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Schwerpunkt "Hochschulen gestalten Zukunft"

Die Geschichte eines Vertrags

Mit den Hochschulverträgen werden wichtige Weichen für eine innovative Hochschullandschaft gestellt. Der Blick zurück offenbart die Schwierigkeiten, aber auch die Erfolge dieses politischen Steuerungsinstruments.

Foto: Nikolaus Brade/Grundschule der Künste der UDK Berlin

Als am 30. Mai 1997 die Berliner Universitäten erstmals einen Hochschulvertrag unterzeichneten, stand das gegenseitige Verständnis am Anfang einer neuen Beziehung zwischen Staat und Hochschulen. Bis dahin waren Hochschulen eher nachgeordnete Behörden und die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur legte fest, wie viele Beschäftigte, Bücher und Bleistifte jede Hochschule für was zu verwenden hatte. Im Rahmen der sogenannten Input-Steuerung wurden Hochschulen von außen geplant, ausgestattet und wenn der Senatsverwaltung irgendwo Geld fehlte, dann konnte sie mit zögerlichen Verfahren oder Stellenbesetzungssperren Gelder zurückhalten, während die Hochschulen von irgendwas immer zu viel und von anderem zu wenig hatten, weil die Pläne des Ministeriums nicht korrigiert oder Mittel von einem Zweck zum anderen verschoben werden konnten.

Die gegenseitige Ankerkennung von notwendigen Sparmaßnahmen auf Seiten des Senates und von Planungssicherheit auf Seiten der Hochschulen als ersten Satz des ersten Berliner Hochschulvertrages öffnete die Tür zu einer neuen Beziehung zwischen Staat und Hochschulen: Die Hochschulen bekamen zwar weniger Geld, sollten darüber aber freier verfügen und sich vor allem darauf verlassen können.

Unter dem Namen »New Public Management« wurde den Hochschulen seither bundesweit mehr finanzielle und organisatorische Autonomie gewährt, gemeinsam wurden Zielzahlen für Absolvent*innen und Forschungsvorhaben formuliert und der Staat zog sich sukzessive aus der operativen Planung zurück und konzentrierte sich auf die Vereinbarung von Zielen und die Prüfung von Ergebnissen.

Berlin war neben Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen eines der ersten Länder, die das neue Modell einführten und die Berliner Frauenbeauftragten waren die ersten, die die große Macht solcher Vereinbarungen erkannten. Nach intensiven politischen Diskussionen wurde die Erfüllung gleichstellungspolitischer Zielsetzungen eines von neun inhaltlichen Zielen in dem ersten Vertrag zwischen Senat und Hochschulen. Seither ist Gleichstellung ein Thema aller Verträge in Deutschland geworden und, auch wenn es bisher nicht gelungen ist eine quantitative Wirkung der Vereinbarungen zu belegen, dürfen wir sicher annehmen, dass dieses Instrument einen Anteil an der freilich viel zu langsamen Verbesserung der Situation von Frauen in den Hochschulen hat. In den bis 2022 gültigen Verträgen ist dem Thema Gleichstellung und Diversity ein eigenes Kapitel gewidmet.

 

Ein positiver Ansatz mit begrenzter Wirkung

 

Bundesweit sind seit 1997 rund 800 Hochschulverträge, Ziel- und Leistungsvereinbarungen oder ähnlich benannte Dokumente zwischen Staat und Hochschulen abgeschlossen worden. Sie gehören neben der leistungsorientierten Mittelverteilung zu den zentralen Werkzeugen, mit denen die Beziehung zwischen Staat und Hochschulen gestaltet wird. Trotzdem wissen wir nur wenig über die konkrete Wirkung der Vereinbarungen.

In einer Befragung von Hochschulleitungen durch Forscher*innen der Ruhruniversität Bochum wurden die Verträge zwar grundsätzlich positiv bewertet, der konkrete Nutzen und das Innovationspotential aber als eher gering eingeschätzt. Themen wie Digitalisierung, Klimawandel, Gesundheits- und Friedensforschung wurden beispielsweise eher selten aufgenommen. Andererseits sind die Verträge Teil einer insgesamt deutlich verlässlicheren Beziehung zwischen Staat und Hochschulen. Es sind nur sehr wenige Fälle bekannt, in denen Vereinbarungen gebrochen oder gerichtlich angezweifelt wurden und der Wittenberger Hochschulforscher Peer Pasternack bescheinigt den Verträgen daher eine erstaunliche Karriere im politischen System.

 

Auf die Verhandlung kommt es an

 

Den Verträgen zwischen Staat und Hochschulen können grundsätzlich sehr unterschiedliche Verhandlungsprozesse zugrunde liegen. Der Verwaltungsforscher Arthur Benz unterscheidet dabei zwischen positionsbezogenen, kompromissorientierten und verständigungsorientierten Verhandlungen, die ganz unterschiedlich verlaufen und unterschiedliche Vor- und Nachteile haben. Bei positionsbezogenen Verhandlungen nutzen die Akteur*innen Machtmittel wie Drohung, Täuschung oder Verschleierung, um möglichst die eigenen Positionen durchzusetzen. Wenn kleinteilige Aufgaben und Gegenleistungen vereinbart werden, handelt es sich meist um ein kooperatives Aushandeln. Verständigungsorientierte Verhandlungen zeichnen sich wiederum dadurch aus, dass beide Seiten ganz offen nach innovativen Problemlösungen suchen.

Mit Formulierungen wie »gemeinsamer Auftrag« und »gemeinsamen Anstrengungen«, wie sie unter anderem am Beginn der Berliner Hochschulverträge von 2018 stehen, wird in fast allen Verhandlungen bundesweit der Eindruck vermittelt, es gehe um eine gemeinsame, verständigungsorientierte Problemlösung. In der Praxis zeigt sich aber, dass Akteur*innen ganz unterschiedliche Verhandlungsformen in die Verhandlungen einbringen. Verwaltungen machen Vorgaben, Hochschulen verheddern sich in einem Feilschen um Schwerpunkte oder Organisationseinheiten und die Öffentlichkeit erwartet Entscheidungen von weitreichender Vernunft.

 

Offenheit der Ziele schafft Klarheit

 

Dabei zeigt das Modell von Arthur Benz, dass gar nicht alles in aufwändigen verständigungsorientierten Verhandlungen entschieden werden kann: Vor allem die Verteilung von knapper werdenden Mitteln kann kaum auf Verständigung beruhen, denn wer gibt schon freiwillig Ressourcen ab? Hier könnten klare (politische) Ansagen hilfreich sein. Wenn es aber darum geht, Routineaufgaben zu bewältigen, also zum Beispiel möglichst viele Studierende auszubilden, dann sind Vorgaben selten hilfreich, weil sie Widerstand produzieren. Hier bieten sich Austauschprozesse an: Wer kann und will wie viel Ausbildung zu welchen Kosten ermöglichen? Soll aber eine innovative Hochschule der Zukunft gestaltet werden, dann helfen weder Vorgaben noch Aushandlung, vielmehr müsste dazu ein vertrauensvoller Raum für verständigungsorientierte Problemlösung geschaffen werden: Was sind die Herausforderungen der Zukunft, welche Ideen könnten hier weiterhelfen?

Soweit man es von außen sehen kann, vermischen sich in den Verhandlungen bisher diese drei Ebenen immer wieder. Je nach Blickwinkel mag das zu Enttäuschungen führen und eben dazu, dass die Vereinbarungen und Verträge zwar als wichtiges Instrument der Hochschulsteuerung akzeptiert, aber in ihrer Wirkung als eher diffus eingeschätzt werden.

Vielleicht ist es ein Vierteljahrhundert nach dem ersten Berliner Hochschulvertrag an der Zeit, die Verhandlungsprozesse neu zu strukturieren: Was muss schnell politisch entschieden werden, wo ist Platz für kooperativen Wettbewerb und für welche wichtigen Themen muss ein verständigungsorientierter Raum geschaffen und wie kann dieser gestaltet werden? Möglicherweise wäre eine gute Verhandlungskultur zwischen Staat und staatlich finanzierten Einrichtungen auch etwas, das in anderen politischen Bereichen hilfreich sein könnte.

Weitere Informationen findest du im Buch „Macht und Verständigung in der externen Hochschulsteuerung“ von Karsten König (2011): Buch

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46