Schwerpunkt „Gesund in kleineren Klassen“
Da kommt jedes Kind mal dran
Während des Lockdowns haben die Lehrkräfte erfahren, wie es ist, in kleinen Lerngruppen zu unterrichten. Daraus lassen sich Rückschlüsse ziehen für unsere Forderung nach kleineren Klassen.
Vermutlich werde ich den 15. April 2020 so schnell nicht vergessen: Ganze drei Stunden hatte ich auf die Pressekonferenz der damaligen Kanzlerin gewartet. Dann war klar, dass der Lockdown verlängert würde und die Schulen weiterhin geschlossen bleiben mussten. Am nächsten Tag hatte ich mein erstes »Lernvideo« für meine Klassen gedreht. Auf meinem Laptop und ohne jegliche Erfahrung mit Videodreh oder -schnitt. Mit jedem Video hat das besser geklappt und es hat mir das Gefühl gegeben, zumindest im Ansatz meinem Lehrauftrag nachzukommen. Dennoch war ich mehr als froh, als die Schulen teilweise geöffnet wurden und der Unterricht vor Ort wieder möglich war.
An meiner damaligen Schule wurden wochenweise halbe Klassen in der Schule beschult, während es für die andere Hälfte Aufgaben für zu Hause gab. Viele Eltern hatten sich für dieses Modell ausgesprochen, weil es für sie leichter war, eine Betreuung ihrer Kinder ganztägig zu organisieren. Die Coronaschutzmaßnahmen wurden sehr ernst genommen, da es sowohl unter den Kindern, als auch bei den Angehörigen Menschen mit einem hohen Risiko für einen schweren Verlauf gab.
Wie lernen Kinder eine Sprache ohne sie zu sprechen?
Damals hatte ich Unterricht in zwei Klassen: Eine dritte und eine vierte Klasse in Englisch. Wie sollte ich den Schüler*innen eine Sprache beibringen, wenn wir nicht miteinander sprechen können? Wieder begann meine Suche nach einem geeigneten Weg, meinen Schüler*innen eine Sprache beizubringen ohne auf die gängigen Methoden zurückgreifen zu können: Singen, Dialoge, Partner*innenarbeit und Gruppenarbeit waren nicht möglich. Wenn ich neue Vokabeln einführte, musste ich damit rechnen, dass sie durch meine Maske falsch verstanden wurden. Mein Unterricht damals war zwangsläufig vor allem frontal. Aber dennoch haben sich die meisten Schüler*innen auf die Schule gefreut, vielleicht sogar mehr als vor der Pandemie.
Mehr Zeit für jedes einzelne Kind
Der Wechselunterricht ist auch so etwas, das ich so schnell nicht vergessen werde. Ich möchte nicht missverstanden werden: Nichts an der Pandemie ist gut und eine kritische Betrachtung der Coronaschutzmaßnahmen ist völlig legitim. Im Nachhinein ist man sowieso immer klüger. Damals war ich froh, zumindest einen Teil der Klasse vor Ort unterrichten zu können. Ich habe das sogar genossen, denn weniger Schüler*innen – nicht nur in der Klasse, sondern in der ganzen Schule – bedeuten einfach auch weniger Lärm und weniger Konflikte, mehr Zeit für jedes einzelne Kind.
Der Englischunterricht ist überwiegend mündlich. Schüchterne Kinder haben immer das Problem, dass sie ihre Fähigkeiten kaum einbringen und diese deshalb kaum wahrgenommen werden können. Im Wechselunterricht kamen alle Schüler*innen häufiger dran. Schüchternheit spielte in der kleinen Gruppe keine Rolle mehr. Kinder, die sich schnell ablenken ließen, haben im Wechselunterricht viel konzentrierter mitgearbeitet. Insgesamt konnte ich bei allen meinen Schüler*innen im Präsenzunterricht einen Leistungszuwachs wahrnehmen. Das mag aber auch daran gelegen haben, weil es in der kleinen Gruppe viel leichter war, die Leistung jeder einzelnen Schüler*in zu sehen.
Mit den kleinen Klassen, wie sie im Tarifvorhaben Gesundheitsschutz gefordert werden, ist der Wechselunterricht natürlich nicht zu vergleichen, denn ich hatte insgesamt nicht weniger Schüler*innen und es war eine zusätzliche Belastung, für die Kinder im Homeschooling auch Aufgaben zur Verfügung zu stellen. Aber dass weniger Schüler*innen im Schulalltag eine wirkliche Entlastung sind, hat der Wechselunterricht deutlich gezeigt.