30 Jahre Kita-Streik
Die Rolle der Alternativen Liste
Während des Berliner Kitastreiks tobte auf der politischen Bühne eine Auseinandersetzung zwischen der SPD und der jungen Alternativen Liste für Demokratie und Umweltschutz (AL).
Die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus am 29. Januar 1989 endeten mit einem überraschenden Sieg für die SPD und die AL, der allerdings durch den Einzug der Republikaner mit 7,5 Prozent Stimmenanteil überschattet wurde. Der vorherige Diepgen-Senat wurde abgewählt. Neben herben Verlusten für die CDU verlor Diepgen mit dem Scheitern der FDP an der 5-Prozent-Hürde seine Mehrheit. Vor der Wahl hatte der SPD-Spitzenkandidat Walter Momper eine Koalition mit der »Alternativen Liste für Demokratie und Umweltschutz« (AL) mehrfach ausgeschlossen. Noch am Wahlabend erklärte er die AL für »nicht politikfähig«.
GEW und Alternative Liste hatten viel gemeinsam
Mit der AL gab es vor allem unter der jüngeren GEW--Mitgliedschaft eine starke soziokulturelle Überschneidung. Für etliche Mitglieder war die GEW BERLIN seit Mitte der siebziger Jahre zu einer Art Ersatzpartei geworden. Mit Gründung der AL im Oktober 1978 setzte dann eine gegenläufige Bewegung ein. GEW-Mitgliedern, die sich in der allgemeinen Politik engagieren wollten, wurde ein erfolgsversprechendes, neues Angebot unterbreitet.
Starke Widerstände an der SPD-Basis und die allgemeine Stimmung in der Stadt gegen eine große Koalition veranlassten die SPD-Spitze mit der AL in Gespräche einzutreten. Als die AL die von Momper als »Prüf-steine« hoch stilisierten Punkte (Anerkennung der Präsenz der Alliierten, des Gewaltmonopols des Staates und der Bindungen von Berlin (West) an den Bund) anerkannte, konnte Momper den Richtungswechsel politisch begründen und hatte gleichzeitig die AL bereits vor Beginn der eigentlichen Koalitionsverhandlungen diszipliniert.
Die AL hatte sich im Vorfeld der Wahl zu einer Zusammenarbeit mit der SPD bereiterklärt, hatte aber keinen Plan fürs Regieren. Sie trat mit einem Wahlprogramm an, in das die verschiedenen Interessengruppen innerhalb der AL ihre Wünsche hineingeschrieben hatten. Die einzelnen Punkte waren nicht auf ihre Machbarkeit geprüft, sie waren nicht priorisiert und sie waren auch nicht untereinander abgestimmt. Als es dann wider Erwarten doch zu einer Regierungsbeteiligung der AL kam, verzichtete die Partei darauf, wenigstens ein Schlüsselressort zu besetzen. Auf Seiten der AL gab es kein personelles Konzept für den Regierungseintritt. Der überraschen-de Vorstoß aus dem AL-Bildungsbereich, die stellvertretende GEW-Landesvorsitzende Sybille Volk-holz als Senatorin für Schulwesen vorzuschlagen, verursachte in der GEW verständlicherweise kontroverse Diskussionen. Im GEW-Vorstand wurde aber dieser Schritt schließlich befürwortet. Der Wechsel von der GEW-Spitze in die Position der Schulsenatorin drückte die Nähe von AL und GEW besonders deutlich aus.
Gab es im Schulbereich dank Sybille Volkholz eine große Übereinstimmung in den grundsätzlichen Positionen und einen engen Austausch, so kann dies für den Bereich der Senatsverwaltung für Frauen, Jugend und Familie nicht gesagt werden. Mit Anne Klein entsandte die AL ebenso wie mit Sybille Volk-holz eine Frau ins Senator*innenamt, die nicht Mitglied der AL war, sondern als Fachpolitikerin im Senat AL-Positionen durchsetzen sollte. Anne Klein hatte sich vor ihrer Wahl vor allem in der Frauenpolitik profiliert, nicht in der Kinder- und Jugendpolitik. Eine Nähe zu den Gewerkschaften konnte ihr nicht nachgesagt werden.
Der misslungene Einstieg in Tarifverhandlungen
Es war ÖTV (heute ver.di) und GEW gelungen, in der Koalitionsvereinbarung das Ziel, die Arbeitsbedingungen der Erzieher*innen zu verbessern, zu verankern. Offen blieb aber, wie dies geschehen solle. In der Realität unterschied sich die Reaktion des neuen Senats zunächst nicht von der der vorherigen Landesregierung unter Diepgen, es wurde auf Zeit gespielt. Erst als die Erzieher*innen mit ihren Forderungen aktiv in die Öffentlichkeit gingen, stellte sich Anne Klein in einer Großveranstaltung der Diskussion mit den Erzieher*innen. Sie versicherte ihre persönliche Unterstützung, konnte aber mangels vorheriger Abstimmung im Senat keine konkreten Aussagen machen.
Im Dezember 1989 fand nach mehreren Warnstreiks, die wirkungslos verpufften, die Urabstimmung statt. In beiden Gewerkschaften stimmten über 90 Prozent der organisierten Erzieher*innen für einen unbefristeten Streik, der am 15. Dezember begann und nach dem Jahreswechsel ab dem 5. Januar fortgesetzt wurde. Anne Klein versuchte in dieser Phase in einigen »Vermittlungsgesprächen« die Möglichkeiten einer Konfliktlösung auszuloten. Es war der verzweifelte Versuch, als fachlich zuständige Senatorin im Geschäft zu bleiben. Da sie, wie auch die Mehrheit der AL-Mitglieder, die Koalition zu diesem Zeitpunkt noch nicht scheitern lassen wollte, hatte sie aber keine reale Verhandlungsoption. Sie scheiterte an der kompromisslosen Haltung der SPD-Mehrheit im Senat, die von Beginn an auf Konfrontation setzte.
Die AL stellte sich in ihrer Öffentlichkeitsarbeit an die Seite der Streikenden und kritisierte die Position der SPD. So rief sie zur Teilnahme an der Demonstration von ÖTV und GEW am 1. Februar 1990 auf, die sich ja gegen die Blockadehaltung der eigenen Landesregierung wandte. Allerdings vermied es die AL, Konsequenzen für den Fall anzudeuten, dass die SPD-Mehrheit im Senat dem Einwirken der AL widerstehen sollte.
Zum offenen Dissens im Senat kam es am 13. Februar im Anschluss an die Senatssitzung, in der die SPD-Mehrheit erneut die Aufnahme von Tarifverhandlungen abgelehnt hatte. Die drei von der AL gestellten Senatorinnen gaben öffentlich eine »persönliche Erklärung« ab, in der sie die Haltung der Senatsmehrheit kritisierten und die Gewerkschaftsforderungen zum Teil für tarifierbar erklärten.
Der SPD-Landesvorstand stärkte am 16. Februar dem Senat den Rücken und forderte den Erlass eines Kita-Gesetzes und die Aufnahme von unverbindlichen Verhandlungen zur Regelung von Fort- und Weiterbildung.
Am 3. März fasste die Mitgliedervollversammlung (MVV) der AL endlich einen Beschluss, in dem der Senat zur Aufnahme von Tarifverhandlungen über alle Forderungen der Gewerkschaften aufgefordert wurde. In der GEW wurde die klarere Haltung der AL natürlich begrüßt. Es war aber innerhalb der Fraktion wie unter den drei Senatorinnen weiterhin klar, dass die Koalition am Kitastreik nicht zerbrechen sollte. Damit gab die AL das wichtigste Druckmittel aus der Hand und pflegte letztlich einen Verbalradikalismus ohne Konsequenz. Die Fraktion setzte den Beschluss der MVV nicht um. Gemeinsam mit der SPD brachte sie stattdessen einen Antrag ein, in dem der Senat nur unspezifisch zur Aufnahme von Gesprächen aufgefordert wurde.
In den nachfolgenden Gesprächen Anfang März erwies sich jedoch erneut, dass der Senat in der Sache zu keinem Kompromiss bereit war. Wenn ÖTV und GEW den Senatsentwurf eines Mini-Tarifvertrages zur Fort- und Weiterbildung nicht akzeptierten, würden die Tarifverhandlungen endgültig für gescheitert erklärt. Am 20. März beschloss der Senat auf Initiative von Ingrid Stahmer mit der SPD-Mehrheit, die Kitas wieder zu öffnen und Eltern als bezahlte Streikbrecher*innen einzustellen. Anne Klein als zuständige Senatorin war vollständig entmachtet.
Der AL blieb nur wütender Protest und die Forderung, diesen Beschluss umgehend zurückzunehmen. Das war dann nicht mehr nötig, da die Tarifkommission in der folgenden Woche mit knapper ÖTV-Mehrheit beschloss, den Streik »auszusetzen«. Enttäuscht vom mangelnden Durchsetzungswillen der AL legte die Fraktionsvorsitzende (und GEW-Mitglied) Heidi Bischoff-Pflanz die Funktion und ihr Abgeordnetenhausmandat nieder.
Das strategische Versagen der AL in Hinblick auf den Kita-Streik liegt zurückblickend darin, dass sie die sozial- und gesellschaftspolitische Bedeutung dieser Auseinandersetzung nicht erfasst hat. Es hätte die Chance gegeben, durch eine nachhaltige Verbesserung der Arbeitsbedingungen dem Beruf der Erzieher*innen eine größere Attraktivität zu geben.
In jedem anderen Bundesland wären die Erfolgsaussichten eines Streiks zu diesem Zeitpunkt besser gewesen, nur Berlin war in diesem Maße von der Bundeshilfe abhängig und nur in Berlin waren die gleichzeitig stattfindenden Umwälzungen in der DDR so tiefgreifend und die politische Auseinandersetzung beherrschend. So gab es bei vielen Beteiligten das Gefühl, die Forderungen der Erzieher*innen seien auf dem Altar der Deutschen Einheit geopfert worden. Zu diesem Gefühl hat die Senatsmehrheit mit ihrer Argumentation wesentlich beigetragen.
Der Kita-Streik hat neben dem Zustrom der neuen Mitglieder aus dem ehemaligen Ostteil Berlins die GEW BERLIN tiefgreifend verändert. Aber auch die AL war am Ende eine andere als zu Beginn. Etwa 700 Mitglieder kehrten der Partei den Rücken, über 800 traten ihr in der gleichen Zeit bei. Die Folge war eine deutliche Schwächung des linken Flügels. Mit der Vereinigung mit den DDR-Grünen zu Bündnis 90/Die Grünen stießen wenig später neue Mitglieder zu der Partei, die auf Grund ihrer Erfahrungen und der Verbindungen zu der kirchlichen Opposition in der DDR starke Vorbehalte gegen eine linke Gewerkschaft wie die GEW BERLIN hatten. Umgekehrt war vielen GEW--Mitgliedern genau diese politische Herkunft vieler Ost-Grüner sehr fremd.
Bestand 1989 noch ein enges, wenn auch konfliktreiches Verhältnis zwischen AL und GEW, so haben die nachfolgenden personellen und politischen Veränderungen in der GEW BERLIN und bei Bündnis 90/Die Grünen eine vergleichsweise rationale Beziehung herausgebildet. Für die GEW BERLIN verlor die AL in der Opposition an strategischer Bedeutung, blieb aber in vielen Fragen ein Bündnispartner mit einem parlamentarischen Arm. Das war allerdings in Laufe der Jahre nicht mehr ein Alleinstellungsmerkmal der Grünen, da diese Rolle auch zunehmend die Partei »Die Linke« einnahm. Das Verhältnis zur SPD hatte mit Ende des Kitastreiks noch nicht seinen Tiefpunkt erreicht. Dies blieb der Ära Wowereit vorbehalten.