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Schwerpunkt „Risse in der Hochschulfassade“

Die Macht der guten Beziehungen

Über die Berufung zur Professur sollten akademische Leistungen und Qualifikationen entscheiden. In der Realität laufen die Verfahren jedoch sehr intransparent ab. Es überwiegen nicht selten persönliche Beziehungen und Interessen.

Foto: Bertolt Prächt

Die Professor*innen generieren und vermitteln wissenschaftliches Wissen und prägen damit nicht nur das Profil der Universität, sondern auch die Entwicklung des jeweiligen Fachs. Berufungsverfahren an Universitäten sind daher von essenzieller Bedeutung für den Erhalt von Qualität in der akademischen Forschung und Lehre. 

Kommt es zur Neubesetzung einer Professur, erörtert eine Kommission aus verschiedenen Wissenschaftler*innen das Profil, sichtet die Bewerbungen und legt die Berufungskriterien und vor allem ihre Gewichtung fest. Die Kommission stellt damit wichtige Weichen für die Besetzung. Sie setzt sich aus verschiedenen wissenschaftlichen Statusgruppen (Studierende, Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen und andere) zusammen, wobei Professor*innen die Mehrheit haben.

Nach den Vorträgen der Bewerber*innen erstellt die Kommission eine kürzere Liste aussichtsreicher Kandidat*innen und beauftragt im Anschluss zwei externe Wissenschaftler*innen mit einem Gutachten. In mehreren Sitzungen entscheidet die Kommission daraufhin über den Ruf. In Berlin dauert das gesamte Verfahren normalerweise um die zwei Jahre und muss nicht selten noch einmal wiederholt werden, wenn die Ausgewählten inzwischen das Interesse oder die Geduld verloren haben. 

Da die Kriterien wie beschrieben erst in den Sitzungen detailliert besprochen und vor allem gewichtet werden, kommt diesen Sitzungen eine enorme Bedeutung zu. Den auswärtigen Kommissionsmitgliedern wird meistens schnell deutlich, welche Machtverhältnisse in der Kommission herrschen und wer welche Kriterien und welche Kandidat*innen präferiert. 

 

Die Etablierten entscheiden alleine

 

Professor*innen genießen eine recht große Autonomie in der Gestaltung des eigenen Fachgebiets und folglich geht es in diesen Sitzungen um die Aushandlung verschiedener Schulen, Themen und Methoden, beispielsweise auch um Konkurrenz von Teilgebieten. Die Kommissionen werden mitunter für die eigenen Interessen genutzt, und sind daher sehr anfällig für Machtmissbrauch. 

Eine Vielzahl von Faktoren begünstigt Machtmissbrauch in Berufungsverfahren an Universitäten. Dazu gehören unzureichende institutionelle Richtlinien und Verfahren zur Überwachung und Regulierung von Berufungsverfahren und eine unzureichende Diversität in den Berufungskommissionen.

In Berufungsverfahren kommt es häufig vor, dass Kommissionsmitglieder versuchen, die Stelle aufgrund persönlicher Beziehungen oder politischer Verbindungen zu besetzen, anstatt nach akademischen Leistungen und Qualifikationen zu entscheiden.

Die Auswirkungen von Machtmissbrauch in Berufungsverfahren können schwerwiegend sein. Die Bevorzugung bestimmter Kandidat*innen aufgrund von persönlichen Beziehungen oder politischen Allianzen kann dazu führen, dass talentierte und qualifizierte Personen ausgeschlossen werden und Fachbereiche nachhaltig geschädigt werden.

Das Problem ist seit langem bekannt. Schon 2005 veröffentlichte der Wissenschaftsrat eine Reihe von Empfehlungen zur Verbesserung von Berufungsverfahren, doch ein Blick in die Nachbarländer, insbesondere nach Skandinavien, verdeutlicht, wie viel Verbesserungspotential es noch gibt.

In Skandinavien werden die Bewerber*innenlisten, die Kriterien und häufig auch die Namen der Gutachter*innen veröffentlicht. In Deutschland dagegen wissen Kandidat*innen häufig gar nicht, wer in der Kommission ist und welche Kriterien diese heranzieht. Es mangelt an Transparenz über Entscheidungswege und Macht- und Beziehungsgeflechte spielen weiterhin eine wichtige Rolle. 

Immer wichtiger wird auch die Rolle von eingeworbenen Drittmitteln. Da die Grundfinanzierung häufig zu gering für qualitativ hochwertige Forschung ist, wird immer öfter von Kandidat*innen erwartet, dass sie eingeworbene Drittmittel mitbringen. In einigen Fällen wird zur Sicherung von Drittmitteln auf eine öffentliche Ausschreibung verzichtet. Die Kriterien für einen solchen Ausschreibungsverzicht sind oft intransparent. Ein Resultat dieser Praxis ist häufig die Berufung von Personen, die sich vor allem an den Interessen potenzieller Geldgeber*innen orientieren und nicht an der Qualität von Forschung und Lehre. 

 

Langsam regt sich Widerstand

 

Hochschulinterne Debatten zu diesen schwierigen Fragen finden nicht in dem Maße statt, in dem es zu erwarten wäre. Der Psychologieprofessor Daniel Leising, der zum Thema Wissenschaftsreform forscht, betont, dass ein großer Druck zur Konformität in unserem System herrscht, der sich in geringer Bereitschaft zum kontroversen Diskurs ausdrückt. Dies erschwert Gespräche über schwierige Themen. 

Fehlverhalten hat dementsprechend häufig keine Konsequenzen und Beschwerdeverfahren funktionieren nicht zuverlässig genug. Dies betrifft auch Berufungsverfahren: Häufig wird an den Hochschulen akzeptiert, dass Personalentscheidungen auch das Resultat von Machtaushandlungen sind und persönlichen Beziehungen und Präferenzen eine besondere Bedeutung beigemessen wird. 

Gibt es Beschwerden über Machtmissbrauch oder Diskriminierung im Rahmen von Berufsverfahren, so ist häufig nicht klar, welche Stelle dafür zuständig ist. Oft arbeiten Ombudspersonen, Diskriminierungs- und Frauenbeauftragte auch nur nebenamtlich in diesem Gebiet und haben wenig Ressourcen, um Betroffenen zu helfen. Manche sind selbst abhängig, arbeiten beispielsweise gleichzeitig als wissenschaftliche Mitarbeiter*in im selben Fachbereich. Nicht selten raten Frauenbeauftragte den Betroffenen, bestimmte Entscheidungen besser zu akzeptieren als sie infrage zu stellen oder gar über rechtliche Schritte nachzudenken, denn, so heißt es häufig: »Wer klagt, ist verbrannt.«

Nur sehr langsam regt sich Widerstand gegen Machtmissbrauch in Berufungsverfahren. Umso wichtiger sind die öffentliche Debatte und die Initiativen, die sich landesweit gegen Machtmissbrauch bilden und auf diese strukturellen Probleme hinweisen.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Privat:  030 / 219993-46