bbz 06 / 2016
Der »Schwule« und die »Schlampe«
Sexualisierte Schimpfworte in der Schule – woher sie kommen und wie wir damit umgehen können
»Schwule Sau«, »Schlampe«, »Hurensohn«, »Bitch« – die meisten Schimpfworte in der Schule beziehen sich auf Sexualität. Sie haben eine größere »Schlagkraft« und verletzen auf besondere Weise. Warum? Nun, jemanden wegen der sexuellen Orientierung oder Geschlechterrolle als »anders« zu bezeichnen, war schon immer ein machtvolles Beschämungsmittel. Lehrkräfte und auch alle anderen PädagogInnen in den Schulen sind davon oft genervt und frustriert. Der moralisierende Umgang wie »Solche Worte benutzen wir hier nicht!« hilft meist nicht weiter. Wäre es dann nicht sinnvoller, derartige Sprüche zu ignorieren, bis sie von selbst wieder verschwinden?
»Spiel nicht so schwul«
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass das Wort »schwul« von den Akteuren der Schwulenbewegung der 1970er-Jahre aufgegriffen und für sich selbst positiv und provokativ umgedeutet wurde. »Ich bin schwul« ist insofern dann auch kein Schimpfwort. Ebenso dann nicht, wenn jemand beschreibend, also nicht wertend über einen Kollegen sagt: »Nein, der hat keine Freundin, der ist schwul.« Verächtlich wird der Gebrauch des Wortes erst, wenn ein Junge zu einem anderen sagt »Du bist doch eh schwul!« oder – noch deutlicher –, wenn jemand als »schwule Sau« beschimpft wird. Sexualisierte Schimpfworte drücken dann Sexismus und Homophobie aus, sind also eine Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
Wie sieht es aber aus, wenn das Wort »schwul« gar nichts mehr mit der sexuellen Orientierung zu tun hat, wenn Gegenstände oder Handlungen als schwul bezeichnet werden? Wenn sich beim Volleyball die SpielerInnen »Spiel nicht so schwul!« zurufen, hat dies auf den ersten Blick scheinbar nichts mit sexueller Orientierung zu tun. »Schwul spielen« steht hier für verkrampft spielen oder als Junge vielleicht eine »unmännliche« Körperhaltung einzunehmen. Doch das Wort »schwul« hat auch hier eine negative Konnotation. Es steht für unangenehm, störend, peinlich, uncool. Damit wird also auch ausgedrückt: Schwul ist nicht normal, nicht wünschenswert.
Die »Bitch« ist selbstbewusst
»Schlampe« bezeichnete früher eine unordentliche Person, heute wird der Begriff fast ausschließlich für Mädchen oder Frauen gebraucht, die (angeblich) mit mehreren oder verschiedenen Männern schlafen und dabei Spaß haben. Zentral ist die Missbilligung für freiwillig gewählte »g’schlamperte Verhältnisse«. »Bitch« bedeutet »Hündin« und wird manchmal auch im Sinne von »Zicke«, meist aber bedeutungsgleich zu »Schlampe« verwendet. Ein eindeutiges Schimpfwort also. Manchmal bezeichnen sich Mädchen selbst oder auch andere als Bitch, ohne beleidigend sein zu wollen. Dann schwingt Anerkennung für eine mit, die tough ist, sich von Vorschriften nicht gängeln lässt, sich selbstbewusst den Sex holt, auf den sie Lust hat. Also auch hier eine Ambivalenz des Begriffs.
Mit sexistischen Sprüchen provozieren
Möchte man mehr über die Motive erfahren, warum Jugendliche derartige Schimpfworte gebrauchen, lohnt es, die Entwicklungsaufgaben, die sie in der Pubertät bewältigen müssen, in den Blick zu nehmen. Im Zuge der Ablösung von der Familie erkennen viele von ihnen, dass ihre Eltern nicht so allwissend und unfehlbar sind, wie sie es als Kinder geglaubt hatten. Umso wichtiger wird die Zugehörigkeit zu Gleichaltrigen in einer Peergroup. Die eigene Unsicherheit verstärkt den Drang nach Gemeinsamkeit. Eine Gruppe schließt sich auch zusammen, indem man eine Person findet, die »anders« ist. Beleidigt man diese andere Person, kommt man dem Wunsch näher, in der eigenen Gruppe anerkannt zu werden. Gleichzeitig dient es der Abgrenzung von der Erwachsenenwelt – eine wichtige Motivation. Indem Jugendliche besonders derbe, abwertende Begriffe benutzen, lassen sie sich nicht auf die Konventionen höflicher, erwachsener, »politisch korrekter« Sprache ein. Mit sexistischen oder schwulenfeindlichen Sprüchen provozieren sie Erwachsene rasch und wirkungsvoll. Sie haben Spaß daran, diese »auf die Palme zu bringen«.
Die besondere Zeit der Pubertät
Ein wichtiger Aspekt der Pubertät ist es, in die eigene Geschlechterrolle »hineinzufinden« und sich mit vorgegebenen Vorstellungen über Männer und Frauen auseinanderzusetzen. Dabei wird die Männlichkeit selten positiv definiert. Als männlich gilt, was nicht »weibisch« ist. In der traditionellen Männerrolle ist Bi-Sein, Schwul-Sein oder gar Nicht-Mann-Sein-Wollen nicht vorgesehen. Umso klarer muss »mann« machen, dass man kein Weichei ist. Das gilt vor allem für Jungen, die spüren, dass sie für ihr weiteres Leben nur über wenige materielle Ressourcen verfügen. Umso näher liegt dann der Rückgriff auf symbolische Ressourcen, wobei die wichtigste die »Männlichkeit« ist. Zu ihrem klassischen Bild gehört das Gefühl der Überlegenheit. Deshalb reicht es auch nicht zu sagen »Die sind anders als ich, weil die schwul sind.« »Ich bin besser als die, weil ich männlicher bin«, heißt die Losung. Verspürt ein Jugendlicher gleichzeitig eigene homosexuelle Wünsche – auch wenn sie noch so klein sind –, gefährden diese ihn so stark, dass er sie nicht wahrhaben will und kann. Einfacher ist es dann, diese Anteile bei anderen, den »Perversen«, zu sehen und zu bekämpfen.
Die klassisch weibliche Geschlechterrolle gibt Mädchen vor, hübsch und attraktiv sein zu müssen. Was damit gemeint ist, bestimmen die Schönheitsideale der Jungs und Männer. Gleichzeitig sollen sie »anständig« sein. Während sexuelle Erfahrungen das Ansehen von Jungen bei ihren Geschlechtsgenossen steigern, gilt für Mädchen das Gegenteil. Traut sich eine mehr, läuft sie schnell Gefahr, abqualifiziert zu werden. Beschimpft ein Mädchen ein anderes als »Schlampe«, sagt sie damit auch: »Ich bin die bessere, moralisch höher stehende.«
Jungen beschimpfen ein Mädchen manchmal als Schlampe, wenn sie dieses zwar toll und sexy finden, bei ihr aber nicht landen konnten. Die durch die Ablehnung verletzte Männlichkeit rächt sich dann umso bösartiger. Sexuelle Beschimpfungen dienen also allzu oft dazu, sich der eigenen Geschlechterrolle zu versichern und sich auf Kosten anderer eine bessere Position im Gruppengefüge zu verschaffen.
Handlungsoptionen der Erwachsenen
Hintergründe für solche Beleidigungen zu kennen bedeutet aber nicht, sie einfach so hinzunehmen. Bezieht eine pädagogische Fachkraft die Hintergründe aber in ihre Überlegungen, wie sie reagieren möchte, mit ein, fällt ihr die Entscheidung über den einzuschlagenden Weg vielleicht leichter. Die Bandbreite an Reaktions- beziehungsweise Interventionsmöglichkeiten ist dabei groß:
• Klärung der Inhaltsebene: Gerade Jüngere wissen oft gar nicht, was zum Beispiel »schwul« genau bedeutet. Sie wissen nur, dass sie damit andere beleidigen können. »Sag mal, weißt Du eigentlich, was schwul heißt?« ist ein wichtiger erster Schritt des Intervenierens.
• Klärung der Sprachebene: Wichtig ist auch, ein Gespür für den eigenen Sprachgebrauch zu entwickeln. Werden Beleidigungen ausgesprochen, sollte auch die sprachliche Dimension Thema werden: »Wie schätzt Du das ein? Ist ›Schlampe‹ ein Wort, das man im Unterricht verwenden kann oder sollte man es lassen, weil es das Miteinander gefährdet?«
• Klärung der Absicht: »Du sagst heute schon zum zehnten Mal ›Schwuchtel‹. Wofür soll das gut sein?« Die Frage mag naiv erscheinen. Manchmal setzt sie aber Denkprozesse in Gang. Allerdings ist dann ein Nachhaken nötig und wichtig.
• Der Perspektivenwechsel: Bei dieser Variante sollen sich die, die beleidigen, in die Situation der beleidigten Person versetzen. »Wie würde es Dir denn gehen, wenn Dich dauernd jemand Kanake/Brillenschlange/Fettsack nennen würde?« Weil die Antwort meist »Ist mir doch egal!« lautet, ist hier Hartnäckigkeit gefragt: »Nein, das glaube ich Dir nicht, dass es Dir nichts ausmachen würde.«
• Die eigene Haltung vermitteln: Steht das pädagogische Team oder die Schule für Vielfalt, ist damit auch klar, dass es keine einheitlichen Meinungen geben kann. Wird dies auch nur implizit eingefordert, indem man anders Denkende und Handelnde beleidigt, gilt es, sich deutlich zu positionieren: »Wir reden jetzt nicht darüber, mit wem x angeblich rumgemacht hat, sondern darüber, dass hier niemand so wie alle anderen sein muss, um dazuzugehören.«
• Persönliche Stellungnahme abgeben: Dosiert eingesetzt, hilft dieser Weg vor allem dann, wenn eine Diskussion immer wiederkehrt oder sich im Kreis dreht. »Wenn einer sagt, die Schwulen gehören alle zusammengeschlagen, finde ich das genauso ätzend, wie zu sagen ›Ausländer raus‹. Beides ist menschenverachtend und darüber diskutiere ich auch nicht mehr.«
Unabhängig von diesen schnellen Reaktionsvarianten kann es sinnvoll sein, einzelne Themen umfassend zu bearbeiten. Denkbar ist eine Podiumsdiskussion zum Thema Beleidigungen oder die Einladung eines Aufklärungsprojekts zu lesbisch-schwulen-transgender Lebensweisen. Auch eine methodische Auseinandersetzung mit Männlichkeits- und Weiblichkeitsanforderungen kann weiterhelfen.
Dieser Artikel ist erstmals in der Zeitung der GEW Bayern erschienen.