Schule
Demokratie in Gefahr
Orcun Ilter vom Landesschülerausschuss Berlin erklärt im Interview, warum Engagement für Demokratie an Schulen entscheidend ist und welche Maßnahmen jetzt notwendig sind.
bbz: Die letzte Shell-Jugendstudie bilanziert, dass mehr Jugendliche als vor fünf Jahren autokratisch-autoritäre Positionen unterstützen, wobei 75 Prozent weiterhin ein hohes Vertrauen in die Demokratie haben. Spiegeln sich diese Ergebnisse auch an Ihrer Schule wider?
Orcun Ilter: Ich sehe die Herausforderung an vielen Berliner Schulen. Gerade autokratisch-autoritäre Positionen etablieren sich stärker innerhalb der Schüler*innenschaft. Auch ist zu beobachten, wie Antisemitismus und Diskriminierung sich stärker ausbreiten. Dies ist an vielen Schulen in Berlin zu sehen und in Zukunft zu befürchten.
Der Landesschülerausschuss Berlin hat zusammen mit den ostdeutschen Landesschüler*innenvertretungen unter anderem Forderungen zur Stärkung der politischen Bildung und Medienkompetenz formuliert. Wie kam es zu dieser engen Zusammenarbeit?
Ilter: Im Frühjahr 2023 haben wir gemeinsam auf das Thema »Rechtsextremismus an Schulen« aufmerksam gemacht. Nach dem Wahlverhalten vieler junger Menschen bei den letzten Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen und vor der Bundestagswahl intensivierten wir die Zusammenarbeit. Das Papier zur Stärkung der politischen Bildung zeigt, wie wichtig politische Bildung ist und welche Auswirkungen jetzt schon sichtbar sind.
Welche Unterschiede gibt es zwischen Berlin und den ostdeutschen Flächenländern?
Ilter: Berlin hat andere Herausforderungen, etwa durch den Einfluss sozialer Medien, zum Beispiel beim Nahostkonflikt. Dennoch ist in Zukunft zu befürchten, dass das Erstarken rechtsextremistischer Positionen auch in Berlin erfolgt und somit auch Parallelen mit den ostdeutschen Ländern zu finden sind.
Sie fordern mehr Aktualitätsbezug, Europabildung und Medienkompetenz. Wie könnte das umgesetzt werden, ohne andere Fächer zu überlasten?
Ilter: Diese Themen sind entscheidend. Es bedarf einer Überarbeitung des Rahmenlehrplans und der Stärkung außerschulischer Angebote.
Was können Lehrkräfte schon jetzt tun, um ein besseres Politikverständnis zu fördern?
Ilter: Lehrkräfte können aktuelle politische Themen einbringen, Medienkompetenz vermitteln und die Auseinandersetzung mit sozialen Medien fördern. Demokratie sollte erlebbar gestaltet werden. Deshalb fordern wir, realitätsnahe Projekte in den schulischen Alltag zu integrieren, die in enger Kooperation mit lokalen Institutionen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen entwickelt und umgesetzt werden sollten.
Sie schlagen Planspiele wie »Model United Nations« vor. Wie können diese Formate für alle Altersstufen zugänglich und interessant werden?
Ilter: »Model United Nations« ist nur ein Beispiel. Beteiligungsformate sollten Schü-ler-*innen die Bedeutung von Demokratie und Mitgestaltung näherbringen. Bereits Grundschulkinder können durch interaktive Formate wie zum Beispiel beim Schüler*innen-Haushalt erreicht werden, um Demokratie greifbar zu machen.
Die AfD ist auf TikTok reichweitenstärkste Partei. Polarisierung erzeugt mehr Aufmerksamkeit als abgewogene Positionen. Gibt es eine Chance, dem rechten Diskurs in sozialen Medien entgegenzuwirken?
Ilter: Ja, durch die Förderung von Aufklärungskanälen mit Faktenchecks. Schon jetzt gibt es einige Beispiele, die zu grundlegenden Themen oder zu politischen Behauptungen regelmäßig Fakten checken. Ein Beispiel gäbe es auf TikTok mit dem Kanal »fakecheck_offiziell«. Öffentlich-rechtliche Medien sollten ihre Social-Media-Angebote ausbauen. Auch Schulen müssen präventiv aufklären und gegen Falschinformationen vorgehen.
Positionspapier der Landesschüler*innenvertretungen »Politische Bildung – Demokratie beginnt im Klassenzimmer«