Schule
Die Rahmenbedingungen stimmen nicht
Berliner Lehrkräfte wollen die Digitalisierung, aber die Umsetzung des digital unterstützten Lehrens und Lernens ist mit erhöhten Belastungen verbunden.
Die Nutzung digitaler Medien im Unterricht in Berliner Schulen ist inzwischen zur Regel geworden. Das Interesse, mehr digitale Elemente im Unterricht einzusetzen, ist unverändert hoch. Gleichzeitig prägt jedoch digitaler Stress die Arbeitswirklichkeit von Lehrkräften, da die aktuellen Probleme bei der Umsetzung des mediengestützten Unterrichtens sie zusätzlich belasten.
Im Rahmen des Forschungsprojektes Arbeitszeit und Arbeitsbelastung Berliner Lehrkräfte 2023/2024 der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften der Universität Göttingen wird mit Förderung der Max-Träger-Stiftung und mit Unterstützung der GEW BERLIN über ein Schuljahr systematisch die Arbeitszeit von Lehrkräften erhoben. Darüber hinaus wird mithilfe von Onlinefragebögen die Belastungssituation unter verschiedenen Aspekten erfasst. An der ersten Umfrage im November 2023 nahmen 2.385 Berliner Lehrkräfte aller Schulformen teil. Sie konzentrierte sich auf die Themen Digitalisierung und digitaler Stress, Wertschätzung des Lehrkräfteberufs und die Situation von Lehrkräften mit Quer- und Seiteneinstieg. Eine weitere Umfrage wird im Sommer folgen. Der Auswertung liegen Auskünfte von 7,3 Prozent der Lehrkräfte aus allgemeinbildenden und beruflichen Schulen in Berlin zugrunde, die seit dem Sommer 2023 täglich ihre Arbeitszeit dokumentieren.
Die ersten Ergebnisse, die hier zusammengefasst präsentiert werden, fokussieren auf die Belastung durch die Digitalisierung in der Schule. Grundlage sind drei Arbeitspapiere, die auch die Hintergründe analysieren und Gestaltungsmöglichkeiten aufzeigen. Weitere Ergebnisse werden in loser Folge in weiteren Arbeitspapieren veröffentlicht.
Die meisten Lehrkräfte nutzen digitale Medien
Zwei Drittel der Berliner Lehrkräfte setzen täglich digitale Medien im Unterricht ein. Dies entspricht in etwa dem Durchschnitt in Deutschland im Jahr 2021. Die Mediennutzung war während der Pandemie stark angestiegen (siehe Abbildung). Lehrkräfte engagieren sich dafür, weil sie konkrete Verbesserungen erwarten. Sie wollen effizienter arbeiten, professioneller unterrichten und ihre Schüler*innen gezielter fördern und mit Lehrmaterialien versorgen. Jedoch fehlen ihnen aufgrund ihres Arbeitsdrucks die Zeit und auch die konkrete Unterstützung, um das digital gestützte Unterrichten angemessen zu realisieren und sich persönlich weiterzuentwickeln. Fehlender IT-Support, mangelnde Unterstützung und technische Probleme in vielen Schulen verhindern eine breitere Umsetzung. Daher wird die Digitalisierung derzeit vor allem als Belastung empfunden: Nur 6 Prozent der Befragten erleben eine Entlastung durch die Digitalisierung, 71 Prozent nehmen unter den derzeitigen Rahmenbedingungen eine Mehrbelastung wahr.
Dienstliches mobiles Endgerät floppt
Wie man die Digitalisierung nicht realisieren sollte, zeigen die Erfahrungen der Berliner Lehrkräfte mit ihrem dienstlichen Endgerät, das sie seit 2021 ausschließlich nutzen sollen. Nur ein Drittel der Lehrkräfte nutzt es regelmäßig mindestens wöchentlich, zum Beispiel weil die Schulverwaltung nicht sichergestellt hat, dass in allen Schulen ausreichend Internet verfügbar ist und das Endgerät problemlos mit digitalen Tafeln und anderen Peripheriegeräten verbunden werden kann. Auch für das Unterrichten und die Klassenorganisation notwendige Funktionen werden entweder als nicht bedienungsfreundliche Browser-Lösungen (statt als Apps) angeboten oder fehlen völlig. So hat das Endgerät nur wenig praktischen Nutzen. Lehrkräfte wünschen sich ein leistungsfähigeres Gerät, mehr praktische Anwendungen und ein funktionierendes Gesamtkonzept. Das Gesamtsystem muss funktionstüchtig gemacht werden, damit das Endgerät an Wert gewinnt. Dazu müssen Lehrkräfte an der Umsetzung beteiligt werden, um ihre arbeitsbezogenen Bedarfe angemessen zur Geltung bringen zu können.
Digitaler Stress macht krank
Der digitale Stress, den Lehrkräfte aufgrund der beschriebenen Rahmenbedingungen erfahren, hat langfristig negative Auswirkungen auf die Gesundheit. Beispielsweise ist der Burnout-Wert bei Lehrkräften mit starkem Stress signifikant höher. Die gesetzlich geforderten Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sollten hier ansetzen. Die Auswertung der Umfrageergebnisse zeigt das Potenzial von Maßnahmen zur Verringerung von digitalem Stress. Es handelt sich sowohl um personenbezogene Maßnahmen wie Weiterbildung, als auch um organisationsbezogene Maßnahmen. Dazu gehört die Bereitstellung von IT-Support und eine systematische Verbesserung der Infrastruktur des digital unterstützten Lehrens und Lernens.
Der rote Faden, der sich durch die Ergebnisse der Umfrage zieht, ist der scharfe Gegensatz von einerseits hoher Bereitschaft und Interesse der Lehrkräfte am mediengestützten Unterrichten und andererseits offenbar großen Schwierigkeiten der Schulen und der Schulverwaltung, angemessene Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Beispielhaft ist die Beschaffung des digitalen Endgeräts, bei dem im dritten Jahr seines Einsatzes grundlegende Funktionsprobleme noch nicht gelöst worden sind, wie beispielsweise die Freigabe von Apps zum Betrieb aller in den Schulen installierten digitalen Tafeln. Im Senat handhabt man die Einführung von neuer Technik als Beschaffungsentscheidung und übersieht dabei, dass auch beim Einsatz des dienstlichen Endgeräts Probleme auftreten, um deren Bearbeitung sich die Behörde aktiv kümmern müsste. Zudem sind zunächst Rahmenbedingungen zu schaffen, die den nützlichen Einsatz des Geräts in der Schule überhaupt erst ermöglichen (siehe Abbildung). Die Umfrageergebnisse werfen auch die Frage auf, wieweit das Gesamtkonzept tragfähig ist. Die Kritik der Lehrkräfte zeigt: Das dienstliche Endgerät eignet sich aus ergonomischen und funktionalen Gründen nicht als Alleingerät für Lehrkräfte.
Lehrkräfte beteiligen
Es muss eine Lösung gefunden werden, die dem mobilen Arbeiten in der heutigen Zeit entspricht. Dazu gehört der Wechsel zwischen unterschiedlichen Arbeitsplätzen und Endgeräten zu Hause, in der Schule und unterwegs. Sichere Cloudlösungen und ergonomisch voll ausgestattete alternative Arbeitsplätze in der Schule gehören wahrscheinlich dazu. Es muss auch eine Lösung gefunden werden, die die Beschaffungsentscheidungen für die Endgeräte der Schüler*innen (oftmals iPads) berücksichtigt. Wie genau ein tragfähiges Konzept für digitale Endgeräte aussehen kann, sollte unter angemessener Berücksichtigung der Bedarfe von Lehrkräften diskutiert werden. Wie diese einbezogen werden können, wäre eine wichtige Frage. Es bieten sich dafür schulbezogene Beteiligungsprozesse im Rahmen der Schulentwicklung des digitalen Lehrens und Lernens an. Es ist aber sicher auch notwendig, dass die Schulbehörde in Verhandlungen mit der Interessenvertretung das Einsatzkonzept für die dienstlichen Endgeräte revidiert und allgemein die Digitalisierung in der Schule weiterentwickelt.
Unter den aktuell gegebenen Rahmenbedingungen erzeugt der Einsatz digitaler Medien unnötigen Stress. Nur durch eine nachdrückliche Verbesserung der Rahmenbedingungen für das digitale Lehren und Lernen kann der digitale Stress reduziert werden. Die Umfrageergebnisse zeigen einige Ansatzpunkte dafür auf.
Umfrageergebnisse und Arbeitspapiere zu Belastungen durch die Digitalisierung in Schule