Gewerkschaft
Die Ehrenamtsdebatte
Personalräte haben aufgrund steigender Belastung immer weniger Zeit für ehrenamtliche Aufgaben in der GEW BERLIN. Die Teilbeschäftigung bei der GEW sollte als Lösung nicht leichtfertig verworfen werden.
In der März-April Ausgabe der bbz dieses Jahres stellte Ilse Schaad zwei Thesen auf. Erstens: Die gestiegene Personalratsarbeit dürfe kein Grund dafür sein, sich in der GEW nicht zu engagieren. Zweitens: Eine fehlende Verknüpfung zwischen Personalratsarbeit und GEW würde dazu führen, dass die Personalräte »Bestandteil der Behörden« werden würden. Zur ersten These werden Beispiele aus den 1980er Jahren ausführlich dargestellt. Beide Thesen sind eine Verkürzung der aktuellen Situation innerhalb der GEW BERLIN, den Berliner Schulen und schulischen Personalräten.
Teilbeschäftigung als Lösung
Die Kernfrage, die Ilse zurecht anspricht, ist die Tatsache, dass die GEW, anders als alle anderen DGB-Gewerkschaften, massiv auf Ehrenamt setzt. Das wird erst zum Problem, wenn die Gremien keine Ehrenamtlichen finden. Das gesunkene gesamtgesellschaftliche Interesse an politischem Engagement ist für alle Parteien, Verbände und Gewerkschaften ein Problem und die GEW BERLIN ist keine Ausnahme. Zur Lösung dieses Problems wird besprochen, ob wir die Aufgaben durch eine Teilbeschäftigung bei der GEW lösen können, weil eben die alte Lösung der Personalratsentlastung immer seltener greift.
Obwohl alle GEW-Gremien von der Problematik der fehlenden Ehrenamtlichen betroffen sind, wird die Lösung der Teilhauptamtlichkeit nur in zwei Bereichen besprochen: Für Mandate des Geschäftsführenden Landesvorstandes (GLV) und im Aktivierungsprojekt. Mitglieder des GLV werden traditionell in der GEW von ihren Personalräten massiv unterstützt, damit sie GEW-Arbeit erledigen können. Wenn sie keine Personalratsmitglieder sind oder wenn ihre Personalräte sie nicht entlasten können, können sie im Moment Arbeitsverträge von der GEW erhalten.
Eine Personalratsvollfreistellung setzt natürlich voraus, dass in einem Beruf gearbeitet wird, wo eine solche Vollfreistellung möglich ist. Die Betriebsräte der freien Träger, zum Beispiel, haben keine solche Ressourcen; es sollte aber auch für arbeitslose Mitglieder möglich sein, einen Vorstandsbereich zu leiten. Das gehört zur gewerkschaftlichen Demokratie.
Das Aktivierungsprojekt testet die Idee, inwiefern mehr Mitglieder für die GEW gewonnen und aktiviert werden können, wenn aktive GEW-Mitglieder für einen Tag in der Woche für GEW-Arbeit bezahlt werden. In diesem Schuljahr testen drei Lehrkräfte und drei Kolleg*innen freier Träger der sozialen Arbeit diese Idee; nächstes Schuljahr machen drei andere Lehrkräfte mit. Danach und währenddessen wird das Projekt evaluiert; eine automatische Weiterführung ist nicht Teil des Beschlusses der Landesdelegiertenversammlung.
Die von Ilse geschilderte Problematik, dass Personalräte ohne GEW-Engagement oder GEW-Engagement im Hauptamt zu einer Entfremdung von der Erfahrung der Mitglieder oder des Berufes führen würde, ist nur denkbar für vollfreigestellte Funktionär*innen. Wer in der Bildung arbeitet, kennt sich damit aus. Es gibt zwar vollfreigestellte Personalratsmitglieder, aber sie sind eine Minderheit. Die allermeisten Mitglieder von Personal- und Betriebsräten arbeiten noch in ihren Hauptberufen. Da die GEW sehr viel Ehrenamtliche braucht, muss es sich wohl bei Ilses
Argumentation doch um Personalratsmitglieder handeln, die nicht durch den Personalrat vollfreigestellt sind. Die ehrenamtlichen Aufgaben der GEW BERLIN lassen sich nicht alleine durch vollfreigestellte Personalratsmitglieder machen, denn von denen gibt es schlichtweg zu wenige. Es darf nicht ausgelassen werden, dass Kolleg*innen bei freien Trägern, in der Wissenschaft und in der Erwachsenenbildung auch GEW-Mitglieder sind und sehr selten Personal- oder Betriebsratsentlastung haben.
Historische und aktuelle Belastungen
Was machen denn diese Personalratsmitglieder der staatlichen Schulen und wieso haben sie, verglichen mit den 1980er, weniger Zeit und Kraft für GEW-Engagement? Mit einem historischen Beispiel versucht Ilse, das Argument der vielen Einstellungen im Schulbereich zu widerlegen, aber sie begrenzt sich alleine auf das Einstellen an sich. Die Problematik liegt viel mehr in der Eingruppierung. Die Eingruppierung von zum Beispiel Seiten- und Quereinsteiger*innen oder von Lehrkräften nach dem Recht des Heimatlandes ist eben viel komplexer als die Eingruppierung von Lehrkräften, die auf Lehramt studiert haben. Die Anzahl dieser »Laufbahnbewerber*innen« ist bekanntlich gesunken. Ilse argumentiert ebenfalls gegen eine gesunkene Anzahl von »Konflikten.« Ob es juristisch weniger Konflikte gibt, kann ich als Personalratsmitglied nicht beurteilen, aber durch die erheblich gestiegene Belastung an Schulen, gibt es in den Schulen immer mehr Streit zwischen Schulleitung und Kollegium, wo die Personalräte aktiv werden müssen.
Dabei sind wir bei der Wurzel der Ehrenamtsproblematik. Die Belastungen in der öffentlichen Schule sind massiv seit den 1980er durch mehrfache Pflichtstundenzahlerhöhungen, Inklusion mit kaum Zusatzressourcen, Ganztagsbetrieb, Digitalisierung, Kürzungen bei der Instandhaltung von Gebäuden, und vielem mehr gestiegen. »Lehrkräfte haben vormittags Recht und nachmittags GEW« trifft auf die Lehrkraft von heute einfach nicht mehr zu. Wer im Beruf so ausgelastet wird, hat kaum noch Kraft, in Gremien zu sitzen. Das gilt auch für Personalratsmitglieder.
Gegendarstellungen von Ilse Schaad und Udo Mertens zum Artikel „Die Ehrenamtsdebatte“ aus der bbz 05-06/2023
„Weshalb die Redaktion einen nach germanistischen und allgemeingültigen Kriterien eindeutig als Leserbrief verfassten Text in den Rang eines eigenständigen Artikels „befördert“ hat, ist mir ein Rätsel. Das wäre unschwer schon allein daran erkennbar, dass der Verfasser mich namentlich fünfmal in Bezug nimmt. Dies würde ich klaglos hinnehmen, wenn nicht eine Reihe der mir zugeschriebenen Behauptungen unzutreffend wären.
Folgende Behauptungen sind falsch:
- Die Behauptung, ich hätte „die Tatsache“ angesprochen, „dass die GEW, anders als alle anderen DGB-Gewerkschaften, massiv auf Ehrenamt setzt“ ist falsch. Eine solche Passage steht nicht in meinem Artikel und entbehrt darüber hinaus auch jeder Grundlage. Alle Gewerkschaften im DGB funktionieren nur durch die ehrenamtliche Arbeit vieler Kolleg*innen an der Basis.
- Die Behauptung, ich hätte geschrieben, es gäbe nur die Lösung der Teilzeitbeschäftigung bei der GEW, „weil eben die alte Lösung der Personalratsentlastung immer seltener greift“ ist falsch. In meinem Artikel steht dies nicht, ich habe im Gegenteil auf die Kooperation zwischen GEW und Personalratsmitgliedern abgestellt und an keiner Stelle für eine Teilzeitbeschäftigung bei der GEW oder eine Zweckentfremdung von Personalratsfreistellungen plädiert.
- Die Behauptung, ich hätte nur in zwei Bereichen die Frage der Hauptamtlichkeit angesprochen, nämlich „für Mandate des (GLV) und im Aktivierungsprojekt“ ist falsch. In meinem Artikel wird weder der GLV noch das Aktivierungsprojekt genannt.
- Die Behauptung: „Bis auf den Vorstandsbereich Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik (VBBA) sind alle diese Arbeitsverträge Teilzeitverträge. Alle anderen GLV-Mitglieder arbeiten weiterhin in ihren Hauptberufen. Die Leitung des Vorstandsbereichs Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik kann nur in Vollfreistellung gemacht werden, weil dieser Tarifverhandlungen führen muss… Bisher konnte die Vollfreistellung vom Vorstandsbereich VBBA teilweise über Personalräte erfolgen“ ist falsch und geeignet, die betroffenen Personen, zu denen auch ich gehöre, hinsichtlich ihrer Arbeit herabzuwürdigen und in ihrer Ehre zu verletzen. Die Behauptung des Verfassers beinhaltet den Vorwurf des massiven Arbeitszeitbetruges bzw. Dienstvergehens in Bezug auf mich, aber auch für meine Nachfolger in dieser Funktion. Ich habe meine Aufgaben als Vorstandsmitglied im Personalrat Kreuzberg, dann als stellvertretende Vorsitzende des GPR und HPR-Mitglied von 1980 bis 2005 immer in vollem Umfang erfüllt. Ich war von 1988 bis 2005 rein ehrenamtlich, wie es der Satzung der GEW Berlin entspricht, Leiterin des Vorstandsbereiches Beamten- und Angestelltenpolitik. In dieser Zeit habe ich eine sehr große Zahl von Tarifverhandlungen geführt. Allein die Zeit, in der Berlin nicht Mitglied der TdL war, führte zu vielen Verhandlungen mit jeder Fachhochschule, Universität, Lette, PFH, Land Berlin und vielen mehr. Die Behauptung, die Funktion könne nur in Vollfreistellung (gemeint ist: hauptamtliche Beschäftigung in der GEW) gemacht werden, ist falsch.
- Die Behauptung, früher hätten Personalräte weniger zu tun gehabt, weil sie sich um die „Eingruppierung“ gerade auch von Nichtlaufbahnbewerbern nicht hätten kümmern müssen, ist falsch. In meinem Artikel steht das Gegenteil, auch früher war die Eingruppierung Beteiligungstatbestand und die Anzahl der Nichtlaufbahnbewerber*innen ist seit 40 Jahren bundesweit und in Berlin relativ konstant.
- Die Behauptung, ein Personalratsmitglied könne nicht beurteilen, ob es mehr oder weniger Konflikte vor den Verwaltungsgerichten gebe, ist unzutreffend. Die Anzahl der personalvertretungsrechtlichen Verfahren bei Verwaltungsgerichten ist ein Faktum, keine Frage der Beurteilung.
- Die Behauptung, heute gäbe „es in den Schulen immer mehr Streit zwischen Schulleitung und Kollegium (gibt), wo die Personalräte aktiv werden müssen“, ist in zweierlei Hinsicht falsch. Differenzen zwischen Schulleitung und Kollegium gab es schon immer. Falsch ist auch, dass der örtliche Personalrat in diesem Bereich eine Zuständigkeit hat. Der örtliche PR wird sowohl von Schulleitungsmitgliedern als auch von allen anderen Beschäftigten gewählt, er ist nicht Streitschlichter zwischen Beschäftigten. Aus gutem Grund sieht das Personalvertretungsgesetz eine solche Aufgabe nicht vor.
- Falsch ist auch, dass Vorurteile wie „Lehrkräfte haben vormittags recht und nachmittags GEW (wobei es im Original „frei“ heißt) auf die „Lehrkraft von heute einfach nicht mehr (zutrifft).“ Richtig ist, dass dies auch auf Lehrkräfte früherer Jahre nicht zugetroffen hat.
Zu vielen weiteren Aussagen kann man unterschiedliche Meinungen haben, nicht jedoch zu eindeutig belegbaren Fakten.
Ilse Schaad
„In der bbz vom Mai/Juni 2023 werden in dem Artikel von Ryan Plocher – Die Ehrenamtsdebatte- unwahre und ehrverletzende Behauptungen über mich verbreitet.
Kollege Plocher schreibt in seinem Artikel: „Bis auf den Vorstandsbereich Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik (VBBA) sind alle diese Arbeitsverträge Teilzeitverträge. Alle anderen GLV-Mitglieder arbeiten weiterhin in ihren Hauptberufen. Die Leitung des Vorstandsbereichs Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik kann nur in Vollfreistellung gemacht werden, weil dieser Tarifverhandlungen führen muss... Bisher konnte die Vollfreistellung vom Vorstandsbereich VBBA teilweise über Personalräte erfolgen."
Ich leite den Vorstandbereich VBBA seit dem 1. Juli 2013, davon mehrere Jahre alleine. Für die Leserinnen und Leser bin ich als Leiter des Vorstandsbereiches bekannt und aus der Behauptung eindeutig zuordbar. Diese Behauptungen sind falsch und verletzen mich in meiner Ehre. Sie unterstellen mir einen massiven Arbeitszeitbetrug seit 2013, der in der Konsequenz zur fristlosen Kündigung führen könnte. Richtig ist, dass ich vom 1. Juli 2013 bis zum 1. Februar 2021 ohne jegliche Freistellung den VBBA geleitet habe. Gleichzeitig war ich seit April 2010 bis Dezember 2020 Vorstandsmitglied des Hauptpersonalrats und habe dort meine Aufgaben vollumfänglich erfüllt. Seit dem 1. Februar 2021 bis heute habe ich einen Teilzeitarbeitsvertrag mit der GEVV BERLIN im Umfang von 18 Stunden und 45 Minuten mit einem Entgelt nach TV-L EG 9b Stufe 6. Ebenso bin ich seit Dezember 2020 weiter Mitglied des Hauptpersonalrats und Mitglied des Personalrats der zentral verwalteten und berufsbildenden Schulen und nehme meine dortigen Aufgaben ebenso vollumfänglich wahr.“
Udo Mertens