Gewerkschaft
Die Finanzen sind existentiell wichtig
Die Finanzierung von Arbeitskämpfen durch Gewerkschaften ist nur durch Mitgliedsbeiträge möglich. Die Mitgliederentwicklung der GEW BERLIN unterliegt seit fast 40 Jahren starken Schwankungen, die vor allem politisch bedingt sind.
Durchsetzungskraft und Erfolg einer Gewerkschaft hängen entscheidend davon ab, wie viele Mitglieder sie vertritt und wieviel Prozent einer Berufsgruppe diese Mitglieder repräsentieren. Hinzu kommt, welche gesellschaftliche Bedeutung dieser Berufsgruppe zugesprochen wird. Je größer diese Zahlen sind, desto mächtiger ist eine Gewerkschaft und kann entsprechend auftreten und die Interessen ihrer Mitglieder vertreten.
Jedes Mitglied zahlt seiner Gewerkschaft einen Beitrag, damit diese ihre Aktivitäten finanzieren und im Arbeitskampf gegebenenfalls auch Streikgelder zahlen kann. Da Solidarität oberstes Prinzip einer Gewerkschaft ist, ist die Höhe des monatlichen Beitrags eng an das Entgelt gekoppelt. Dafür erwarten Mitglieder, dass ihre Beitragsgelder von der Gewerkschaft wirtschaftlich verwendet werden und Verschwendung vermieden wird, denn in einem Tarifkonflikt muss eine Gewerkschaft unter Umständen für lange Zeit liquide sein, um Streikgelder zahlen zu können.
Die Finanzen sind also keineswegs ein so »trockenes Thema«, als das sie oft gesehen werden, sondern sie sind existentiell wichtig für erfolgreiche Gewerkschaftspolitik. Umgekehrt spiegelt die Entwicklung der Finanzen, also der Beitragseinnahmen und der Zahl der Mitglieder, die politische Arbeit der Gewerkschaft wider.
Starker Zuwachs nach der Wende
Bei den Mitgliederzahlen fällt sofort der starke Zuwachs während des Jahres 1991 auf, dem Jahr nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten. Die beiden Ost-Berliner Verbände der GUE (Gewerkschaften Unterricht und Erziehung) und der GW (Gewerkschaft Wissenschaft) fusionierten nicht mit der GEW, sondern GUE und GW lösten sich auf und empfahlen ihren Mitgliedern, individuell in die GEW einzutreten. In den neuen Bundesländern entstanden damit neue Organisationen, nicht aber in Berlin. Hier traten die Mitglieder von GUE und GW ganz überwiegend in die GEW BERLIN, aber auch in die ÖTV (Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr), ein. Die Mitgliederzahl in der GEW BERLIN stieg in dieser Zeit auf über 30.000, mehr als doppelt so viele wie vorher.
Dies wiederum erforderte eine Erhöhung der Zahl der Mitarbeiter*innen in der Geschäftsstelle. Auf die Stellen, die die GEW BERLIN schnell ausschrieb, bewarben sich viele Beschäftigte von GUE und GW erfolgreich. Bald machte diese deutliche Vergrößerung der Geschäftsstelle die zweite Erweiterung des Gebäudes erforderlich, denn trotz des 1988 vollendeten Ausbaus des Dachgeschosses war es zu eng geworden.
Bis zum Jahr 2007 verlor die GEW BERLIN aber wieder etwa ein Drittel ihrer Mitglieder. Was war geschehen? Die damalige Landesregierung unter Eberhard Diepgen hatte zwei den GEW-Bereich betreffende Entscheidungen getroffen. Zum einen kündigte der Senat vielen Wissenschaftler*innen, insbesondere an der Humboldt-Universität, und wandelte unbefristete in befristete Verträge um. Viele der Betroffenen sahen, spätestens nachdem sie auch ihre Kündigungsschutzklagen verloren hatten, keinen Sinn mehr darin, Mitglied einer Gewerkschaft zu sein, und traten aus.
Zum anderen bot der Berliner Senat im Jahre 1996 den Ost-Berliner Lehrer*innen die Übernahme ins Beamt*innenverhältnis an, wofür sich die Mehrzahl von ihnen auch entschied. Ein Teil von ihnen glaubte, als Beamt*in dürften oder sollten sie nicht einer Gewerkschaft angehören, und verließen sie. Viele, leider längst nicht alle, konnten jedoch überzeugt werden, dass auch beamtete Lehrkräfte eine organisierte Interessenvertretung brauchen, und revidierten ihre Entscheidung.
Politische Entscheidungen wirken sich auf Mitgliederzahlen aus
Im Jahr 2000 flachte die Mitgliederkurve ab. Ab 2004 wurden neu eingestellte Lehrkräfte nicht mehr verbeamtet. Gleichzeitig trat Berlin aus dem Arbeitgeberverband TdL (Tarifgemeinschaft deutscher Länder) aus. Die Bezahlung der betroffenen Lehrkräfte – es wurden von Jahr zu Jahr mehr – unterlag in Nachwirkung dem Tarifvertrag der Länder. Dieser galt jedoch erst einmal nicht für Neueingestellte. Die GEW BERLIN musste nun zusammen mit ver.di in mühsamen Tarifverhandlungen eigenständige Überleitungsregelungen für Berlin aushandeln. Der Tarifvertrag führte zu Einkommensstillstand und Zwangs-teilzeit – und kostete die Gewerkschaften viele Mitglieder. Dies alles waren Auswirkung der Politik des Senats-Trios Wowereit/Sarrazin/Böger, das mit rigiden Sparmaßnahmen der Berliner Schule Verschlechterungen zumutete, von denen sie sich bis heute nicht erholt hat.
Lehrer*innen wurden kaum noch ausgebildet und kaum noch neu eingestellt. Stattdessen wurden durch Pensionierung Ausgeschiedene »ersetzt«, indem der Senat nach der Erhöhung von 1992 in den Jahren 2000 und 2003 erneut die Pflichtstundenzahlen der Lehrkräfte erhöhte, jede Klasse mit zusätzlichen Schüler*innen vergrößerte, ein komplettes Schuljahr an Gymnasien strich und so weiter. Zu den pädagogischen Verschlechterungen kamen organisatorische. Jede Schule sollte nur noch mit 100 Prozent ihres Lehrkräftebedarfs ausgestattet werden. Sie verloren die Vertretungsreserven in Höhe von 5,6 Prozent. Wurde jemand krank, dann hatten andere unbezahlte Mehrarbeit zu leisten, wenn nicht der Unterricht ersatzlos ausfiel. Inzwischen hat die Vernachlässigung, Nachwuchs an Lehrkräften auszubilden, dazu geführt, dass die Schulen generell nicht mehr in der Lage sind, ihren Pflichtunterricht abzudecken.
Das Durchschnittsalter der Kollegien stieg damit an, und spiegelbildlich dazu wurde auch die Mitgliedschaft der GEW BERLIN immer älter. Um die pensionierten Kolleg*innen an die GEW zu binden, begann die Gewerkschaft, zahlreiche kulturelle und politische Aktivitäten zu organisieren. Auch wollte sie nicht, dass deren Erfahrungen in der politischen Arbeit der GEW verlorengehen. Das sprach sich bald herum, sodass es inzwischen eine große und sehr aktive Senior*innengruppe in der GEW BERLIN gibt. Natürlich beeinflusst diese positive Entwicklung der Senior*innenarbeit auch die Höhe des Durchschnittsalters.
Dies gilt zumindest für den Schulbereich, nicht jedoch für die Abteilung Kinder-, Jugendhilfe und Sozialarbeit (KiJuSo), die mit ihrer wachsenden Mitgliedschaft und den Erfolgen in der Tarifarbeit immer größere Bedeutung erlangte.
Waren bis zur Jahrtausendwende mit der Mitgliederzahl auch die Beitragseinnahmen gesunken, so änderte sich das im Jahrzehnt danach, denn Tariferhöhungen, die für die Mitglieder erkämpft werden, haben immer Anpassungen der Mitgliedsbeiträge zur Folge. Dadurch blieben die Einnahmen trotz sinkender Mitgliederzahlen im Wesentlichen stabil. Zwischen 2000 und 2010 sank der Durchschnittsbeitrag pro Mitglied, und zwar von monatlich 14,39 Euro auf 13,82 Euro, dies war Folge des Lohnstopps von Wowereit und Sarrazin.
Repräsentierte Berufsgruppen beeinflussen Gewerkschaftsarbeit
Die Mitgliederzahl im Bereich Kinder-, Jugendhilfe und Sozialarbeit war in den 80er Jahren stark gestiegen. Dies war Folge des zunehmenden Engagements der GEW BERLIN in diesem Bereich bis hin zu einem elfwöchigen Vollstreik in den Berliner Kitas 1989. Der Abnahme der Mitgliederzahl im Schulbereich, wo Mitglieder tariflich im Durchschnitt höher eingruppiert sind, stand so eine deutliche Zunahme im KiJuSo-Bereich gegenüber, wo niedrigere Gehälter gezahlt werden. Die GEW BERLIN war auch hier zu einer starken Interessenvertretung geworden.
Erst nach 2010 stieg die Zahl der Mitglieder insgesamt wieder an. Die von der GEW-Bundesorganisation gestarteten Kampagnen für »A 13 für alle«, für das Beamt-*innenstreikrecht und für einen Entgelttarifvertrag für Lehrkräfte zeigten auch in Berlin Wirkung.
Seitdem wachsen die Zahl der Mitglieder und damit die Beitragseinnahmen kontinuierlich, sodass die GEW BERLIN heute wieder mehr als 30.000 im Bildungsbereich Beschäftigte organisiert. Der Berliner Landesverband ist inzwischen zum drittgrößten innerhalb der Gesamt-GEW geworden. Auch wenn die Kurve der Mitgliederentwicklung in den letzten Jahren flacher geworden ist, ist es erkennbar sehr vielen wichtig, einer Organisation anzugehören, die ihre beruflichen Interessen wirksam vertritt.