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Hochschule

Der Takt der wissenschaftlichen Arbeit

Arbeitszeiterfassung an Hochschulen ist ein Balanceakt. Sie muss vor Überlastung schützen und die akademische Freiheit sichern.

Foto: IMAGO

Mit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 13. September 2022 wurde eine bereits bestehende EU-Richtlinie zur Arbeitszeiterfassung konkretisiert: Arbeitgeber sind verpflichtet, ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Arbeitszeiterfassung bereitzustellen. In Berlin betrifft dies rund 200.000 Beschäftigte im Hochschulbereich, darunter die Angestellten der elf staatlichen Hochschulen. 

Als eine der ersten Institutionen dieses Bereichs setzte die Technische Universität Berlin diese Vorgaben und eine Aktualisierung bestehender Arbeitszeitregelungen um.

Seit dem 1. Januar 2025 gilt an der TU die »Dienstvereinbarung über die Flexibilisierung der Arbeitszeit«, kurz: DV Flex. Was zunächst nicht unbedingt arbeitnehmer*innenfreundlich klingt, zeigt bei näherem Hinsehen die besonderen Herausforderungen der Arbeitszeiterfassung am Arbeitsort Hochschule auf. 

 

Unterschiedliche Anforderungen und Arbeitsrealitäten

 

Standardisierungsvorhaben treffen hier auf eine äußerst heterogene Arbeitswelt. Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, Beschäftigte in Technik, Service und Verwaltung (MTV) sowie studentische Hilfskräfte (SHKs) haben jeweils sehr unterschiedliche Anforderungen und Arbeitsrealitäten.

Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen genießen traditionell ein hohes Maß an Autonomie. Ihre Arbeitszeit ist selten eindeutig geregelt. Lehre, Forschung und Gremienarbeit gehen oft fließend ineinander über. Die Einführung einer Zeiterfassung wird daher ambivalent aufgenommen: Einerseits kann sie vor Selbst­ausbeutung schützen, andererseits befürchten viele eine Einschränkung der akademischen Freiheit. Hinzu kommt, dass gesetzliche Regelungen zum Verhältnis von Forschung, Lehre und sonstigen Tätigkeiten in der Praxis oft unterlaufen werden, teilweise nicht einmal bekannt sind. Aufgrund der vielfältigen Abhängigkeitsverhältnisse und steilen Hierarchien sind solche Regelungen außerdem für viele Kolleg*innen faktisch nicht durchsetzbar.

Viele Wissenschaftler*innen arbeiten zudem projektbasiert oder in Drittmittelprojekten, oft mit Verträgen unterhalb der regulären Arbeitszeit. Die Realität sieht häufig anders aus, dort wird oft so lange gearbeitet, was eher einem Vertag für Vollzeit entspräche. 

Eine konsequente Arbeitszeiterfassung könnte hier eine Grundlage für faire Bezahlung schaffen, wird aber von Kolleg*innen als Einschränkung der selbstbestimmten Arbeitsorganisation und teilweise als zusätzliche Belastung empfunden. 

Damit sind zwei sensible Punkte berührt: die Freiheit der Zeiteinteilung gehört zu den großen Pluspunkten der wissenschaftlichen Arbeit. Die Zeit für Forschung und Lehre wird bereits von diversen administrativen Notwendigkeiten beschnitten.

Für die Mitarbeiter*innen in Technik, Service und Verwaltung (MTSV) ist die Lage meist klarer. Hier existieren bereits in der Regel Zeiterfassungssysteme, etwa durch elektronische Geräte oder digitale Tools. Die Debatte konzentriert sich weniger auf das ob, sondern vielmehr auf das wie. Datenschutz, Mitbestimmung durch Personalräte und die Vermeidung von Mehrbelastung durch komplizierte Systeme stehen für die Kolleg*innen im Vordergrund. Gleichzeitig bietet eine strukturierte Zeiterfassung Vorteile, weil sie Überstunden sichtbar macht und zu einer besseren Personalplanung beitragen kann.

Studentische Hilfskräfte bilden eine besondere Gruppe. Ihre Verträge sind befristet und die Arbeitszeiten flexibel gestaltet. Die Bezahlung erfolgt pauschal. Dennoch sind sie von der Arbeitszeiterfassung nicht ausgenommen. Für sie gilt es, einfache, niedrigschwellige Lösungen zu finden, die der Realität ihres Arbeitsalltags gerecht werden, zum Beispiel in Prüfungsphasen oder Semesterferien. 

Als Studierende betreffen sie ebenfalls die Abhängigkeiten des Wissenschaftssystems. 

Häufig sind Vorgesetzte auch Prüfer*innen, ob im Seminar, für die Abschlussarbeit oder später für die Promotion der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen. Für Kolleg*innen, die eine Karriere in der Wissenschaft anstreben, sind die Vorgesetzten mitunter wichtige Türöffner*innen zu Netzwerken, die ihre Unterstützung natürlich auch verweigern können. 

 

Sparzwang erhöht den Druck zu Konformität

 

Nicht nur die Arbeitsverhältnisse, auch die Hochschulen selbst sind äußerst unterschiedlich. Universitäten, Hochschulen für angewandte Wissenschaften, künstlerische Hochschulen, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und private Hochschulen: Die Landschaft ist breit gefächert. Jede Institution bringt eigene Bedingungen, Dienstvereinbarungen und Traditionen mit. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass zurzeit keine berlinweite Regelung zur Arbeitszeiterfassung für Beschäftigte an Hochschulen in Sicht ist.

Der anhaltende Sparzwang im öffentlichen Wissenschaftssystem verstärkt unterdessen bestehende Spannungen. Beschäftigte sehen sich oft einem erhöhten Druck zu Konformität ausgesetzt. 

In diesem Kontext erscheint eine erhöhte »Überwachung« durch Zeiterfassung wenig attraktiv gegenüber den Möglichkeiten der flexiblen Kompensation durch unkontrollierte Mehrarbeit. Andere wiederum sehen in der Dokumentation ihrer Arbeitszeit einen Schutz vor Überlastung und Machtmissbrauch. 

Die Frage nach der Methode und den angewendeten Werkzeugen ist zentral für die Umsetzung der Arbeitszeiterfassung an Hochschulen, ebenso wie an anderen Arbeitsplätzen. Gerade dort, wo neue Regelungen eingeführt werden, scheint es logisch, dies auch mit den neuesten Möglichkeiten zu tun, digital. 

Das verspricht Flexibilität und Transparenz, wirft aber Probleme der IT-Sicherheit und des Datenschutzes auf. Die Einbindung der Personalräte und -vertretungen ist daher für eine rechtsichere und von den Betroffenen akzeptierte Lösung dringend notwendig. 

Die GEW hat im vergangenen Jahr mit der Argumentationshilfe »Arbeitszeiterfassung in der Wissenschaft« und im Februar 2025 mit der »GEW-Handreichung zur Erarbeitung einer Dienstvereinbarung/Betriebsvereinbarung über Arbeitszeit und Arbeitszeiterfassung für Beschäftigte in Forschung und Lehre« ihre Position konkretisiert und wichtige Eckpunkte für die Personalratsarbeit zum Thema zusammengetragen. 

Beschäftigtenvertretungen erhalten dadurch eine fundierte Grundlage, um die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben im Sinne der Beschäftigten an ihren Institutionen zu begleiten.

Wie schwierig die Umsetzung selbst bei gutem Willen aller Beteiligten ist, zeigen erste Eindrücke der DV Flex an der TU. 

Zumindest im akademischen Bereich bleiben die von der Leitung zur Verfügung gestellten Excel-Listen offenbar meist leer, weil Kolleg*innen das Ausfüllen als zusätzliche Belastung empfinden und die Vermutung im Raum steht, dass die tatsächlichen Arbeitszeiten die Vorgaben ad absurdum führen würden: nachts, sonntags, weit über 100 Prozent. 

Die Arbeitszeiterfassung an Hochschulen bleibt ein Balanceakt zwischen Arbeits- und Gesundheitsschutz, der Wahrung von Autonomie und der Suche nach praktikablen, sinnvollen Lösungen für alle Beschäftigtengruppen. 

Es braucht den offenen Dialog zwischen allen Beteiligten, um ein Arbeitszeitmodell zu finden, das sowohl den Schutz der Beschäftigten als auch die notwendige Flexibilität im Wissenschaftsbetrieb gewährleistet.