Schwerpunkt „Künstliche Intelligenz in der Schule“
Die Rolle Künstlicher Intelligenz in der beruflichen Bildung
KI-Methoden können dabei helfen, gute Aus- und Weiterbildung individuell und passgenau für Millionen von Menschen zu schaffen.
Demographischer Wandel, Klimatransformation und Digitalisierung sorgen dafür, dass über das kommende Jahrzehnt Millionen von Fachkräften in Deutschland aus- und weitergebildet werden müssen. Unser aktuelles Bildungssystem scheint diesem Bedarf kaum gewachsen. Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) könnten helfen, gute und personalisierte Bildung für alle verfügbar zu machen – wenn wir es richtig anstellen.
Aber zunächst einen Schritt zurück: Was heißt hier eigentlich Künstliche Intelligenz? Ich meine mit KI einen Werkzeugkasten von Methoden, die einzelne Fertigkeiten automatisieren, die wir typischerweise für intelligent halten. In der beruflichen Bildung können das zum Beispiel Fertigkeiten sein wie: Erkennen, ob jemand bei einer Hausaufgabe Hilfe braucht und diese Hilfe dann geben. Gerade ist viel die Rede von großen Sprachmodellen, den large language models (LLM), wie zum Beispiel GPT. Solche Modelle sind eigentlich bloß dazu da, Text zu vervollständigen, werden uns aber gerade wie Universal-KI-Systeme verkauft, die fast alles können. Das ist nicht der Fall. Wenn ich ein Sprachmodell bitten würde, die Texte meiner Studierenden zu korrigieren und zu benoten, gibt es keinerlei Garantie, dass diese Korrekturen und Benotungen irgendeinen Sinn ergeben, weshalb ich das auch nicht tue.
Wobei KI-Systeme helfen könnten
Das klingt erst einmal ernüchternd. Trotzdem können KI-Methoden eine gewichtige Rolle in der (digitalen) beruflichen Bildung der Zukunft spielen und zwar in wenigstens drei Hinsichten.
Erstens könnten KI-Methoden dabei helfen, für uns als individuelle Menschen die jeweils passenden Aus- und Weiterbildungsinhalte zu finden. Wenn ich etwa schreibe, dass ich gern Gymnasiallehrkraft für Mathematik und Informatik in Berlin wäre, könnte ein System die notwendigen Voraussetzungen heraussuchen, mir vorlegen und mich testen, inwieweit ich die Voraussetzungen erfülle, mit von Menschen gestalteten Tests. Für alle Voraussetzungen, die mir fehlen, könnte das System dann ein Weiterbildungsangebot vorschlagen, entsprechend meiner individuellen Bedarfe, etwa angemessen für meine Vorkenntnisse und berufsbegleitend.
Wenn ich nun ein passendes Angebot für mich gefunden habe, folgt Schritt zwei: Die individualisierte Bereitstellung von Inhalten innerhalb des Kurses. Idealerweise würde mir zum Einstieg in den Kurs bereits ein Fragebogen vorgelegt, der meine Vorkenntnisse erhebt. Dann kann das Kursmaterial automatisch an mich angepasst werden. Und während ich das Material bearbeite, kann das System meinen Fortschritt messen und gegebenenfalls individuell nachsteuern, mit einfacheren Aufgaben, wenn ich überfordert bin oder mit tiefergehenden, optionalen Inhalten, wenn ich rasch vorankomme. Wohlgemerkt: Die Gestaltung des Materials selbst, die Prüfung und die pädagogische Verantwortung für den Kurs würden hier immer noch vollständig Menschen übernehmen. Es geht hier bloß um die Selbstarbeitsphasen, etwa in e-learning-Systemen.
Schließlich Schritt drei: Während ich einzelne Inhalte bearbeite, sollte mir ein System individualisiert Hinweise und Hilfestellung geben, wenn ich nicht weiterkomme und zwar nur so viel, dass ich weiterhin gefordert, aber nicht überfordert bin. Hier übrigens scheitern Sprachmodelle grandios. Sie sind darauf trainiert, Text zu generieren, der mich möglichst rasch zufriedenstellt, aber nicht darauf, mich zu fordern und sich eher zurückzuhalten, damit ich selbst die Lösung finde. Es sind also Kombinationen mit anderen, passenden Methoden gefragt.
In virtueller Realität lernen
Und wo wir gerade von einzelnen Inhalten sprechen: Unsere aktuellen digitalen Angebote in der beruflichen Bildung sind ja leider noch häufig Text und Multiple-Choice-Quizfragen. Das ist der Praxisnähe beruflicher Bildung eigentlich nicht angemessen. Im Prinzip könnten wir längst viel mehr: Es gibt etwa Lernmodule aus der Forschung in virtueller Realität, in der sich das Autolackieren üben lässt, das Schweißen, Patient*innengespräche in der Pflege, Erste Hilfe, Klassensituationen in der Lehrkräfteausbildung, Bewerbungstrainings und vieles mehr. Deutschland ist in diesem Bereich tatsächlich weltweit ziemlich weit vorn.
Aber wenn doch so viel tolle Dinge im Prinzip möglich sind, warum sehen wir dann so wenig davon in der Praxis? Weil das meiste davon, leider, in der Forschung hängen bleibt. Gute KI-gestützte Lehrkonzepte aus der Forschung in alltagsbrauchbare Produkte zu verwandeln, dauert leider viele Jahre, für die es kaum Fördermöglichkeiten gibt. Die Wunschvorstellung der Politik scheint zu sein, dass Menschen, die ein gutes Konzept während ihrer Promotion erforscht haben, dann eine Firma gründen und das Konzept dem Bildungssystem wieder für viel Geld verkaufen. Das passiert aber nur in den wenigsten Fällen und ist aus meiner Sicht auch Verschwendung. Gesellschaftlich sinnvoller wäre es, langjährige Transferprojekte zu ermöglichen, in denen sowohl Wissenschaftler*innen als auch Lehrende und Lernende Ressourcen und Zeit bekommen, ein Konzept praxistauglich zu machen.
Berufliche Bildung im Blick
Außerdem braucht es mehr Personal für Bildungsinstitutionen, wie Berufsschulen etwa, um Bildungstechnologien in der Praxis einzuführen, zu warten und den Lehrenden und Lernenden zu erklären. Denn eines zeigt die Forschung ganz eindeutig: eine noch so tolle, KI-gestützte Bildungstechnologie bringt in der Praxis wenig, wenn Lehrende und Lernende mit ihr nicht umzugehen wissen. Wirklich positive Wirkung entfalten können Bildungstechnologien nur, wenn sie so selbstverständlich einsetzbar sind wie ein Schulbuch heute und wenn Personal und Zeit für den Einsatz da ist. Dann kriegen wir es auch hin, gute Bildung individuell passgenau für Millionen von Menschen bereitzustellen, mit Mitbestimmung der Lernenden und Lehrenden, mit Datenschutz und mit guter Pädagogik.
Ich ende also mit einem Aufruf an meine Kolleg*innen in der GEW: Bringen Sie sich in Sachen KI in der beruflichen Bildung ein. Bestimmen Sie mit. Stellen Sie sicher, dass KI den pädagogischen und individuellen Zielen der Lernenden dient. Beharren Sie darauf, dass gute pädagogische Arbeit komplex ist, zu komplex, um sie wegzuautomatisieren, aber seien Sie bitte auch offen für Anwendungsfälle, wo automatische Unterstützung Bildung tatsächlich verbessern kann. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit.
Der Ethikrat zu Herausforderungen im Umgang mit KI: hier