Schwerpunkt "Ankommen nach der Flucht"
Beziehungsabbrüche vermeiden
Fachkräfte in Unterkünften für Geflüchtete leisten wichtige Unterstützung und bieten sichere Beziehungen. Dafür braucht es eine angemessene Bezahlung.
Die Kriege und ihre Auswirkungen auf die Menschen in diesen Ländern begleiten uns seit 30 Jahren. Und trotzdem ist es bei jedem neuen Ausbruch das gleiche Entsetzen über das Leid, das Menschen einander zufügen. Gerade geht es vor allem darum, dass alle aus der Ukraine ankommenden Menschen ein sicheres Bett für die Nacht haben, ausreichend Essen und medizinische Versorgung.
Dies findet derzeit in einem Zusammenspiel aus engagierter privater Unterbringung bei Menschen Zuhause, in Kirchengemeinden oder in kleinen, ehrenamtlich organisierten Notunterkünften statt. Aber auch in städtisch organisierter Unterbringung, wie beispielsweise den Messehallen oder Gemeinschaftsunterkünften.
Die Menschen leben oft mehrere Jahre in diesen Unterbringungen, weil es schwer ist in Berlin eine Wohnung zu finden, insbesondere für Menschen mit fremd klingenden Namen, für Schwarze oder People of Color und für Menschen mit geringem Einkommen. Nach wenigen Tagen im Ankunftszentrum leben sie Monate in sogenannten Aufnahmeeinrichtungen, in denen sie nicht selbst kochen dürfen, sondern dreimal am Tag mit Essen beliefert werden.
Dies ist für viele Menschen schwierig und nimmt ihnen völlig unnötigerweise Selbstbestimmung. In den ersten Monaten erhält fast gar kein Kind einen Schulplatz vom Bezirk und noch weniger finden einen Kitaplatz. Oftmals ist hier auch der Zugang zur medizinischen Versorgung noch schwierig, weil der Krankversicherungsschutz noch nicht richtig angelaufen ist.
Danach werden sie vom LAF in eine Gemeinschaftsunterkunft versetzt. Manchmal wechseln sie aus dieser auch noch einmal in eine andere Unterkunft – entweder, weil in der zugewiesenen Unterkunft ihr besonderer Schutzbedarf (zum Beispiel Krebserkrankung oder psychische Erkrankung) nicht berücksichtigt werden kann oder weil sie schon Jahre in schwierigen Unterkünften, wie Containerdörfern leben.
Wer nach Tarif zahlt, wird bestraft
Der Betrieb der Unterkünfte, die nicht von der Stadt selbst mit dem Landesbetrieb für Gebäudebewirtschaftung (LfG) betrieben werden, wird vom LAF gemäß europäischem Vergaberecht europaweit ausgeschrieben. In der Praxis gewinnen die Anbieter*innen, die den günstigsten Preis bieten, denn die 70 Prozent Punkte für das Konzept erreichen inzwischen fast alle Anbieter*innen gleichermaßen.
Der Preis wiederum wird fast ausschließlich durch die Personalkosten bestimmt und wer hier die geringsten Kosten bietet, hat also die besten Karten. Betreiber*innen, wie die AWO und einige andere Organisationen, die einen Tarifvertrag mit der Gewerkschaft abgeschlossen haben, sind derzeit nicht wettbewerbsfähig. Denn sie können keine günstigen Preise bieten. Wir verlieren bei den Ausschreibungen die von uns betriebenen Unterkünfte und müssen betriebsbedingte Kündigungen durchführen. Unsere Kolleg*innen haben keine sicheren Arbeitsplätze mehr, obwohl es nicht weniger Unterkünfte in der Stadt gibt.
Diese ständigen Wechsel der Betreiber*innen der Unterkünfte haben vielfältige Nachteile, auch für die Menschen, die in den Unterkünften wohnen. Eine Unterkunft ist im Umfeld mit durchschnittlich 30 Partner*innen vernetzt – Kitas, Schulen, Beratungsstellen, Stadtteilzentren, Sportvereinen, Volkshochschule, Kulturstätten, Jugendamt und andere bezirklichen Akteur*innen. Zudem engagieren sich Ehrenamtliche in Sprachcafés, Pat*innenschaften und vielem mehr. Um mit den neu angekommenen Menschen eine neue Perspektive aufzubauen, benötigt es all diese Akteur*innen. Es ist ein Gemeinschaftswerk.
Fachkräfte wandern ab
All diese Kooperationen reißen ab, wenn Betreiber-*innen wechseln. Auch das Engagement Ehrenamtlicher sinkt, denn gewachsene Beziehungen sind nicht einfach übertragbar. Das beginnt schon ein halbes Jahr vor der Übergabe und dauert mindestens ein halbes Jahr danach an. Ein Jahr, in dem die Bewohner*innen schlechter als notwendig begleitet werden. Auch die Kinder und Jugendlichen verlieren die für sie zuständigen Kinder- und Jugendbetreuer*innen in den Unterkünften. Dadurch erleben sie einen erneuten Beziehungsabbruch. Und bei fast allen Ausschreibungen wechselt die Betreiberorganisation.
All dies führt dazu, dass die Personalfluktuation sehr hoch ist. Mit den Kolleg*innen geht auch das Wissen verloren und davon braucht es sehr viel, denn zwischen Geburt und Tod sind alle Themen des Lebens in einer Unterkunft präsent und müssen begleitet und beraten werden. Zudem ist der von der Stadt vorgegebene Personalschlüssel sehr knapp bemessen (beispielsweise ein*e Sozialarbeiter*in pro 100 untergebrachten Personen). Darum arbeiten viele an und teilweise über ihrer Belastungsgrenze.
13 Betreiber*innen haben sich im letzten Jahr in einer Trägerinitiative zusammengeschlossen und diese hat, wie auch die LIGA der Wohlfahrtsverbände, Vorschläge zur Verbesserung des Vergabeverfahrens an die zuständigen Politiker*innen und die Senatsverwaltung übergeben und den Dialog angeboten. Wenn wir nach der gegenwärtigen Notsituation wieder Luft holen können, hoffen wir auf einen Veränderungsprozess, sonst werden in der Flüchtlingsunterbringung zukünftig nur noch Dumpinglöhne bezahlt.