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Tendenzen

Den Opfern ein Gesicht geben

Es ist an der Zeit, an die zwei verfolgten Kolleg*innen Henriette Salomon und Max Wohlfahrt zu erinnern, ihnen anhand der spärlichen Informationen ein Gesicht zu geben und zu gedenken.

Stolperstein and Candles in loving memory of holocaust Victims
Foto: Adobe Stock

Eine Wissenschaftlerin machte mich auf den Jahresbericht 1933 des Direktors der Staatlichen Augusta-Schule und damit auch auf die Kolleg*innen aufmerksam. Meine Recherche begann. Recht schnell kam mir dabei das Antikriegslied von Pete Seeger in den Sinn, das er als Vertreter der amerikanischen Friedensbewegung im Jahr 1955 geschrieben hat: »Where have all the flowers gone…?« Den deutschen Text sang Marlene Dietrich: »Sag mir wo die Blumen sind, wo sind sie geblieben?«

Im Juni 2019 fand im Hochbunker Pallasstraße/Schöneberg auf dem Gelände der Sophie-Scholl-Schule eine Ausstellung mit Zeichnungen, Objekten, Fotografien und einer Performance statt. Es waren die Ergebnisse eines Kunstprojekts von Schüler*innen der neunten, zehnten und elften Klassenstufe. Der Titel der Ausstellung war: »Zeichnen gegen das Vergessen«. Unterstützt wurde diese Präsentation von dem österreichischen Maler Manfred Bockelmann, der auch anwesend war. Er zeichnet Porträts von in Konzentrationslagern ermordeten Kindern, die von der Nachwelt nicht nur als Nummern registriert werden sollen, sondern als Menschen. Er möchte den Opfern »Gesichter« geben.

Ich werde versuchen, unserer Kollegin Henriette Salomon und unserem Kollegen Max Wohlfahrt ihre Identität wieder zu geben, wenngleich die überlieferten Fakten spärlich sind. Ihre Gesichter sind leider nicht bekannt und es ist niemand mehr da, der sie uns zeigen könnte.

Wo ist Henriette Salomon geblieben?

Henriette Salomon wurde am 30.06.1889 geboren. Seit dem 01. April 1932 unterrichtete sie die Fächer Deutsch, Griechisch und im Nebenfach Geschichte an der Staatlichen Augusta-Schule in Berlin-Schöneberg. Henriette Salomon wurde zum Ende des Schuljahres 1932/1933 zu Ostern wegen ihres jüdischen Glaubens mit Wirkung zum 01. Dezember 1933 nach § 3 BBG, dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, aus dem Schuldienst entfernt und mit dem Berufsverbot belegt. Sie emigrierte im gleichen Jahr in die Niederlande und wohnte in Amsterdam in der Jakerstraße 21. Im Berliner Adressbuch des Jahres 1941 wurde sie dennoch unter »Studienreferendarin, Schmargendorf, Marienbader Str. 2 T…« geführt. Warum ist sie in die Niederlande emigriert? Hatte sie dort Freund*innen? Konnte sie sich nicht vorstellen, dass die Nationalsozialisten dieses Land jemals besetzen würden? Im Jahr 1940 hielten sich etwa 30.000 Flüchtlinge in den Niederlanden auf. Am 27. Januar 1943 wurde sie in das Konzentrationslager Herzogenbusch (Vught) eingeliefert, am 20. Mai 1943 in das »Polizeiliche Durchgangslager« Westerbork. Die Baracken waren überfüllt und schmutzig. Essensgerüche, menschliche Ausdünstungen, Stimmengewirr, Gebrüll und Schreierei machten das Leben unerträglich. Von Westerbork fuhren regelmäßig Pendelzüge in das Vernichtungslager Auschwitz. Eine Anfrage an die Gedenkstätte des Lagers Westerbork in den Niederlanden vom 11. Dezember 2019 erbrachte noch folgende Information: Sie starb am 09. September 1943 und wurde vier Tage später im Krematorium verbrannt. Es ist nicht bekannt, wo ihre Asche oder die Urne beigesetzt sind. Normalerweise wurden die Überreste an einen jüdischen Friedhof in der Nähe von Amsterdam übergeben.

Wo ist Max Wohlfahrt geblieben?

Max Wohlfahrt war am 21. Mai 1888 in Berlin geboren worden. Er hatte am 8. September 1906 die Reifeprüfung abgelegt und war nach erfolgreichem Studium seit dem 1. April 1929 Studienrat mit der Lehrbefähigung für die Fächer Latein, Griechisch und Geschichte. Seit dem

1. August 1929 unterrichtete auch er an der Staatlichen Augusta-Schule in Berlin-Schöneberg. Zum 1. Dezember 1933 wurde er aus »gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand versetzt«, aber auch hier war die Ursache die Umsetzung des Berufsverbots nach § 3 BBG, weil er jüdischen Glaubens war.

Am 26. Oktober 1942 wurde er mit vielen Menschen eingepfercht wie Vieh in einem Güterwaggon des Eisenbahntransports mit der laufenden Nummer 761 deportiert. In der Transportliste des Ost-Transports vom 26.10.1942 wird er als »ohne« Beruf aufgeführt, als »ledig« und als »arbeitsfähig«. Seine Wohnadresse war damals laut Liste »SO 36, Taborstr. 1«. Im Berliner Adressbuch von 1941 findet sich der Eintrag, dass »Max Israel Wohlfahrt, Studienrat a. D. am Treptower Park 30« wohnte. Dort wohnten auch Alice Wohlfahrt, geboren am 23. März 1887 in Berlin und Ella Wohlfahrt, geb. Saul, geboren am 25. Juli 1891 in Hamburg. Beide Frauen wurden zusammen mit Max Wohlfahrt in demselben Zug deportiert. Der Zug fuhr von Berlin über Posen, Warschau, Bialystok, Kaunas nach Riga und erreichte drei Tage später sein Ziel am 29. Oktober. »Das Durchschnittsalter der Deportierten betrug 43 Jahre, darunter befanden sich 55 Kinder in der Altersgruppe bis zu zehn Jahren. Die Teilnehmer dieses »22. Osttransports« aus Berlin mit dem Abgangsbahnhof Moabit wurden … sofort nach ihrer Ankunft in den Wäldern bei Riga ums Leben gebracht.« Im Transport befanden sich mindestens auch 204 Angestellte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, die, unter Androhung von Geiselerschießungen mit ihren Familien zur Deportation zu erscheinen hatten. Dem Transport waren zusätzlich eine Person aus Cottbus und eine Person aus Neustadt (Dosse) zugeordnet.

In einem Gespräch über die Todesfuge von Paul Celan »Der Tod ist ein Meister aus Deutschland« sprach der Autor Thomas Sparr am 20. April 2020 im rbb-inforadio vom »grablosen 20. Jahrhundert«. Unsere Kollegin Henriette Salomon und unser Kollege Max Wohlfahrt stehen als »grablose« Opfer stellvertretend für alle Opfer des verbrecherischen nationalsozialistischen Regimes. Wir werden sie nicht vergessen und genauso wie an Kurt Aron (bbz 12/2019) und an Dora Philippson (bbz 03/2020) wird an sie an einem von Schüler*innen gestalteten Gedenkort erinnert werden.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
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