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Schulbau

Bildungsleuchttürme in Neukölln

Wie aus einer Krise ein Neustart werden kann, hat die Rütli-Schule gezeigt. Heute wächst im Süden Neuköllns der Campus Efeuweg. Das Campusmodell soll insbesondere in problematischen Quartieren eine entscheidende Rolle bei der Schulentwicklung spielen.

Bundesweit als positives Beispiel bekannt geworden ist der Campus Rütli im Norden des Bezirks Neukölln. Dort wies das Kollegium vor zehn Jahren mit einem »Brandbrief« auf die nicht mehr auszuhaltende Lage hin. Das Versagen des klassischen dreigliedrigen Systems war in allen Medien Thema. Große Hoff­nung wurde damals in die Neuorientierung auf eine gemeinsame Erziehung gesetzt. Und deutlich wurde, dass Bil­dungseinrichtungen schon in der Kind­heit der Schüler ''innen ansetzen müssen und andererseits der Bildungsauftrag nicht mit der 10. Klasse endet. Rütli ist ein Vorbild für Campusentwicklung geworden und auch im Süden Neuköllns entsteht aus der ehemaligen Liebig-Schule, der Walt-Disney-Grundschule und dem OSZ Lise-Meitner ein weiterer Campus.Innerhalb des Straßendreiecks Lipschitzallee, Rudower Straße und Fritz-ErIer-Allee im Neuköllner Ortsteil Buckow wächst der Campus Efeuweg.

Viele Anlässe zur Neuorientierung

Wegen Asbestproblemen kam es im 1977 bis 1979 errichteten Lise-Meitner-Oberstufenzentrum (OSZ) an der Rudower Straße zu Neubauplänen. Nachdem klar war, dass die 1988 abgewanderte Clay­ Oberschule nicht mehr auf ihr altes Grundstück zurückkehrt, bekam das OSZ dieses Gelände für ihren Neubau. Damit rückte sie ein Stück näher an die beiden anderen Schulen . Als in den letzten zehn Jahren auch in der Gropiusstadt die Schüler'''innenzahl zurückging, stellte sich die Frage, ob und welche der bestehenden Schulen wegen der sinkenden Zahlen geschlossen wer­ den. Das spürten vor allem die Liebig-Oberschule und die benachbarte Walt-Disney-Grundschule, die auch bei den Schulinspektionen schlecht abge­schnitten hatten. »Am Anfang der Neu­entwicklung stand die Feststellung, dass es wie bisher nicht weitergehen kann«, sagte Reinald Fischer, damals noch Schulleiter der Liebig-Schule. Statt aber dicht zu machen, entschied sich der Bezirk die zwei unbeliebten Schulen bei einem Neustart zu unterstützen . Die Idee des Campus Efeuweg war geboren. Im Jahr 2013 dann endlich der Startschuss: Walt-Dis­ney-Schule und Liebig-Schule schlossen sich zusammen und wurden zur Gemeinschaftsschule Campus Efeuweg.

Der Campus Efeuweg nimmt Form an

Unter Leitung von Eduard Heußen trafen sich der Neuköllner Bildungsstadtrat Jan Rämer, der leitende Schulrat Meinhard Jacobs sowie Vertreter*innen der Sozial­ und Bildungseinrichtungen aus der süd­lichen Gropiusstadt, mit dem Ziel, im Sü­den Neuköllns einen neuen Bildungsleucht­turm zu schaffen und ein Modell der ko­ordinierten und systematischen Zusammenarbeit im Stadtteil zu entwickeln.

Unser erster Eindruck, als wir im No­vember 2016 den Tatort besuchen: Überall wird gebaut! Der eher im schlichten Stil der frühen 50-er Jahre errichtete Hauptbau der früheren Liebig-Oberschule wird kontrastiert durch einen attraktiven Anbau für den Ganztagsbetrieb. Damit wurden 2011 eine großzügige Aula/Men­ sa und neue Unterrichtsräume geschaffen. Der Haupteingang wurde völlig neu gestaltet. Und kurz vor Baubeginn steht bereits ein Ergänzungsbereich der Grund­ schule mit der Campus-Bibliothek.

Noch in der Planung ist das zukünftige Forum. Das gilt auch für das Zentrum für Sprache und Bewegung, in das außer schulischen Räumen die Volkshochschule (VHS), eine öffentlich zugängliche Cafete­ria und die Musikschule einziehen sollen . Direkt angebunden werden in Zukunft auch ein moderner Sportplatz und das Kombibad Gropiusstadt. Alle Einrichtungen des künftigen Campus sollen durch den zu einer Promenade umgestalteten Efeuweg verbunden werden und sich zum Forum hin öffnen. Hinter der alten Turnhalle der Clay-Oberschule wächst schließlich auch noch der imposante Neubau des Oberstufenzentrums in die Höhe. Der Campus nimmt langsam Formen an.

Durch die bruchlose Erziehung von der ersten bis zur zehnten Klasse und die an­ schließenden möglichen Perspektiven auf das Abitur oder eine berufliche Ausbil­dung am OSZ erhofft sich die Schule, dass mehr Kinder aus bildungsorientier­ ten Elternhäusern kommen. Schon jetzt werden im Sekundarbereich durch eine enge naturwissenschaftliche Kooperation mit dem OSZ zusätzliche Bildungsangebote gemacht und neue Perspektiven auf­ gezeigt . »Unser Ziel ist es, möglichst viele Schüler*innen nach der Grundstufe in der Gemeinschaftsschule zu halten«, er­ klärt Fischer. Die positive Entwicklung zeige sich bereits in den Anmeldezahlen der ersten Klassen, auch die Anmeldezahlen für die 7. Klassen entwickelten sich positiv. Besonders großen Zulauf haben die an der Gemeinschaftsschule neuge­schaffenen Laptopklassen.

Fast fertig, aber gebaut wird noch

Schauen wir in den Norden von Neukölln: Vieles ist an der ehemaligen Rütli-Ober­schule inzwischen geschehen. Christina Rau, Frau des ehemaligen Bundespräsi­denten, wurde Rütlis Schirmherrin, Stif­tungen und Quartiersmanagement engagierten sich. Es kamen Schulpsycholo­g*innen und Sozialarbeiter''innen, die auch Türkisch und Arabisch sprechen, Elternarbeit wurde verstärkt.

Aus der Rütli-Schule wurde der Campus Rütli mit Kitas, Sport- und Freizeitstätten und der Gemeinschaftsschule, in der drei Schulen fusioniert wurden: die Franz­ Schubert-Grundschule, die Rütli-Haupt­schule und die Heinrich-Heine-Realschule . Schließlich bekam der Campus auch noch eine gymnasiale Oberstufe, an der im Jahr 2014 die ersten Schüler'·innen das Abitur abgelegt haben. Von den 23 Schüler'·innen des ersten Abiturjahrganges haben 18 alle Prüfungen bestanden. Allerdings gibt es auch hier noch viele Baustellen, wie wir bei unserem Besuch der Schule erfahren. Die Schulleiterin Cordula Heckmann ist in ihrem Büro in­ mitten des riesigen Baugeländes des neu­ en Campus kaum zu finden. Sie residiert im ältesten Teil des Ensembles. 1908/1909 wurde die Schule als Gemeindeschule gebaut und entwickelte sich nach dem ersten Weltkrieg als Standort der »entschiedenen Schulreformer«.

Heute ist der imposante Altbau der Kern des Campus Rütli. Bereits fertig ist die eindrucksvolle Quartiershalle, die sich sowohl für Sportveranstaltungen wie auch für Theateraufführungen eignet, da sie mit einer Bühne ausgestattet ist. Aktuell wird der Grundschulteil der Gemeinschaftsschule gebaut, denn die Grund­schüler'''innen sind im Moment noch im 500 Meter entfernten Gebäude der ehemaligen Franz-Schubert-Grundschule untergebracht. Noch nicht fertig sind die Werkstätten der Schule sowie das Stadt­teilzentrum, das einmal für verschiedene Zwecke und schulische und außerschuli­sche Nutzer*innen dienen soll.

Zwischen vegan und halal

An den Veränderungen des Campus Rütli wird die soziale Entwicklung des Quartiers, das häufig als Kreuzkölln bezeichnet wird, deutlich. Heckmann charakteri­siert diese Veränderung der Elternschaft mit den Worten »zwischen halal und ve­gan« eher ironisch, aber durchaus zutref­fend. In der Grundstufe hat sich durch den Zuzug bildungsorientierter Familien die soziale Zusammensetzung bereits verändert. Bisher liegt die Übergangsquo­te in die Sekundarstufe erst bei 50 Prozent, was sicher auch an der räumlichen Distanz der Grundstufe liegt, aber auch daran, dass sich das Vertrauen der Eltern in die pädagogische Kompetenz der Schule erst langsam aufbaut.

Das wird sich ändern, wenn der Cam­pus erst einmal fertig ist, zumal die Schule mit einer eigenen gymnasialen Ober­stufe punkten kann. Übergangsquoten sind nur eine von vielen Punkten in der täglichen Arbeit im Sozialraum. Heckmann erwähnt regelmäßige Elterntreffen, um gemeinsam mit externen Spezialist*innen Erziehungsprobleme zu diskutieren. Das pädagogische Profil der Schule reflektiert zudem die Mehrsprachig­keit, indem Türkisch und Arabisch anstelle der zweiten Fremdsprache unter­richtet und zertifiziert werden. Hinzu kommt die Weiterführung der traditionellen Orientierung der ehemaligen Franz­ Schubert-Schule auf musikalische Früherziehung, die jetzt erfolgreich in der Se­kundarstufe fortgesetzt wird.

Der Campus Rütli hat vorgemacht, wie man mit einem solchen Verbund im sozi­alen Raum Perspektiven eröffnen kann. Und für den Campus Efeuweg hat er den Weg geöffnet, der sehr vielversprechend erscheint und Schule machen wird.


Ulrich Meuel, ehemaliger stellvertretender Schulleiter der Fritz-Korsen-Schule, Klaus Will, ehemaliger geschäftsführender Redakteur der bbz