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Schule

»Das Gleichstellungsziel muss top-down gesteuert werden«

Was genau Gender Budgeting ist, welche Herausforderungen bestehen und worin die Chancen für eine gerechtere Verteilung der Gelder liegen, darüber spricht Renée Parlar.

Foto: Kay Herschelmann

Gabriel und Peiser: Gender Budgeting ist für viele sehr abstrakt. Könnten Sie kurz erläutern, was damit gemeint ist?

Parlar: Gender Budgeting wird in München Gleichstellungsorientierte Haushaltssteuerung genannt. Damit ist klar, dass es um die Planung und Steuerung des Finanzhaushalts, sowie um die Verwendung der Finanzmittel im Sinne der Gleichstellung geht.

Es soll Transparenz über die Verwendung der Finanzmittel hergestellt werden. Wer profitiert von den verwendeten Finanzmitteln und welche Auswirkungen haben sie auf die Gleichstellung? Wenn sichtbar ist, dass die Gelder nicht gerecht verteilt sind und das eine nachteilige Wirkung auf die Gleichstellung hat, kann entsprechend gegengesteuert werden.

Es geht aber nicht nur um Ausgaben, auch bei Haushaltskürzungen sollen die Lasten und Nachteile gerecht verteilt und negative Wirkungen auf die Gleichstellung vermieden werden.

Gender Budgeting ist Gender Mainstreaming mit dem Fokus auf Finanzen. Geld regiert die Welt. Und wenn wir Gleichstellung wollen, müssen wir beim Geld anfangen: Gender Budgeting ist der Turbogang zur Gleichstellung.

 

Was sollte dringend verändert werden, um einen geschlechtergerechten Haushalt herbeizuführen?

Parlar: Die konsequente Verfolgung des Gleichstellungsziels muss top-down gesteuert werden. Die Ergebnisverantwortung muss bei der obersten Leitungsebene liegen. Die Mitarbeiter*innen brauchen Schulungen, die verpflichtend sind. Bereits in der Verwaltungsausbildung muss Gleichstellung als Fachaufgabe vermittelt werden. Die in der Verwaltung vorhandene Gender Kompetenz muss genutzt und gestärkt werden.

Es braucht mehr Öffentlichkeitsarbeit und die Einbeziehung der Zivilgesellschaft. Wichtig ist auch Gender Budgeting als Lernprozess für alle beteiligten Akteur*innen zu begreifen. Gender Budgeting verändert bestehende Routinen und dass geht nicht von heute auf morgen.

 

Worin sehen Sie die größten Herausforderungen?

Parlar: Gerade in Zeiten, in denen die Gelder knapper werden, muss Gleichstellung ganz oben auf der Agenda stehen.

 

In Berlin erhalten die Lehrkräfte aller Schulformen die Einstufung E 13 / A 13. Die Gleichwertigkeit der Arbeit ist demnach anerkannt. Die Aufstiegschancen an den verschiedenen Schulformen sind jedoch ungleich und dort besonders gering, wo prozentual die meisten Frauen arbeiten. Könnten hier Argumente und Analysen von Gender Budgeting genutzt werden?

Parlar: Aus dem aktuellen Beschluss der LDV »Aufstiegschancen angleichen. Mehr Funktionsstellen für Grundschulen und Förderzentren« geht deutlich hervor, dass die Karrieremöglichkeiten auch stark von den Ressourcen in der Personalentwicklung abhängig sind. Im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit und Gleichstellung ist es daher folgerichtig, hier mehr Ressourcen einzufordern.

 Es ist eine Struktur, die sich so gut wie durch alle Bereiche der Gesellschaft zieht, dass Frauen ganz selbstverständlich nebenbei unbezahlt Routinearbeiten erledigen und auch deshalb weniger Zeit haben ihre Karrieren zu verfolgen.

Das macht den Lehrer*innenberuf in Grundschulen oder Förderzentren wahrlich nicht attraktiv, insbesondere, wenn Lehrerinnen, die auch Mütter sind, und sowieso schon eine Doppelbelastung haben. Bei dem derzeitigen Lehrer*innenmangel ist das eigentlich ein zwingendes Argument.

 

Sie waren bereits als Expertin beratend tätig, als Gender Budgeting vor 20 Jahren im Berliner Haushalt implementiert wurde. Dennoch haben nur wenige Bürger*innen davon Kenntnis. Wie ließe sich das verändern?

Parlar: Die Themen Gleichstellung und Ressourcengerechtigkeit also Geld, Zeit sowie bezahlte und unbezahlte Arbeit müssen stärker in den Fokus der Öffentlichkeit. Seit einigen Jahren sind endlich die Themen ›Gender-Pay-Gap‹ und die unbezahlte beziehungsweise unterbezahlte Care-Arbeit in der Öffentlichkeit angekommen. Beides sind Gender-Budgeting--Themen und es ist genau genommen ein Skandal, dass Veränderungen in diesen Bereichen so mühsam sind. Damit Themen, die Frauen betreffen, in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen werden, braucht es immer noch sehr viel Zeit und sehr viel (unbezahlte) Arbeit.

Wie ich vorhin schon gesagt habe, gibt es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Geld und Gleichstellung. Damit die Menschen mitbekommen, dass mit Gender Budgeting Geld für die Gleichstellung genutzt werden kann, braucht es Öffentlichkeitsarbeit, wenn möglich auch bezahlt.

 

Wie stehen Sie zu Positiv- und Negativsanktionen?

Parlar: In Österreich ist Gender Budgeting in der Verfassung verankert und muss in allen öffentlichen Haushalten berücksichtigt werden.

In Deutschland ist Gender Budgeting zwar nicht in der Verfassung verankert, jedoch steht im Grundgesetz, dass der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern fördert und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinwirkt.

Auch sind alle Mitgliedsstaaten der EU verpflichtet, Gender Mainstreaming anzuwenden, um die Gleichstellung zu erreichen.

Daraus ließe sich sicherlich eine Vorgabe ableiten, die Sanktionen bei Nichterfüllung ermöglichen würde. Positive Sanktionen könnten außerdem die Motivation steigern.

 

Zum Schluss die »Zauberfrage«: Was würden Sie als Finanzministerin sofort verändern?

Parlar: Die Fachressorts können ihre Haushaltpläne beim Finanzministerium nur mit Gleichstellungsprüfungen aller gleichstellungsrelevanter Finanzpositionen einreichen. Zur Einführung dieser Vorgabe würde es eine angemessene Frist geben.         

 

 

Einladung zur ersten berlinweiten Frauenversammlung

Montag, 27. März 2023, 12 – 15 Uhr

Friedrichstadt-Palast

Thema: Gender Budgeting

Wie kann Geschlechtergerechtigkeit bei der Verteilung öffentlicher Gelder in Schulen gelingen?

 

• Eingeführt wird durch ein Inputreferat durch Frau Dr. Mara Kuhl, Leitstelle Geschlechtergerechte Haushaltssteuerung bei der Senatsverwaltung für Finanzen Berlin

 

• Diskussionsrunde mit der Senatorin für Bildung, Frau Busse, dem Senator für Finanzen, Herrn Wesener und der Staatssekretärin für Gleichstellung, Frau Naghipour

 

Wir freuen uns auf dich!

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46