der anderen Seite hatten Kolleg*innen Angst, gekündigt zu werden und Angst vor Repressalien, wenn sie sich kritisch äußern. Bei einer Betriebsversammlung hat zum Beispiel eine Kollegin, die sich immer gut mit der Geschäftsleitung verstanden hatte, den Mund aufgemacht und im Nachhinein wurde ihr in respektloser Art und Weise entgegnet.

An welchem Zeitpunkt habt ihr dann die Geschäftsführung einbezogen?

Gärtner: Ich weiß nicht, wann sie es mitbekommen haben. Letztendlich hat es die Geschäftsleitung mit der Einladung zur ersten Betriebsversammlung, die wir über die GEW BERLIN einberufen haben, um einen Wahlausschuss zu wählen, mitgekriegt. Eine Reaktion darauf kam nicht wirklich. Es hieß immer nur, dass sie sich freuen, dass es jetzt auch einen Betriebsrat gibt. Aber es war von Anfang an klar, dass es nur eine Phrase und damit nicht ernst gemeint war, was sich im Nachhinein auch bestätigen sollte.

Ihr habt also eure erste Betriebsversammlung mit Hilfe der GEW BERLIN organisiert?

Gärtner: Ja, richtig, ohne die GEW BERLIN wäre es gar nicht möglich gewesen, wofür ich bis heute sehr dankbar bin.

Wie viele Mitarbeiter*innen vertretet ihr jetzt?

Gärtner: Es sind so um die 180 Mitarbeiter*innen, immer kurz unter der 200er Marke. Wir haben eine hohe Fluktuation und werden gleichzeitig immer größer. Gerade diese 200er Marke ist in der Diskussion ein großes Thema. Mit dieser Marke hätten wir über das Betriebsverfassungsgesetz die Möglichkeit, eine geplante Freistellung von insgesamt 40 Stunden pro Woche für Betriebsratsmitglieder durchzusetzen. Wenn das der Fall ist, können die 40 Stunden entweder auf ein oder mehrere Betriebsratsmitglieder übertragen und aufgeteilt werden. Dann ist man für diese Stunden von der eigentlichen Arbeit befreit und macht Betriebsratsarbeit.

Wie viele Mitglieder hat euer Betriebsrat?

Gärtner: Momentan sind wir sieben Personen im Betriebsrat, plus einige Ersatzkandidat*innen.

Habt ihr da eine Freistellung?

Gärtner: Eine volle Freistellung gibt es nicht und das ist ein großes Problem. Ich habe von Anfang an gesagt: »Eine richtig runde Sache kann es nur werden, wenn die Freistellung durchgesetzt wird.« Mein Ansatz war, wenn man das Gremium hat, muss man versuchen, alle mitzunehmen. Das ist nicht so einfach. Die meisten, die sich haben aufstellen lassen, wussten erst einmal nicht so richtig, was Betriebsratsarbeit überhaupt bedeutet. Sie wussten zwar, dass der Betriebsrat ein Mitbestimmungsgremium ist, aber was das konkret bedeutet, welche Verantwortung, welche Aufgaben das beinhaltet und was es in den Auswirkungen auch für die Kolleg*innen in dem eigentlichen Arbeitsfeld bedeutet, das war vorher überhaupt nicht bekannt. Ein Problem dabei ist, dass wir für Betriebsratsarbeit freigestellt werden müssen. Und genau diese ungeplante Freistellung ist, besonders im stationären Bereich bei 24-Stunden-Schichten, schlicht unmöglich umzusetzen. Wir können die zu betreuenden Menschen nicht einfach allein lassen und den anderen Kolleg*innen aus den Projekten nicht zumuten, Überstunden zu machen, um die Zeit für die Betriebsratsarbeit in den Gruppen abzufedern.

Und wie ist der Stand jetzt?

Gärtner: Wir haben es mit viel Druck tatsächlich geschafft, dass ich als Vorsitzender zumindest mit zwölf Stunden freigestellt bin. Aber zwölf Stunden, das ist ein Tropfen auf dem heißen Stein. Damit schaffe ich vielleicht gerade mal so das Strukturelle, vereinzelt Gespräche mit Kolleg*innen, wo Nöte sind, aber ansonsten nichts. Ich komme so an die inhaltlichen Themen gar nicht ran.

Wie ging es denn nach der Wahl des Betriebsrates weiter? War es schwierig, eure Rechte durchzusetzen?

Gärtner: In den ersten Wochen ging es erst einmal. Was die alte Geschäftsleitung gut konnte, war, uns kleine Dinge zu geben, wie zum Beispiel den Bürobedarf. Wo sie gekontert hat, war besonders bei dem Thema Freistellungen, was eigentlich die wichtigste Ressource ist, um überhaupt ins Arbeiten zu kommen. Die hat sie uns nicht gegeben und damit waren wir nicht arbeitsfähig, beziehungsweise nur sehr bedingt.

Haben unter den schwierigen Bedingungen alle Betriebsratsmitglieder durchgehalten?

Gärtner: Nein. Wir haben viele Kolleg-*innen gehabt, die gegangen sind. Auch die Stellvertretung hat irgendwann gesagt, dass es ihr zu viel Arbeit ist. Es haben alle gemerkt, was wirklich dahintersteckt. Und dann ärgert es mich wirklich sehr, wenn Kolleg*innen kommen und sagen: »Na, warum hat denn der Betriebsrat bis heute noch kein Ergebnis?«, und ich muss immer wieder erklären, dass man Ressourcen braucht, um ein Ergebnis zu haben. Ein Kuchen lässt sich auch nicht ohne Zutaten backen. Wir wollten eine Fortbildung machen zum Thema »Aufgaben und Arbeitsweisen des Betriebsratsvorsitzenden«: Wie leitet man eine Sitzung? Wie geht man mit politischen Entscheidungen um? Wie delegiert man die Arbeiten? Wir haben dazu einen Beschluss gefasst, konnten den aber nicht umsetzen, weil der Träger im letzten Jahr wirtschaftlich große Schwierigkeiten hatte und uns von der alten Geschäftsführung nahegelegt worden ist, die Fortbildung abzusagen. Wir bekamen nicht einmal einen Einblick in die Zahlen, um eine solche Entscheidung richtig abzuwägen.

Ihr habt wahrscheinlich keinen Anspruch auf einen Wirtschaftsausschuss?

Gärtner: Darum streiten wir uns momentan. Eine Forderung, die ich an die Politik stelle, ist, das Betriebsverfassungsgesetz nicht nur von der Wirtschaft her zu denken. Sozialen Trägern werden massiv Steine in den Weg geworfen. Bestes Beispiel ist das Thema Tendenzbetriebe und im weiteren Sinne die gesetzlichen Sonderrechte der kirchlichen Träger, die dafür sorgen, dass die demokratischen Mitbestimmungsrechte eingeschränkt werden. Letzteres trifft für uns zwar nicht zu, aber dafür umso mehr die Frage: Ist ein sozialer Träger, der eine gemeinnützige GmbH und nicht kirchlich ist, wirklich ein Tendenzbetrieb? Nach meiner Auffassung nicht, da hier erstens mit Steuergeldern gearbeitet wird und damit eine hohe Verantwortung einhergeht und zweitens Geschäftszahlen zwingend vollumfänglich offengelegt werden sollten. Wir werden oft mit dem Thema Tendenzschutz konfrontiert, was es unmöglich macht, Wirtschaftsausschüsse zu gründen. In der Kinder- und Jugendhilfe wird ein Betriebsrat dadurch nicht richtig arbeitsfähig. Und das ist ein massives Problem, weil die Arbeitsbedingungen in dem Bereich aufgrund der Finanzierung schlecht sind.

Wird es durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz leichter für Betriebsräte oder für Beschäftigte, die einen Betriebsrat gründen wollen?

Gärtner: Ob die bisherigen Änderungen Betriebsräte praktisch stärken oder ob das Ganze nur ein Luftschloss ist, das kann jetzt erstmal nur die Praxis zeigen.

Gibt es spezielle Bereiche, wo eure Geschäftsführung gesagt hat, da könnt ihr mitbestimmen und andere Bereiche, wo sie sich vehement gesträubt hat?

Gärtner: Eine Geschäftsführung will oft natürlich bestenfalls ein Informationsrecht gelten lassen, aber selbst das ist manchmal schon zu viel. Wir kämpfen da von Anfang an harte Kämpfe. Wir haben beispielsweise Monatsgespräche mit unserer alten Geschäftsleitung geführt, um verschiedene Themen zu besprechen. Dann kamen wir aus so einem Gespräch raus und hatten so eine Wut, weil alles, was wir vorbereitet hatten, mit wenigen Worten kaputt gemacht wurde und wir nicht gewappnet waren, dagegen anzukommen. Es fehlte die Erfahrung, das inhaltliche Wissen, die Strategie, wie man mit Menschen umgeht, die in Leitungspositionen sind. Das ist mit das Schwierigste: auszuhalten, dass man eben auch zu keinem Ergebnis kommt und das dann gegenüber der Belegschaft zu erklären.

Das klingt nach viel Kampf und der hört ja eigentlich auch nicht auf. Betriebsrat und Geschäftsführung lernen vielleicht im Laufe der Zeit einen Umgang miteinander oder es gibt eine gewisse Akzeptanz durch die Geschäftsführung, aber die Interessen sind trotzdem verschieden.

Gärtner: Wir haben jetzt eine neue Geschäftsleitung, die den Fokus ganz anders setzt und mit uns konstruktiv zusammenarbeiten will. Bei einem Zukunftspapier, das die Geschäftsleitung ausgearbeitet hat, habe ich beispielsweise den Impuls gegeben, den Blick mehr auf die Mitarbeitenden zu setzen. Es wird nachgearbeitet und allein diese Bereitschaft, Verbesserungen anzunehmen, ist eine komplett andere Arbeit, als die, die wir vorher kennengelernt haben.

Es besteht ja auch eine große Notwendigkeit dafür, weil überall Fachpersonal fehlt. Wir müssen die Kolleg*innen in den Blick nehmen, wenn wir möchten, dass sie bleiben und nicht am Ende die Träger, die die besseren Bedingungen und mehr Partizipation bieten, die Gewinner sind.

Gärtner: Richtig, das ist ein großes Spannungsfeld. Wir fangen gerade mit Gehaltsverhandlungen an. Dabei ist unser Fokus natürlich gleichermaßen auch auf andere Themen gerichtet, wie Arbeitszeit und Arbeitsbelastungen.

Es braucht ein dickes Fell in der Betriebs­­ratsarbeit, oder? Auch um nicht alles persönlich zu nehmen.

Gärtner: Das ist wirklich das Schwerste. Es gibt Menschen, die können das sehr ein-fach, mir fällt es oft nicht so leicht. Ich bin ja trotzdem ein Mensch. Aber jede*r wächst mit den eigenen Aufgaben.  

Tendenzbetrieb

Ein Tendenzbetrieb ist laut Betriebsverfassungsgesetz ein Betrieb, bei dem die Gewinnerzielung nicht im Vordergrund steht, sondern politische, erzieherische, wissenschaftliche oder künstlerische Ziele. Der Zweck dieser Einschränkung ist es, die Ausübung der Grundrechte (zum Beispiel der Freiheit der Presse, Religion, Kunst und Wissenschaft) ohne Einschränkung durch betriebliche Mitbestimmung zu sichern.

Damit gehen Einschränkungen der Beteiligungsrechte des Betriebsrats einher, beispielsweise bei der Einstellung und Versetzung von Tendenzträgern, also Personen, die inhaltlich prägend für das Unternehmen sind, aber vor allem im Bereich der wirtschaftlichen Angelegenheiten. So hat ein Betriebsrat hier nicht das Recht, einen Wirtschaftsausschuss zu gründen. Dieser könnte ohne eine Begründung Informationen, Unterlagen und Berichte in wirtschaftliche Angelegenheiten von der Geschäftsführung anfordern. Die Beteiligungsrechte des Betriebsrates bei Betriebsänderungen sind ebenfalls eingeschränkt.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46