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bbz 06 / 2017

Die Phase Null: Schulen gemeinsam planen

Egal ob Sanierungsmaßnahme, Erweiterungs- oder Neubau, längst ist nicht mehr nur die Expertise der Architekt*innen gefragt, sondern auch die der Pädagog*innen

Pädagog*innen seien »raumblind« und sollten sich besser nicht in das Geschäft der professionellen Planer*innen einmischen. Das verzögere nur den Bauprozess. Der Vorwurf ließe sich einfach kontern: Die Planer*innen seien schulblind, hätten von den veränderten Anforderungen modernen Unterrichts keine Ahnung, wären auf schöne Fassaden fixiert, ihr wahrer Auftrag beschränke sich auf Kostenreduktion und ähnlich weiter.

Wechselseitige Vorwürfe führen bekanntermaßen nicht weiter und es wäre im konkreten Planungsfall auch aussichtslos, etwa die finale Entscheidungsmacht des Schulträgers über einen Bau grundsätzlich diskutieren zu wollen. Notwendig ist eine Plattform, auf der die unterschiedlichen Akteur*innen einer Schulbaumaßnahme gleichberechtigt miteinander ins Gespräch kommen. Die Schulseite muss den Bedarf deutlich formulieren können.

Damit eine solche Plattform wirksam werden kann, müssen sich die Beteiligten über die unterschiedlichen Voraussetzungen klar werden und da muss die Pädagog*innenseite durchaus eine gewisse »Raumblindheit« zugeben. Sie bezieht sich in den Grundschulen allerdings keineswegs auf die Ausstattung eines Raums: Die meisten Grundschulklassenzimmer sind inzwischen pädagogisch wirksam gestaltet worden, in den meisten Fällen im dauernden Kampf gegen den viel zu geringen Flächenansatz.

Zwei Quadratmeter pro Kind als Klassenzimmerstandard der deutschen Grundschulbauten der vergangenen Jahrzehnte reichten schlicht nicht aus, um den Minimalanforderungen an einen differenzierenden und methodenreichen Unterricht gerecht zu werden.

Dialog auf Augenhöhe

Von »Raumblindheit« ist dagegen eher zu sprechen, wenn es um Grundrissalternativen geht, um Fragen der räumlichen Proportionen und Positionen der verschiedenen Funktionsbereiche eines Schulgebäudes. Bis vor wenigen Jahren wurden die Lehrkräfte einer Schule gar nicht gefragt, wenn es um einen weitreichenden Umbau oder Neubau ging. Galten die überkommenen Strukturen doch seit über hundert Jahren als bewährt: enge Klassenzimmer, die in einer Flurschule eins ums andere aneinandergereiht wurden. Dass dies eine Erfindung für eine Instruktionsschule war, in der es primär ums Zuhören, Aufschreiben und Nachsagen ging, in der Unterrichtsmedien sich weitgehend auf »paper & pencil« beschränkten, schien vergessen.

Darüber hinaus: Was bleibt den Lehrkräften unter dem erheblichen Alltagsdruck denn anderes übrig, als sich mit den Räumen, die sie nun einmal vorfinden, bestmöglich zu arrangieren? Da würden Phantasien nur stören, dass der Grundriss auch ganz anders hätte angelegt werden können.

In der Zwischenzeit hat sich die Situation geändert: Die Schule wird gefragt. Um für den Abgleich der unterschiedlichen Anforderungen von Schule, Kommune und Planer*innen eine Plattform zu schaffen, die einen Dialog »auf Augenhöhe« erlaubt, beginnt sich in den letzten Jahren die so genannte »Phase Null« zu etablieren.

Anstoß für diese merkwürdige Begriffsbildung gab die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI): Sie sah in den festgeschriebenen neun Leistungsphasen – vom Entwurf bis zur Inbetriebnahme – bislang keine eigene Phase für eine integrierte Nutzerbeteiligung als Grundlage der Entwurfsplanung vor. Der Zeitpunkt für eine wirksame Beteiligung der Schule an der Grundlagenplanung liegt aber vor der Entwurfsplanung. Eine spätere Einflussnahme der Nutzer*innen kann sich meist nur noch auf Details beziehen.

Auf der Basis umfassender Recherchen hat die Montag Stiftung in Bonn in den vergangenen Jahren ein Konzept für diese Phase Null entwickelt, das eine solide Grundlagenplanung sichert und zugleich dem Schulträger zu maßgeblicher Kosteneinsparung verhilft, weil es auf Dauer teure Nachbesserungen verhindert. Am Anfang dieser Phase steht die Bestandsaufnahme auf drei Ebenen:

• Kommunal: Prognose der Schüler*innenzahlentwicklung für die Schule unter Berücksichtigung der Entwicklung der Nachbarschulen; Position der Schule im gesamten Bildungsangebot der Kommune/der Region; Einordnung in das stadtplanerische Gesamt-konzept, u.a.

• Baulich: baulicher Zustand des Bestandsgebäudes (bei Sanierungen oder Erweiterungen), Standort-qualitäten, Verkehrsanbindung, u.a.

• Pädagogisch: Pädagogisches Programm und Entwicklungsperspektiven, Raumbelegung, u.a.

Die ersten beiden Recherchen liegen in der Verantwortung der kommunalen Verwaltung, die dritte in der Verantwortung der Schule. Bei größeren Projekten ist es auf alle Fälle sinnvoll, die gesamte Phase Null und den Übergang in die Entwurfsplanung durch externe Schulbauberater*innen begleiten zu lassen, die den Gesamtbestand der relevanten Dokumente sichten, die Vorortbegehungen fokussieren und in gründlichen Schlüsselinterviews sowohl bei den verschiedenen Schulbauakteur*innen wie auch bei den Nutzgruppen der Schule selbst, den Schüler*innen, Eltern, Lehrkräften, der Schulleitung und Verwaltung, die Ausgangslage erheben. Unter Beteiligung von Vertreter*innen aller relevanten Akteursgruppen folgt dann eine Serie von – in der Regel drei – extern moderierten Workshops. Der erste dient der gemeinsamen Sichtung der Bestandsaufnahme und der Einführung in zentralen Fragestellungen einer zukunftsfähigen Schulbauplanung:

• Welcher Grundrisstypologie soll der Bau folgen? KlassenraumPlus: ein erweiterter Klassenraum; Cluster: die Zusammenfassung von drei bis sechs Klassen- sowie mehrerer Funktionsräumen mit einer erweiterten, pädagogisch qualifizierten Verkehrsfläche; Offene Lernlandschaft: der weitgehende Verzicht auf konventionelle Klassenräume zu Gunsten großzügiger multifunktionaler Flächen.

• Wie sollen die Anforderungen von Ganztag und Inklusion räumlich beantwortet werden? Mit integrierten oder separierenden Lösungsansätzen?

• Wie sollen die Arbeitsplätze der Lehrkräfte und weiterer pädagogischer Mitarbeiter*innen angeordnet werden? Zentral oder dezentralen Teamstrukturen folgend?

Nach dem Abgleich von Ausgangslage und Bedarf werden im zweiten Workshop erste alternative räumliche Entwicklungsmodelle, wie Nutzungsszenarien, Grundrisszuordnungen, Atmosphären, vorgestellt und gemeinsam bewertet, um die Entscheidungsfindung im Dialog von Laien und Fachleuten vorzubereiten.

Baufragen provozieren notwendigerweise eine Grundsatzdebatte zur pädagogischen Schulentwicklung: Wie wollen wir in fünf, zehn Jahren unterrichten? Wie können heutige räumliche Entscheidungen ausreichend Offenheit bewahren für jetzt noch nicht absehbare Veränderungen der Pädagogik? Diese und weitere Fragen müssen gegebenenfalls in einem gesonderten Arbeitsprozess schulintern geklärt werden. Die Ergebnisse des zweiten Workshops werden dann in einem dritten Workshop zu einer konsistenten Gesamtlösung verdichtet.

Das Ergebnis wird in einem pädagogisch qualifizierten Raumprogramm zusammengefasst, das deutlich mehr ist, als die bloße Aufzählung von Räumen mit Quadratmeterangaben. Es wird ergänzt durch ein Nutzungsmodell und Funktionsdiagramme zu den verschiedenen Bereichen der Schule. Notwendiger Bestandteil ist schließlich eine belastbare Kostenschätzung, für die in Einzelfällen zusätzlich noch eine vertiefende bauliche Machbarkeitsstudie angefertigt werden muss.

Mit dieser belastbaren Projektbeschreibung fasst dann der Gemeinderat den politischen Maßnahmenbeschluss mit der Festlegung von Raumprogramm, Kosten, Zeitplan und Verfahren.

Auch nach Inbetriebnahme muss begleitet werden

Eine »Phase Zehn« ist – wie die Phase Null – bislang kein Standardbaustein für eine Schulbauplanung. Dabei müsste auch diese Phase eine genauso wichtige Rolle spielen: Der technische Betrieb eines Gebäudes, die fortlaufende Aneignung der Räume und die Weiterentwicklung des Bedarfs durch die Nutzer*innen müssen ebenso aufmerksam begleitet werden wie die Vorbereitung, um eine dauerhaft erfolgreiche Nutzung zu gewährleisten. Im ersten Jahr des Betriebes wird es notwendig sein, kleinere technische Mängel zu erkennen und zeitnah zu beseitigen.Gegebenenfalls kann es auch sinnvoll sein, mit dem Einzug in das neue Gebäude ein regelrechtes Fortbildungsprogramm zu etablieren, das die Lehrkräfte unterstützt, die Chancen, die das neue Raumkonzept eröffnet hat, auch offensiv zu nutzen.

Darüber hinaus sollte nach mehreren Betriebsjahren eine systematische Evaluation des Gebäudes und seiner Alltagstauglichkeit erfolgen. Die Ergebnisse werden allen Planungs- und Entscheidungsbeteiligten zur Verfügung gestellt und etwaige Nachbesserungen oder mögliche Anpassungen in der Nutzung von Räumen festgelegt.

Der entscheidende Effekt aber führt über das Bauprojekt selbst weit hinaus: Schulträger und Schulbauplaner*innen wie auch die fördernden Landesbehörden erhalten die Chance, aus Planungsfehlern für zukünftige Schulbaumaßnahmen zu lernen. Nur so wird es möglich, die Phase Null wie auch die anderen Planungsphasen für zukünftige Bauaufgaben nutzer*innengerecht und wirtschaftlich zu optimieren. Der komplexe Verbund der für einen Schulbau zuständigen Instanzen muss zu einem lernenden System werden.

Der Artikel ist zuerst in der "Grundschule" (Nr. 7/2016) erschienen. Wir danken für die Genehmigung zum Zweitabdruck in leicht gekürzter Fassung.