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Schwerpunkt "Gewalt und Sexismus kontern"

Auf der Sonnenseite des Patriarchats

Das Institut für kritische Männerforschung bietet Workshops an, auf denen sich Teilnehmer*innen mit der Rolle von Männern auseinandersetzen. Im Interview spricht Christoph May darüber, was männliche Kollegen gegen Sexismus tun können. - Langfassung des Interviews

Foto: BETSI SCHUMACHER/BERLIN BRUISERS E.V

bbz: Wie seid ihr dazu gekommen, ein Institut für kritische Männerforschung zu gründen?

Christoph May: Das war kein Moment, sondern eher ein Prozess. Mir ist 30 Jahre lang nicht aufgefallen, dass ich in männlichen Monokulturen sozialisiert worden bin. Alles, was ich gemacht habe – Graffiti-Szene, Arbeit im Berghain, Studium – war männlich dominiert. An der Uni war der Kanon in der Literaturwissenschaft super männlich, da haben wir höchstens mal Christa Wolf gelesen. Meine Magisterarbeit habe ich über „Deutschboden“ geschrieben, einen Roman von Moritz von Uslar. Darin fährt so ein Popkultur-Journalist aufs Brandenburger Land und verbrüdert sich mit ein paar Ex-Nazis im Suff. Da habe ich zum ersten Mal angefangen, über Männlichkeit und die Abwesenheit von Frauen nachzudenken. Später habe ich meine Partnerin Stephanie kennengelernt, sie ist Schriftstellerin und fand alles, was ich gemacht habe, uninteressant. Dann wollte ich natürlich wissen, was sie so konsumiert und sie hat mich mit feministischer Lektüre vertraut gemacht. Woolf, Bovenschen, de Beauvoir, Butler und viele mehr. Und wenn man seinen Medienkonsum erst einmal auf weibliche und queere Produktionen umgestellt hat, will man auch nicht mehr zurück. Dieser enorme kulturelle Reichtum hätte mir die extreme Armut männlicher Monokulturen nicht besser vor Augen führen können. Als wir das Institut gegründet haben, sind wir nicht davon ausgegangen, dass es jemals genug Interesse für eine Workshopreihe zu kritischer Männlichkeit geben würde. Das sollte sich aber mit der #MeToo-Debatte ein Jahr später schlagartig ändern.

Was hat sich durch die feministischen Debatten der letzten Jahre verändert?

May: Die Sichtbarkeit der Lebensrealitäten von Frauen und queeren Menschen hat nicht nur im Internet immens zugenommen. Dass Menschen aus ihrem Privatleben posten und man überforderten Vätern plötzlich bei der Erziehungsarbeit, trans* Menschen bei der Transition und feministischen Aktivist*innen dabei zusehen darf, wie sie jeden Maskulinisten-Mist auseinandernehmen, hat eine krasse Geschwindigkeit angenommen. Ich würde aktuell gar nicht von einem Backlash sprechen, sondern vielmehr von einer Patriarchatsparty. Susanne Kaiser spricht vom feministischen Paradoxon. Überall, wo sich Frauen und queere Menschen Machtpositionen schaffen und öffentlich sichtbar werden, wird die Abwehr der Männer heftiger.


In Bildungseinrichtungen arbeiten mehrheitlich Frauen. Sexuelle Belästigung ist auch hier ein Problem. Ist das Problem unterschiedlich groß, je nachdem, wie sichtbar Frauen am Arbeitsplatz sind?

May: Natürlich brauchen wir mehr Männer in Erziehungs- oder Pflegeberufen, aber für Kinder ist das Geschlecht irrelevant. Es spielt auch keine Rolle, ob du jetzt einen Daddy oder eine Mutter hast, wichtig sind Geborgenheit und Sicherheit. Dass es selbst in weiblich dominierten Berufen Übergriffe gibt und Männer denken, sie könnten sich das leisten, zeigt, wie machtvoll patriarchale Verhältnisse sind. Es löst nicht alles, wenn man eine diverse Arbeitsumgebung organisiert, aber es löst das meiste. Je diverser die Bildungsarbeit wird, desto weniger hast du solche Taten.

Das ist ein langfristiger Prozess. Es gibt aber auch Situationen, die eine akute Veränderung erfordern. Wie lässt es sich aufbrechen, wenn sich sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz verfestigt hat?

May: Nur durch Awareness-Arbeit. Diesen Männern fehlt meist das Wissen, dass sie sich in männerbündischen Strukturen bewegen. Es fehlt an Bewusstsein für die Lebensrealitäten von Frauen und queeren Menschen. Das große Problem ist, dass die meisten Männer weder weibliche noch queere Vorbilder haben. Wenn Daddy mit seinen Jungs zum Frauenfußball oder zum queeren Fußball gehen würde, dann würden sich deren Söhne selbstverständlich weibliche und queere Vorbilder suchen. Deshalb ist es die Aufgabe männlicher Lehrer, das aufzubrechen und dafür zu sorgen, dass Jungs nicht unter sich bleiben. 


Inwiefern profitieren Männer auch selbst davon, wenn sie in so einen Prozess reingehen?

May: Das darf nicht die Frage sein. Ich versuche in unseren Seminaren nicht damit zu arbeiten, Männern zu zeigen, was sie gewinnen können, auch wenn es erstmal plausibel klingt. Die Regisseurin Katharina Mückstein sagt dazu: Ich frag ja in einem rassismuskritischen Seminar auch nicht, was habe ich denn als weiße Person davon, mich mit Rassismus auseinanderzusetzen. Frauenrechte sind Menschenrechte. Wenn es ein Ungleichgewicht gibt, sollten Männer dafür sorgen, dass sich etwas ändert, aber denen ist meistens nicht bewusst, dass sie die Struktur aufrechterhalten. Natürlich gewinnen Männer letztlich auch dadurch, dass sie erfülltere Beziehungen haben, dass sie an der Erziehung ihrer Kinder mehr teilnehmen können. 


Wenn ein Kollege am Arbeitsplatz einen sexistischen Spruch geäußert hat und sagt: Das ist mir rausgerutscht. Wie ordnest du so eine Reaktion ein?

May: Das ist die Verharmlosung von übergriffigem Verhalten und im schlimmsten Fall eine Täter-Opfer-Umkehr. Es gibt zudem oft keine Konfliktlösungs- und Entschuldigungskultur von Männern. Statt es zu relativieren, sollte man zeigen, dass man das Problem verstanden hat, daran arbeitet und dafür sorgt, dass die Betroffenen Wiedergutmachung erfahren. Die gewaltvolle Lebensrealität von Frauen und queeren Menschen spielt im Bewusstsein von Männern kaum eine Rolle. Männer haben teilweise noch nie davon gehört, dass Frauen in Clubs die Getränke zudecken oder nachts nicht joggen gehen. Frauen und queere Menschen fangen in unserem Seminar an zu sprudeln, wenn sie danach gefragt werden. Fragen wir die Männer, was man unternehmen kann, um sexuelle Übergriffe zu verhindern, kommt nix. Weil sie es nicht erkennen und weil sie, indem sie darüber sprechen, riskieren würden, diese Männerbündnisse anzugreifen. Eine der häufigsten Abwehrstrategien in unserem Seminar ist es, mir erstmal zeigen zu müssen, dass sie nicht das Problem sind: ich als Vater mache es doch schon ganz super. Sie begreifen nicht, dass es eine Lebensaufgabe ist.


Gibt es eine klare Grenze zwischen harmloser Kontaktaufnahme und sexueller Belästigung?

May: Die Grenze liegt immer bei dem Gegenüber. Du als Mann entscheidest nicht, dass es harmlos ist, sondern dein Gegenüber entscheidet, wie es wahrgenommen wird. Du hast nicht das Recht, einfach jemanden anzuquatschen, nur weil du gerade Bock hast. Das darfst du machen, wenn du vorher gefragt hast. Diese Konsenskultur hat bei vielen Älteren noch keine Rolle gespielt, bei vielen Jüngeren ist es mittlerweile selbstverständlich zu fragen und die Antwort zu respektieren. Ich würde sagen, bevor Männer überhaupt daten dürfen, müssen sie erstmal zeigen, dass sie in der Lage sind, mit Frauen und queeren Menschen auf Augenhöhe zu sprechen, ohne sie zu sexualisieren. 

Merkt ihr Unterschiede in der Awareness-Arbeit zwischen Workshops mit Männern, die sich vom Arbeitsplatz her kennen und Männern, die sich nicht kennen?

May: Mit Kollegen können wir konkreter zu ihrem Arbeitsumfeld arbeiten. Wenn Menschen sich gar nicht kennen, bleibt Awareness-Arbeit auf einem allgemeinen Diskussionslevel, aber das geht oft genauso tief wie in Arbeitskontexten. Oftmals kommen die Gleichstellungsbeauftragten zu uns, weil die Männer auch einen Safe Space haben wollen. Dabei ist die ganze Welt ein Safe Space für Männer. Neulich saß ich vor 60 Männern und wir mussten drei Stunden miteinander verbringen. Das war kräftezehrend für mich, weil dieser unbewusste Katalog von männlichen Abwehrstrategien in den Raum kommt. Deswegen bin ich auch gegen rein männliche kritische Männlichkeitsgruppen. Männer allein werden das strukturelle Problem nicht lösen.

Wenn wir es im Kollegium schaffen wollen, dass niemand diskriminiert oder belästigt wird, sollten wir das Problem also gemischtgeschlechtlich bearbeiten?

May: Ja, auf jeden Fall. Ich rede jetzt nicht von Täterarbeit oder Betroffenenschutz, sondern von allgemeiner Awareness-Arbeit. Sofern möglich, immer gemischt und dann so moderieren, dass die FLINTA*-Personen nicht unbewusst die Veränderungsarbeit und die emotionale Arbeit leisten müssen. Dass sie so viel Raum haben zu sprechen, wie sie wollen und die Männer erstmal gezwungen sind zuzuhören. Ich begrenze die Redezeit der Männer deshalb auf anderthalb Minuten. Und nachdem die Männer sich die Lebensrealität der Frauen angehört haben, frag ich sie, was die Lösung wäre. Denn die Lösung muss von ihnen kommen.

Das Institut für kritische Männerforschung wurde 2016 von Christoph May und Stephanie May gegründet: https://www.detoxmasculinity.institute