blz 11 / 2014
Der Deckel muss weg
Die schlechte Ausstattung der Integration gefährdet die Inklusion
Permanente Streichungen und Kürzungen bei der Integration lassen die Stimmung selbst bei BefürworterInnen des Wegs zur inklusiven Schule deutlich kippen. Jede Kürzung in diesem Bereich macht die Politik unglaubwürdig. Die KollegInnen in den Schulen stehen vor immer größeren Herausforderungen. Wenn schon Integration so nicht mehr gelingen kann, wie soll dann erst die Inklusion funktionieren? Unsere Grundforderung bleibt: Integration und später auch Inklusion brauchen bedarfsgerechte Ausstattung. Die Deckelungen müssen weg!
Zu wenig Lehrkräfte
Zurzeit lernen in Berlin etwa 60 Prozent der SchülerInnen mit Förderbedarf an Regelschulen im gemeinsamen Unterricht. Dies ist ein großer Fortschritt im Sinne der Integrationspädagogik, bei der Umsetzung aber gibt es massive Probleme. Denn die den Schulen zugewiesenen Stunden für SchülerInnen mit Förderbedarf im Lernen, in der emotionalen/sozialen Entwicklung und bei der Sprachentwicklung wurden in den letzten zehn Jahren von 5,5 auf nunmehr nur noch 1,5 bis 2,5 Stunden pro Kind abgesenkt. Und selbst dieser Anspruch besteht nur theoretisch. Hintergrund der Absenkung der Stunden für sonderpädagogische Förderung in der Integration ist die »Deckelung der Mittel«: Seit 1999 sind die Stellen der Lehrkräfte kaum erhöht worden, obwohl sich die Zahl der SchülerInnen von 5.120 auf 12.330 erhöht, also mehr als verdoppelt hat.
Laut Antwort des Senats auf eine Anfrage im Abgeordnetenhaus von Stefanie Remlinger (Drucksache 17/14230) erhielten im Schuljahr 2013/14 etwa 5.000 SchülerInnen mit Förderbedarf weniger Förderstunden als ihnen zustehen. Hierdurch hat der Senat im zurückliegenden Schuljahr 195 Vollzeitstellen für Lehrkräfte in der Integration eingespart! Für das Schuljahr 2014/15 liegen noch keine Zahlen vor, aber nach Angaben des Senats steigt die Zahl der unterversorgten SchülerInnen weiter, weil nicht entsprechend mehr Lehrkräfte eingestellt werden. Auch bei der Ganztagsbetreuung in öffentlicher Trägerschaft wird die Ausstattung dem Bedarf nicht gerecht, denn hier sind die Stellen der FacherzieherInnen für Integration ebenfalls gedeckelt.
Die Integration soll den Weg freimachen für die angestrebte Inklusion. Aber ohne zusätzliche Ressourcen kann das nicht gelingen. Die Integration in Berlin ist in vielen Punkten noch weit entfernt von den Empfehlungen des Beirats »Inklusive Schule in Berlin«. Sie ist leider weder Wegbereiterin noch leitet sie einen Perspektivwechsel ein.
Auswirkungen am Beispiel einer ISS mit Oberstufe
Die Clay-Schule in Neukölln hat über 20 Jahre Erfahrung in der gemeinsamen Erziehung von SchülerInnen mit und ohne Behinderung. In den letzten zehn Jahren gab es jedoch deutliche Verschlechterungen bei der Ausstattung der sonderpädagogischen Förderung an Regelschulen. (Siehe Grafik unten)
Inklusive Schule und die SchulhelferInnen
In den Berliner Schulen sind derzeit rund 600 SchulhelferInnen an 300 Schulen tätig.
SchulhelferInnenstunden stehen jedem Kind und jeder/m Jugendlichen zu, wenn Hilfen bei der Mobilität oder Orientierung, beim Toilettengang, bei der Körperpflege und anderen täglichen Verrichtungen gebraucht werden. In den sonderpädagogischen Förderzentren gehören Pädagogische Unterrichtshilfen und BetreuerInnen zur Grundausstattung der Schulen. Auch an integrativ arbeitenden Schulen gab es früher Pädagogische Unterrichtshilfen. Mittlerweile wird aber an den integrativen Schulen die Begleitung und Betreuung zumeist durch SchulhelferInnen geleistet. Diese sind aber deutlich schlech-ter bezahlt als Pädagogische Unterrichtshilfen.
Obwohl im Schuljahr 2014/15 der Bedarf an SchulhelferInnenstunden gestiegen ist und nun 265 mehr SchülerInnen Unterstützung benötigen, ist die Anzahl der Stunden nicht entsprechend erhöht worden. Denn auch hier ist der Etat gedeckelt.
Aufgrund des großen Drucks von Eltern und PädagogInnen hat der Senat nun doch noch 750.000 Euro zusätzlich für die Ausstattung der Schulen mit SchulhelferInnen zur Verfügung gestellt. Aber auch damit kann der Bedarf an den Schulen nicht gedeckt werden. Hinzu kommt, dass in den Ganztagsschulen die SchulhelferInnen nur während der Unterrichtszeit eingesetzt werden dürfen. Im außerunterrichtlichen Bereich werden diese SchülerInnen durch ErzieherInnen betreut, die nur teilweise dafür qualifiziert wurden. Ganz davon abgesehen, dass keine personelle Kontinuität in der Begleitung der SchülerInnen besteht.
Schlechte Bezahlung, befristete Verträge und auch Teilzeitstellen bei den SchulhelferInnen führen zudem zu prekären Verhältnissen, die die Qualität der Arbeit negativ beeinflussen. Immerhin 50 SchulhelferInnen mit befristeten Verträgen bekamen zu Beginn des aktuellen Schuljahres keine Vertragsverlängerungen.
Unsere Forderungen
Lehrkräfte: Die Deckelung der sonderpädagogischen Stellen muss beendet werden. Die LehrerInnenstellen für die sonderpädagogische Förderung sind dringend zu verstärken. Die Schulen müssen bedarfsgerecht ausgestattet werden. Es müs-sen mindestens die 195 Vollzeitstellen plus der Mehrbedarf für das laufende Schuljahr zur Verfügung gestellt werden. Zur Nachsteuerung müssen notwendige Ressourcen zusätzlich zur Verfügung gestellt werden. Die Förderstunden für die SchülerInnen mit Förderbedarf im Lernen, in der emotional-sozialen Entwicklung und Sprache sind an allen Schulen vollständig zur Verfügung zu stellen. Es sind mindestens die im Umfang der in den Zumessungsrichtlinien vorgesehenen zusätzlichen 2,5 Förderstunden (Grundschulen) beziehungsweise 3 Förderstunden (Sekundarstufe) pro SchülerIn mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu gewährleisten und grundsätzlich auf 3,5 anzuheben und mehr Personal einzustellen.
SchulhelferInnen: Kinder und Jugendliche mit erheblichem pflegerischem Aufwand brauchen eine vertrauensvolle Beziehung zu ihren HelferInnen. Deshalb müssen diese UnterstützerInnen über viele Schulbesuchsjahre feste, verlässliche Bezugspersonen sein. Die jährliche Neubeantragung steht dem entgegen. Schulen, die Kindern und Jugendlichen mit besonders hohem Förderbedarf die Teilhabe ermöglichen, brauchen gut ausgebildete UnterrichtsassistentInnen. Eine angemessene Bezahlung sollte selbstverständlich sein. Kinder mit Förderbedarf haben einen Rechtsanspruch auf Nachteilsausgleich. Die Zuweisung der Helferstunden muss eindeutig individuell erfolgen, solange es nicht gelingt, die inklusive Schule mit einer angemessenen Grundausstattung zur Bewältigung der zusätzlichen Aufgaben im Umgang mit schwerbehinderten SchülerInnen zu versorgen.
ErzieherInnen, SozialpädagogInnen im Ganztag: SchülerInnen mit Förderbedarf brauchen nicht nur im Unterricht individuelle Unterstützung, sondern auch in der Ganztagsbetreuung. Das bezieht sich auf die Förderung durch integrationspädagogische und sozialpädagogische Fachkräfte sowie auf die Unterstützung durch SchulhelferInnen. Diese muss verlässlich sein und ohne zusätzliche Antragsmodalitäten bei den Kindern und Jugendlichen ankommen. Der ermittelte Bedarf entsteht für das Kind und den Jugendlichen, unabhängig von der Tageszeit
Dieser Artikel ist Teil des blz-Themenschwerpunkts „Inklusion – kann sie so gelingen?“