Schule
Das neue Schuljahr startet mit vielen Problemen
Der Lehrkräftemangel ist gravierend und die Anforderungen in den Schulen sind hoch.
Auch zu Beginn dieses Schuljahres konnten nicht alle Lehrkräftestellen besetzt werden. Laut Senatsbildungsverwaltung fehlen Stand Ende August 650 Lehrkräfte-Vollzeitstellen. Laut GEW BERLIN liegt diese Zahl aber eigentlich viel höher, nämlich bei circa 1.500 Vollzeitstellen, denn die aktuelle Zahl kommt nur zustande durch erhebliche Einschnitte. Durch die Kürzung der Profilstunden II wurden berlinweit 310 Lehrkräftestellen gestrichen.
Da alle Referendar*innen jetzt mit 10 statt bisher mit 7 Unterrichtsstunden pro Woche auf den Bedarf der Schulen angerechnet werden, fallen 160 Lehrkräftestellen aus der Berechnung. Diese werden jetzt durch Mehrarbeit der Referendar*innen abgedeckt, wodurch die Ausbildung immer mehr an den Rand gedrängt wird. Weiterhin sind 341 Lehrkräftestellen in andere Professionen umgewandelt worden. Auch die umgewandelten Lehrkräftestunden fehlen faktisch, da andere Professionen nicht 1:1 Lehrkräftetätigkeiten übernehmen können. Die Senatorin hingegen präsentierte voller Stolz, dass die getroffenen Maßnahmen bereits Wirkung zeigen, wohingegen Grüne und Linke wie die GEW die »Rechentricks« deutlich kritisierten und die Rücknahme der Maßnahmen forderten.
Viele neue Lehrkräfte ohne volle Lehrbefähigung
Von den aktuell 4.762 neu eingestellten Lehrkräften, mit Stand August 2024, haben nur 1.111, knapp ein Viertel, eine vollständige Lehramtsausbildung, wobei darunter rund 350 pensionierte Lehrkräfte sind. Weiterhin wurden 3.300 Seiteneinsteiger*innen beziehungsweise Lehrkräfte ohne volle Lehrbefähigung eingestellt, darunter etwa 550 Studierende, Lehrkräfte an Willkommensklassen und Lehrkräfte mit internationalen Lehramtsabschlüssen. Das sind fast 70 Prozent aller neu eingestellten Lehrkräfte, die ganz überwiegend befristet eingestellt werden.
Eine Zahl, die alle politisch Verantwortlichen aufhorchen lassen sollte, ist die hohe Zahl an Kündigungen, die es vergangenes Schuljahr gegeben hat. 1.000 Lehrkräfte haben den Dienst quittiert. Das ist kein Pappenstiel. Sicher gibt es viele Gründe dafür, die belastenden Rahmenbedingungen dürften hierzu aber nicht unerheblich beigetragen haben. Die Verbeamtung hat weder als Haltefaktor noch als Anreiz für Berufseinsteiger*innen einen nennenswerten Effekt. Der Anteil der Absolvent*innen des Referendariats, die anschließend im Land Berlin eingestellt werden, liegt seit Jahren relativ konstant bei circa 80 Prozent.
Individuelle Zuwendung ist kaum möglich
Die Auswirkungen des jahrelangen Personal- und Schulplatzmangels sind deutlich spürbar. Berlinweit gibt es mittlerweile eine permanente Lehrkräfteunterausstattung, die Schulen waren im vergangenen Jahr nur zur 97,2 Prozent mit Personal ausgestattet, wobei bestimmte Standorte manchmal noch weit darunterlagen. Eine Konsequenz, die alle Schulbeteiligten zu spüren bekommen, ist: die Klassen werden größer.
Den gestiegenen Schüler*innenzahlen stehen im Verhältnis weniger Lehrkräfte gegenüber. Dies macht sich insbesondere an Grundschulen und Integrierten Sekundar- und Gemeinschaftsschulen (ISS/GemS) bemerkbar – an jenen Schulen, die in der Regel sehr viele Schüler*innen mit Unterstützungsbedarf haben. Die Schüler*innen/Lehrkräfte-Relation stieg laut Blickpunkt Schule in den vergangenen Jahren von 2018/19 bis heute insbesondere an den Grundschulen (von 14,3 auf 14,7) und ISS/GemS (von 11 auf 12,1) an, nur an Gymnasien gab es leichte Verbesserungen (von 15,5 auf 14,2).
Auch im Ganztag betreuen Erzieher*innen oft nicht – wie festgelegt – 22 Kinder, sondern mehr als 40 Kinder, weil im Personalschlüssel auch Zeiten für Urlaub, Fortbildung, Krankheit und mittelbare pädagogische Arbeit enthalten sind. Eine individuelle Zuwendung ist kaum möglich.
Eine weitere Konsequenz ist der Ausfall von Unterrichtsstunden. Im Schuljahr 2023/24 fielen von durchschnittlich 618.000 zu leistenden Unterrichtsstunden pro Woche fast 21.000 Unterrichtsstunden an den allgemeinbildenden Schulen und 3.100 Stunden an den berufsbildenden Schulen aus. Das sind 26.100 Stunden pro Woche, nochmal 3.000 mehr als im Jahr davor.
Der Mangel im Bereich des schulischen Personals stößt auf sehr hohe und diverse Anforderungen. Sehr viele Kinder erreichen in den ersten Grundschuljahren nicht die Mindeststandards im Lesen und Rechnen. Bei den Vera-Vergleichsarbeiten erreichten 43 Prozent der Berliner Drittklässler*innen beim Lesen und beim Hörverständnis nicht den Mindeststandard. In Mathematik blieben 46 Prozent unter den Mindestanforderungen. Fast die Hälfte der Schüler*innen benötigt sehr viel gezielte Förderung. Vor diesem Hintergrund ist höchst bedenklich, dass die Aufhebung von Teilungsunterricht nach wie vor die mit Abstand am häufigsten gewählte Maßnahme zur Vermeidung von Unterrichtsaufall darstellt. 48,7 Prozent aller Vertretungsleistungen an den allgemeinbildenden Schulen und 41,8 Prozent an den beruflichen Schulen entfallen im Schuljahr 2023/24 auf diese Kategorie.
Der Senat hat nicht alle Kinder im Blick
Hinzu kommt, dass sämtliche gesellschaftliche und politische Entwicklungen auch in den Sozialraum Schule Eingang finden und dort verhandelt werden. So sind die Auswirkungen der Pandemie, der Kriege in der Welt, des Klimawandels, der digitalen Transformation und des Rechtsrucks in den Schulen präsent. Viele Kinder und Jugendliche erleben eine große Verunsicherung und leiden nachweislich unter Ängsten, Depressionen und anderem. Das bedeutet, dass viele Kinder auch im emotionalen Bereich gezielte Unterstützung durch das pädagogische Personal brauchen.
Bedingt durch den Personalmangel werden auch Kinder mit Behinderungen oder Fluchtgeschichte zum Teil von schulischen Angeboten ausgeschlossen. Circa 1.000 Kinder mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten sind laut Betroffenenverbänden nur teilweise in der Schule oder von einem zeitweisen Schulausschluss betroffen. Fatal ist das Signal der Senatsbildungsverwaltung, die den Rechtsanspruch auf inklusive Bildung als nicht erfüllbar ansieht. Dabei ist Berlin zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet. Eine ähnliche Grundhaltung kommt im Zusammenhang mit den erforderlichen Schulplätzen für geflüchtete Kinder und Jugendliche zum Ausdruck. Anstatt in den Bezirken mit Hochdruck an integrativen Lösungen zu arbeiten, werden hunderte geflüchtete Kinder und Jugendliche in separaten Schulstandorten untergebracht. In Tegel besuchen 248 Kinder und Jugendlich die sogenannte »Willkommensschule Tegel«. Auf dem Tempelhofer Feld sollen 144 Schulplätze in Containern bereitgestellt werden. Viele der neu zugewanderten Kinder und Jugendlichen, mit Stand Juli 1.600, warten auf einen Schulplatz.
Es gibt sehr viele »Baustellen« im Bereich Schule. Für Verbesserungen braucht es einen politischen Willen und eine deutliche Kraftanstrengung aller Akteur*innen. Die GEW BERLIN bringt sich mit konkreten Ideen und Forderungen ein.
FORDERUNGEN der GEW BERLIN
Die GEW BERLIN hat im Rahmen einer Pressekonferenz Forderungen zum Schuljahresstart präsentiert:
• Rücknahme der Kürzungen bei den Profilstunden und der Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung der Referendar*innen
• keine weiteren Kürzungen
• deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen zur Entlastung des schulischen Personals
• konkrete Verbesserungen für den Quereinstieg
• deutlich mehr Unterstützung und langfristige Perspektiven für Seiteneinsteiger*innen
• Entfall der Hürden bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse
• Umsetzung der inklusiven Schule, Besuch von regulären Schulen für geflüchtete Kinder und Jugendliche
• Stärkung des Bildungs- und Erziehungsauftrages