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Gewerkschaft

Der Kampf um das Streikrecht

Ein Bericht von der mündlichen Verhandlung vor der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Streikverbots für Beamt*innen.

Foto: IMAGO

Im Paragrafen 3 der Satzung der GEW BERLIN heißt es: »Die GEW bekennt sich zum Arbeitskampf als Mittel gewerkschaftliche Forderungen durchzusetzen.« Das gilt für alle Mitglieder unabhängig von ihrem Status als Arbeitnehmer*in oder Beamt*in.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt jedoch, dass in der GEW Beamt*innen erst seit 2008 im Rahmen von Tarifverhandlungen gezielt zum Streik aufgerufen wurden. Streiks fanden gleichwohl seit Anfang der 70er Jahre in vielen Landesverbänden statt. Anlässe waren meist Pflichtstunden, sei es die Abwehr von Erhöhungen oder die Forderung nach Reduzierung. Infolge des Tarifabschlusses Ende der 80er Jahre, wurde die Arbeitszeit im öffentlichen Dienst auf 38,5 Stunden gesenkt, jedoch galt dies nicht für Lehrkräfte. Die Unterrichtsverpflichtung sollte nach dem Willen der Arbeitgeber*innen auf dem Niveau von 1904 verbleiben.

 

Die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Streikverbots

 

Die Entscheidung der GEW, in der Tarifrunde 2009 auch ihre verbeamteten Mitglieder in den Streik um höhere Prozente einzubeziehen, hatte – nicht unerwartet – disziplinarrechtliche Folgen. Es wurden Missbilligungen, Verweise und Geldbußen bis zu 1.500 Euro verhängt. Dagegen wandten sich eine Reihe von Mitgliedern mit gewerkschaftlichem Rechtsschutz über die Verwaltungsgerichte bis zum Bundesverfassungsgericht, das 2018 ein Streikverbot für Beamt*innen aus Artikel 33 GG ableitete. Dagegen riefen die Kläger*innen mit gewerkschaftlichem Rechtsschutz den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an.

Am 1. März 2023 schließlich fand die mündliche Verhandlung vor der Großen Kammer des EGMR statt, dem 17 Richter*innen aus verschiedenen europäischen Ländern angehören. Vorbereitet wurde diese Verhandlung durch umfangreiche Schriftsätze durch die Prozessvertreter*innen beider Seiten. In der mündlichen Verhandlung, die in englischer Sprache geführt wurde, haben beide Seiten in einem halbstündigen Vortrag ihre Hauptargumente noch einmal vorgetragen und wenige Fragen der Richter*innen beantwortet. Danach wurde die Verhandlung geschlossen. Das Urteil erhält man erst, wenn die Meinungsbildung des Gerichtes abgeschlossen ist – das kann einige Monate bis zu einem Jahr dauern. Die Kläger*innen erfahren erst eine Woche vorher, dass nun das schriftliche Urteil veröffentlicht wird.

 

Status gegen Menschenrecht?

 

Rudolf Buschmann vom Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und Europäisches Recht der DGB Rechtsschutz GmbH, der die GEW Kläger*innen vertrat, bezeichnete die Disziplinierung streikender Beamt*innen als Diskriminierung gegenüber Tarifbeschäftigten, die dieselben Aufgaben erledigen. Er trat der Auffassung des gegnerischen Anwalts, Professor Walter, scharf entgegen. Dieser vertrat die Meinung, dass die Lehrkraft sehr wohl wisse, dass der Beamt*innenstatus erhebliche Vorteile biete und deshalb jede*r freiwillig sein Streikrecht an der Kasse abliefere. Das sei nach seiner Meinung ein faires Tauschgeschäft: Status gegen Menschenrecht. Das sei, so Buschmann, jedoch völlig irrelevant, da das Streikrecht als Menschenrecht nicht und durch nichts abbedungen werden könne. In dieser Frage gebe es keine Vorteilsrechnung für das eine oder andere, es gehe allein um das Menschenrecht.

Anders als wir das aus deutschen Gerichten kennen, konnte man aus dem Verlauf der Verhandlung keine Rückschlüsse ziehen, in welche Richtung der EGMR tendiert. Vom Ausgang des Verfahrens hängt jedoch viel ab. Verneint der EGMR das Streikrecht, wird dies die ruhenden Verfahren in verschiedenen Bundesländern negativ beeinflussen. Ob dann eine erneute Rechtsprüfung durch europäische Institutionen möglich ist, ist zumindest zweifelhaft. Sollte sich der EGMR für ein Beamt*innenstreikrecht aussprechen, werden GEW und DGB vor großen Herausforderungen stehen. Zum einen geht es dann darum, eine europarechtskonforme Umsetzung in deutsches Recht zu bewerkstelligen, zum anderen wird der Einbezug der Beamt*innen in Tarifauseinandersetzungen neue Herausforderungen für Gewerkschaften – organisatorisch und finanziell – mit sich bringen.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46