Schwerpunkt „Gesund in kleineren Klassen“
Die Teilzeitfalle
Teilzeit bedeutet nicht automatisch geteilte oder weniger Arbeit. Die GEW BERLIN kämpft mit dem TV Gesundheitsschutz für kleinere Klassen um eine wirksame Arbeitsentlastung.
Die letzte Veränderung der Pflichtstunden der Lehrkräfte, also die wöchentlichen Deputatsstunden, erfolgte zum Schuljahr 2003/2004: In Form einer Verschlechterung. Während die Wochenarbeitszeit der Beamt*innen des Landes Berlin auf 42 Stunden erhöht wurde, stieg gleichzeitig die Unterrichtsverpflichtung der Lehrkräfte schulformabhängig in unterschiedlichem Umfang. Während Grundschullehrkräfte eine zusätzliche halbe Stunde aufgebrummt bekamen, mussten Kolleg*innen an Gymnasien, berufsbildenden Schulen und Gesamtschulen sogar jeweils zwei zusätzliche Stunden in Kauf nehmen. Die GEW BERLIN kritisiert seitdem immer wieder, dass hier ein doppelter Betrug vorliegt: Weder hätten die Lehrkräfte von der darauffolgenden Arbeitszeitverkürzung der Beamt*innen im sonstigen öffentlichen Dienst profitiert, noch blieben sie von einer Erhöhung der Pflichtstundenzahl verschont.
Seither entwickelte sich zudem das Arbeits- und Aufgabenfeld zur Pflichtstundenzahl disproportional: Zunehmend heterogene Schüler*innenschaft, wachsende Klassengrößen, intensivere Elternarbeit, steigende Kooperationen und neue pädagogische Herausforderungen sowie fehlendes Personal beeinflussen und erschweren die Arbeit. Eine Reduzierung der Stunden könnte hierbei Abhilfe schaffen. Aber ersetzen zwei Lehrkräfte mit halber Stelle eine Vollzeitlehrkraft?
Teilzeit ist nicht gleich geteilte Zeit
Teilzeit bedeutet nicht automatisch geteilte oder weniger Arbeit. Die Teilzeitmodelle verstärken das Ungleichgewicht in der Verteilung der schulischen Verantwortlichkeiten. Zum einen gibt es unteilbare Aufgaben, die durch ein Teilzeitmodell nur schwer ausgeglichen werden können. Dazu zählen Klassenleitung, Elternarbeit, Korrekturen, Konferenzen, Veranstaltungen und Aufsichten. Insbesondere die geteilte Klassenleitung erscheint hierbei als Ort ungleich verteilter Arbeit. So ist es nicht ungewöhnlich, dass sich die Teilzeitlehrkraft verantwortlicher fühlt als ihre Vollzeit Co-Lehrkraft, die aufgrund ihres hohen Stundendeputats für dieses Aufgabengebiet weniger effektive Zeit zur Verfügung hat. Dieser proportional zeitliche Mehraufwand wird jedoch nicht bezahlt. Außerdem lassen sich erhebliche Unterschiede bei der Arbeits- und Mehrbelastung abhängig zum Beispiel vom zu unterrichtenden Fach, Unterricht in der Oberstufe versus Mittelstufe und anderen Faktoren feststellen, für die es noch keine Lösungen gibt. Bisher hat nur Hamburg ein entsprechendes Modell vorgelegt, dessen Faktoren allerdings nicht nur ohne vorherige Arbeitszeitmessung frei erfunden, sondern zur Kürzung der gesamten Zeitressource genutzt wurden. Von den spalterischen Effekten auf das Kollegium ganz zu schweigen.
Zum anderen entscheiden sich Kolleg*innen für ein Teilzeitmodell, um der drohenden Gesundheitsgefährdung oder Überlastung einen Riegel vorzuschieben. Gesundheit und Entlastung werden so auf eigene Kosten finanziert, durch Lohnverzicht.
Im Frauenförderplan wird es sichtbar
Fakt ist, dass die Anzahl der Teilzeitlehrkräfte aktuell rund ein Drittel der 30.000 Beschäftigten ausmacht. Die Gründe für ein Teilzeitmodell dürften so bunt gemischt sein wie die Fächer selbst: Gesundheit, Arbeitsentlastung, Kinder, Pflege von Angehörigen, Nebentätigkeiten und Hobbies. Allerdings zeichnet das Ergebnis des aktuellen Frauenförderplans ein genaueres Bild: Fast 8.000 Teilzeitbeschäftigte sind Frauen.
Diese Zahl sollte zu denken geben, denn Frauen stellen mit fast 22.000 Beschäftigten den größten Anteil aller Lehrkräfte dar. Abgesehen vom Anteil der Frauen des weiteren pädagogischen sowie des nichtpädagogischen Personals wird ein beachtlicher Teil der Arbeit von Frauen in Teilzeit geleistet. Oder anders ausgedrückt: Ein Teil der Arbeit von vielen Frauen bleibt unbezahlt.
Strukturelle Benachteiligungen bekämpfen
Die von den Gesamtkonferenzen beschlossenen Teilzeitmodelle sind der wichtige Versuch, die zu knappe Decke zumindest besser zurecht zu rücken und somit Linderung für die drängendsten Probleme zu erreichen. Sie liefern jedoch weder eine ausreichende Entlastung für die jeweilige Lehrkraft, noch führen sie zu einer fairen Entlohnung im Verhältnis zu der geleisteten Arbeit. Die GEW BERLIN fordert deshalb zusätzliche Entlastungsstunden für Teilzeitlehrkräfte, damit diese die unteilbaren Aufgaben trotz Teilzeit im vollen Umfang wahrnehmen können, ohne den zusätzlichen Zeitaufwand auf die eigene Rechnung schreiben zu müssen.
Mit der Berliner Arbeitszeitstudie soll unter anderem untersucht werden, ob eine Reduzierung der Stundenzahl einer entsprechenden Reduzierung der geleisteten Arbeitszeit gegenübersteht. Darum ist es von großer Wichtigkeit, dass an der Studie viele Lehrkräfte in Teilzeit teilnehmen. Je aussagekräftiger die Daten, desto besser können wir mit ihnen für Verbesserungen kämpfen.
Kolleg*innen müssen entlastet werden
Die GEW BERLIN kämpft außerdem mit dem TV Gesundheitsschutz für kleinere Klassen um Arbeitsentlastung. Weil die Klassen zu groß sind, bleiben individuelle Förderung und Beziehungsarbeit oft auf der Strecke. Auch die Unterrichtsqualität leidet. Das belastet die Kolleg*innen immens. Zahlreiche Lehrkräfte flüchten sich in Teilzeit, da sie nur so ihre Arbeit schaffen können, ohne ihre Gesundheit zu riskieren. So fehlen der Berliner Schule dringend benötigte Lehrkräfte, obwohl die Köpfe da sind. Kleinere Klassen würden voraussichtlich auch einigen Kolleg*innen helfen, sich wieder für eine Erhöhung ihres Deputats zu entscheiden. Mit einem Tarifvertrag für kleinere Klassen könnte endlich ein Schritt auf dem Weg aus dem Lehrkräftemangel gegangen werden. Die Vorschläge der wissenschaftlichen Kommission der KMK, die Möglichkeiten zur Teilzeit zu beschränken, gehen hingegen völlig in die falsche Richtung.
Unser Vorschlag für den Weg aus der Teilzeitfalle ist klar: Zusätzliche Entlastungsstunden, mehr Personal und kleinere Klassen, damit Lehrkräfte ihren Job gut und zufrieden machen können, anstatt ihre Gesundheit zu riskieren oder Entlastung auf eigene Rechnung zu finanzieren.