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Kinder,- Jugendhilfe und Sozialarbeit

Beziehungsarbeit und Vertrauen

Dewi Försterling erzählt von ihrer Arbeit als Sozialpädagogin mit Jugendlichen in einer therapeutischen Wohngemeinschaft.

Foto: Adobe Stock

bbz: Erzähl doch mal, wie bist du zur Sozialen Arbeit gekommen?

Försterling: Ich bin schon immer gerne als Betreuerin auf Gruppenreisen mitgefahren. Es hat mir so einen Spaß gemacht, mit den Kindern und Jugendlichen zu verreisen und die Zeit zusammen zu verbringen, dass ich gedacht habe, ich bräuchte einen Job, der so etwas Ähnliches bietet. Und so bin ich dazu gekommen, in der DDR Heimerzieherin zu werden. Später habe ich noch einmal berufsbegleitend Sozialpädagogik studiert.

In welcher Einrichtung bist du tätig?

Försterling: Ich arbeite in einer therapeutischen Wohngemeinschaft für Kinder und Jugendliche im Alter von 14 bis 20 Jahren, die suizidgefährdet sind und sich in psychischen Krisen befinden.

Was unterscheidet eine therapeutische Wohngemeinschaft von anderen Arten der Unterbringung?

Försterling: Bedingung bei uns ist, dass die Jugendlichen eine Therapie machen, allerdings nicht innerhalb unserer Wohngemeinschaft. Sie brauchen alle eigene Therapeut*innen. Wir helfen ihnen bei der Suche, was zurzeit recht schwierig ist. Übergangsweise können auch die Kolleg*innen unserer Beratungsstelle und unsere therapeutische Leiterin die Jugendlichen psychologisch betreuen.

Und ihr vor Ort?

Försterling: Wir begleiten die Jugendlichen, organisieren ihr Leben und bieten intensive Gespräche an, allerdings immer in Abgrenzung zur Therapie. Wir haben zwar keine therapeutische Zusatzausbildung, werden aber von unserer Chefin gecoacht, die Therapeutin ist. In unseren Teamsitzungen und Supervisionen besprechen wir, wie wir mit den Jugendlichen in der Wohngemeinschaft arbeiten wollen und sind zudem im Austausch mit den Therapeut*innen. Wir arbeiten also in einem therapeutischen Milieu mit verschiedenen Berufsgruppen.

Die Jugendlichen kommen zu euch, nachdem sie vorher schon stationär psychiatrisch betreut worden sind?

Försterling: Ja, die meisten kommen direkt aus der Klinik, aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Es kommen aber auch Jugendliche übers Jugendamt, wenn Eltern sich dort hinwenden oder sie selbst um Hilfe bitten oder aus Krisenwohnungen.

Kannst du ein bisschen erzählen, wie sich dein Arbeitsalltag gestaltet?

Försterling: Man kommt in den Dienst, hat eine Übergabe mit der*m Kolleg*in für eine Stunde und dann ist man meistens allein mit den Jugendlichen, organisiert alles für das tägliche Leben und ist Ansprechpartner*in. Wir haben zwei Tage in der Woche, an denen wir Gruppenangebote anbieten können und uns besprechen können, da wir dann stundenweise zu zweit arbeiten.

Das heißt, dass man individuelle Betreuung eher nicht leisten kann?

Försterling: Das ist schon schwierig. Wir bieten einmal in der Woche Befindlichkeitsgespräche an, welche ungefähr eine Stunde dauern. Das ist dann ein Einzelkontakt, aber dass wir eine Unternehmung mit ihnen allein machen, ist eher selten. Es gibt die Regel, dass es mindestens zwei Jugendliche sein müssen, mit denen wir zum Beispiel ins Kino gehen. Wir sitzen auch mal mit Einzelnen im Gruppenraum, begleiten sie bei individuellen Terminen, bereiten Hilfeplangespräche mit den Jugendlichen vor und begleiten sie dabei. Grundsätzlich ist es eher Gruppenarbeit.

Was glaubst du, welche Kompetenzen man in diesem Job braucht?

Försterling: Wichtig ist, dass man gerne mit diesen Jugendlichen arbeitet, nicht die Lust verliert, emphatisch ist, Interesse an ihren Lebensgeschichten hat und eine systemische Sichtweise mitbringt. Man muss einen roten Faden haben, an dem sich die Jugendlichen orientieren können und sehr berechenbar sein. Eine liebevolle Strenge und Humor zugleich. Es geht ja letztlich um Beziehungsarbeit und Vertrauen.

Kannst du erzählen, warum du dich genau für diesen Schwerpunkt entschieden hast?

Försterling: Ich habe nach meiner Ausbildung erst mit behinderten Menschen gearbeitet, anschließend war ich in einem Kinderheim für sexuell missbrauchte Kinder und Verdachtsfälle tätig. Durch einen Trägerwechsel beim Kinderheim bin ich bei meinem jetzigen Träger gelandet, bei dem ich viele verschiedene Projekte kennengelernt habe, beispielsweise diese therapeutische Wohngemeinschaft für Jugendliche. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich mit Kindern und Jugendlichen arbeiten möchte, die aus schwierigen Verhältnissen kommen, bestimmte Traumata erfahren haben. Man kann sie gut erreichen und ihnen ein alternatives Modell anbieten, auf das sie zurückgreifen können.

Aber die Jugendlichen haben ja schon noch ein Elternhaus. Kommen die Eltern auch zu Besuch? Macht ihr Elternarbeit?

Försterling: Sie haben alle Eltern, mit denen mal mehr, mal weniger Kontakt besteht. Die Elternarbeit findet in dem Rahmen statt, dass wir regelmäßige Telefonate mit ihnen führen und unsere therapeutische Leiterin Gespräche anbietet. Je nach Situation und Bedarf werden gemeinsame Gespräche mit den Eltern und Jugendlichen geführt. Die Jugendlichen dürfen ihre Eltern auch besuchen und dort übernachten. Manche nehmen es in Anspruch, manche eben nicht. Manchmal ist es so, dass sich die Beziehung zu den Eltern während des Aufenthaltes bei uns in der Wohngemeinschaft verändert. In den meisten Fällen entspannt sie sich, weil sie von unserer therapeutischen Leiterin und von uns begleitet wird.

Was macht dir besonderen Spaß an deiner Arbeit?

Försterling: Ich gehe jeden Tag gerne zur Arbeit und ich freue mich auf die Jugendlichen. Es ist schön, wenn man merkt, dass sie das Beziehungsangebot annehmen. Sie werden in den Gesprächen ernst genommen, so dass sie einem aus ihrer Kindheit erzählen. Viele Jugendliche wenden sich an mich, wenn sie Probleme haben und sind interessiert daran, meine Meinung zu hören, was bestimmte Verhaltensmuster betrifft. Ich mache gerne Gruppenarbeit und Ausflüge. Aber ich finde es auch gut, mit ihnen zusammen zu sitzen und eine entspannte Atmosphäre zu haben, individuell mit ihnen zu arbeiten und so in Beziehung zu gehen und damit etwas zu erreichen.

Gibt es neben den positiven Sachen etwas, das schwierig ist, oder gibt es Dinge, beispielsweise in der Einrichtung oder Rahmenbedingungen, die besser sein könnten?

Försterling: Ein großes Problem ist der Personalmangel. Das ist bei uns besonders heikel. Wenn ein*e Kolleg*in zum Beispiel kündigt, haben wir nie gleich Ersatz, der die Stelle annimmt, und das heißt, dass wir monatelang unterbesetzt arbeiten. Für jede*n einzelne*n bedeutet es viele Überstunden und mehr Stress. Die Aufgaben verteilen sich auf weniger Mitarbeiter*innen. Zudem ist die Einarbeitung von neuen Kolleg*innen immer sehr anstrengend, weil es viel ist, was man ihnen nebenbei erklären muss. Wir hatten zeitweise eine Springerin, das war ein ganz gutes Konzept, aber sie hat wieder aufgehört und jetzt suchen wir wieder ein*e. Seit Monaten findet sich niemand. Man muss deshalb oft kurzfristig einspringen, umdisponieren, im Notfall hinfahren und Überstunden machen. Für das eigene Familienleben ist es eine echte Herausforderung.

Auch das Verhältnis von Leitung und Team ist immer wieder eine Herausforderung. Da habe ich manchmal das Gefühl, es wäre gut, wenn die Leitung ein bisschen mehr von der pädagogischen Arbeit mitkriegt und sehen würde, was wir alles allein im Dienst bewältigen. Das ist manchmal unglaublich, was wir alles meistern, wenn wir mit den sechs Jugendlichen arbeiten, die alle ihre Geschichten und Problemen mitbringen und nebenbei noch alles, was in der Wohnung anfällt.

Was würdest du dir wünschen, was die Arbeit nochmal angenehmer machen würde oder eine Erleichterung wäre?

Försterling: Ich würde mir mehr Wertschätzung wünschen. Es wird oft schneller kritisiert als gelobt. Man neigt dazu, die positiven Sachen nicht so zu benennen wie Dinge, die nicht gut laufen. Das gehört zur Mitarbeiter*innenpflege, vielleicht auch um Kolleg*innen länger zu halten. Und ich würde mir mehr Fehlerfreundlichkeit wünschen. Es ist ja logisch, wenn man einen 24-Stunden Tag alleine managt, dass mal was untergehen kann oder man einen falschen Satz sagt. Auf jeden Fall brauchen wir einen anderen Personalschlüssel.     

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46