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Gewerkschaft

Bildungsgewerkschaften in DDR und Wendezeit

Die politischen Umbrüche 1989/90 zogen sich auch durch Bildungseinrichtungen und Gewerkschaften der DDR. Der Weg zu einer neuen Bildungslandschaft war voller Herausforderungen.

Foto: privat

Die Ausführungen über die Zeit der Wende beziehen sich hauptsächlich auf Berlin. Sie sind nicht mit der Situation und der Gründung von GEW-Landesverbänden auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zu vergleichen. Berlin spürte die Vereinigung schneller, beeinflusst von der Durchmischung, den frühen kommunalen Wahlen im Mai 1990 in Ostberlin und der Doppelregierung von Ostberliner Magistrat und Westberliner Senat ab dem 3. Oktober 1990. Die Wahlen für ganz Berlin erfolgten im Dezember 1990. Es war eine Herausforderung für alle.

 

Die Stimmung in Berlin

 

Bevor ich zu den Ereignissen ab dem 9. November 1989 komme, werde ich ganz kurz die Stimmung in Berlin vor diesem einschneidenden Datum aus meiner Sicht darstellen.

Der Exodus in den Westen von DDR-Bürger*innen und deren Kindern war in der Wirtschaft, in den Schulen und Kitas zu spüren. Die monatlichen Proteste gegen die Wahlfälschungen vor Kirchen oder auf öffentlichen Plätzen waren nicht zu übersehen. Veranstaltungen in den Kirchen zogen immer mehr Menschen an. Die Entthronung Erich Honeckers durch Egon Krenz und das Politbüro machte dann jedem klar, dass die DDR vor einem Wendepunkt steht. Die Lehrkräfte sollten am Sonnabend, dem 4. November 1989 nicht dem Aufruf zur Demonstration für einen demokratischen Neuanfang folgen, sondern in die Schulen kommen. Es gab keine Reaktion gegenüber denen, die der Anweisung nicht folgten. Diskussionen über das Bildungssystem in der DDR und Gedanken über Veränderungen waren präsent, nicht flächendeckend, aber vorhanden. Zum 9. November hatte eine Gruppe von Wissenschaftler*innen, Ärzt*innen und Menschen, die Veränderungen wünschten, in die Kongresshalle neben dem Haus des Lehrers am Alex eingeladen. Ich war gebeten worden, auf mögliche Bildungsfragen einzugehen. Der Saal war übervoll und der Unmut über gesellschaftliche und ideologische Themen, Kindergartenerziehung und Schulen wurde unverblümt geäußert. Es war ein Anfang, aber die Situation änderte sich nach einer gewissen Zeit, der Saal leerte sich kontinuierlich. Diejenigen, die vorne saßen, konnten sich den Aufbruch nicht erklären und die Veranstaltung wurde dann früher als geplant beendet. Keiner der Anwesenden hatte den Mut gefunden, laut in den Saal zu rufen: »Die Mauer ist auf«. Mit der Maueröffnung war der Niedergang der DDR nicht mehr aufzuhalten.

Doch wie hatte alles begonnen? Der Berliner Lehrerverband war 1936 auf Weisung des Nationalsozialistischen Lehrerbundes (NSLB) aufgelöst worden. Im August 1945 wurde der Berliner Verband der Lehrer und Erzieher (BVL) als Rechtsnachfolger neugegründet. Nach dem ersten Kongress des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) im Februar 1946 wurde die Gewerkschaft der Lehrer und Erzieher im Sommer 1946 gegründet und 1950 in Gewerkschaft Unterricht und Erziehung (GUE) umbenannt. Der BVL löste sich 1948 vom FDGB und trat als eigenständige Gewerkschaft der Unabhängigen Gewerkschaftsopposition (UGO) bei. Nach dem Beitritt des BVL in die GEW als Dachorganisation im Mai 1950 existierte er bis 1968 weiter unter diesem Namen. Seither trägt die Organisation den Namen GEW BERLIN.

Die GUE war nicht unabhängig, die politische Führungsrolle der SED wurde anerkannt. Die Beschlüsse des FDGB-Bundesvorstandes mussten verpflichtend umgesetzt werden und Einzelgewerkschaften übernahmen die Rolle der aufgelösten Betriebsräte. In der DDR gab es kein Streikrecht. Die Zentralvorstände der Gewerkschaften verhandelten mit den Ministerien über arbeitsrechtliche Fragen. Die GUE existierte in der DDR bis zu ihrer Auflösung mit Wirkung vom 31. Oktober 1990. Die Berliner GUE-Mitglieder und die Mitglieder der im Januar 1990 neu formierten Gewerkschaft Wissenschaft traten im Herbst 1990 in die GEW BERLIN ein.

 

Forderung nach grundlegenden Reformen

 

Die Wochen nach der Maueröffnung fühlten sich unwirklich an. Der Alltag in Schulen und Kindergärten lief weiter und gleichzeitig war das ganze Berlin für alle offen. Der Wehrunterricht wurde abgeschafft und die Staatsbürgerkunde sollte auslaufen. Viele Lehrkräfte versuchten auf die neue Situation in den Klassenzimmern zu reagieren und offen die Probleme zu diskutieren, andere reagierten hilflos oder machten Unterricht nach Vorschrift. In den Lehrerzimmern wurde diskutiert, wie es weiter gehen sollte. Es wurde die Trennung der Bildung von den politischen Massenorganisationen gefordert. Keine Einflussnahme der SED in den Schulen, mehr Mitsprache der an Bildung Beteiligten und Entscheidungen auf Ebene der Schulen wurden verlangt. Es gab erste Kontakte zu Schulen in Westberlin.

Die Abteilung Volksbildung in den Bezirken, aber auch die Hauptamtlichen der GUE schienen abgetaucht. Es gab schon Ende 1989 einige marginale Zugeständnisse des Ministeriums in Sozialfragen als Ergänzungen zum Rahmenkollektivvertrag, aber das änderte nichts an der Situation. Der Rahmenkollektivvertrag regelte die Arbeitsbedingungen, die Löhne und Gehälter, Urlaub, freie Tage und vieles mehr, weil es keinen Tarifvertrag gab. Der Rahmenkollektivvertrag war ein Ergebnis von Gesprächen zwischen den Zentralvorständen der Gewerkschaften und den zuständigen Ministerien auf Grundlage von Beschlüssen der SED. Die Fassung von 1980 war gültige Grundlage mit entsprechenden Ergänzungen für die Volksbildung. Veränderungen gab es zum 1. März 1990, es wurde eine Klassenleiterstunde zusätzlich zur Verfügung gestellt und die Altersermäßigung und Hausarbeitstage wurden erweitert. Dies waren nicht die von den Beschäftigten erwarteten Verbesserungen.

Nach dem Rücktritt der GUE-Vorsitzenden Helga Labs Anfang Februar fand Ende Februar 1990 eine außerordentliche zentrale Delegiertenkonferenz der GUE statt. Auf dieser wurden ein neuer Zentralvorstand gewählt und Beschlüsse für eine Erneuerung der GUE gefasst. Es gab viele Delegierte, die einen Neuanfang und ein konkretes Handeln in Bezug auf die Durchsetzung der sozialen Interessen der Mitglieder forderten.

Als Gäste waren Mitglieder der GEW Bund und der GEW BERLIN anwesend. Das war mein erster Kontakt mit Funktionären aus dem Westen.

 

Streik und Neubeginn in der GUE

 

Die GEW BERLIN war mit dem mehrwöchigen Kitastreik Anfang 1990 beschäftigt und gleichzeitig versuchte sie, die vielen Anfragen von Lehrkräften und Erzieher*innen zu beantworten und mehr Kontakte nach Ostberlin zu realisieren. Es ist sehr spannend, in der blz Jahrgang 1990 Artikel darüber zu lesen.

Zur gleichen Zeit wurde in der DDR versucht, mit Hilfe eines Gewerkschaftsgesetzes künftige Streikmaßnahmen durch »Knebelregelungen« zu erschweren. Ilse Schaad, Leiterin des Ref A in der GEW BERLIN und natürlich auch die ÖTV sahen darin einen möglichen Angriff auf das Streikrecht in ganz Deutschland.

Im Bezirk Mitte wurden alle GUE-Mitglieder im April 1990 zur Wahl eines neuen Kreisvorstandes der GUE eingeladen. Die Aula in der Schule Weinmeisterstraße war bis auf den letzten Platz besetzt. Es wurden Forderungen nach höheren Löhnen, Kündigungsschutz und Reformen erhoben. Der Kandidat für den Kreisvorsitz war schon vor der Wende festgelegt worden, dagegen sprach ich mich aus. Dies führte dazu, dass ich vorgeschlagen und gewählt wurde. Ich lehnte eine hauptamtliche Funktion ab und wurde ehrenamtlich nach meinem Unterricht tätig. In den anderen zehn Stadtbezirken verlief es ähnlich, wir fingen von Null an. Wir Kreisvorsitzenden trafen uns regelmäßig und luden zu Mitgliederversammlungen ein, um so basisdemokratisch Entscheidungen treffen zu können. Gleichzeitig kümmerten wir uns um Beitragsfragen, Organisatorisches, Kontakte zur GUE-Zentrale, die Vorbereitung von Tarifauseinandersetzungen und Anfragen aus den Bildungseinrichtungen.

 

In der nächsten Ausgabe der bbz gibt es eine Fortsetzung, in der es um die aufregende Zeit bis zur Wiedervereinigung geht.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
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