Zum Inhalt springen

Schwerpunkt „Deine Arbeitszeit ist messbar“

»Die Überlastung ist real«

Wir haben Teilnehmer*innen der Arbeitszeitstudie gefragt, welche Konsequenzen sie aus den Ergebnissen ziehen und was sie von ihrem Arbeitgeber fordern.

FOTO: BETSI SCHUMACHER, VERFREMDUNG BLEIFREI

Ich fordere Rückzugsräume für Entspannung, Bewegung oder ungestörtes Arbeiten.

Antje Jessa, Nürtingen-Grundschule 

Mir ist durch die Studie klargeworden, dass ich einen erheblichen Teil meiner Arbeitszeit in die Zusammenarbeit im Ganztag investiere, sei es mit Erzieher*innen, Lehrkräften, Sozialarbeiter*innen, Eltern oder in Gesprächen mit Kindern. Diese Gespräche drehen sich häufig um strukturelle Herausforderungen und wiederkehrende Themen, die uns belasten. Die Vielzahl dieser Problematiken macht es mir oft schwer, selbst zur Ruhe zu kommen. Daher werde ich in Zukunft gezielter auf konstruktive Gesprächsanlässe hinarbeiten. Außerdem plane ich, Elternsprechzeiten anzubieten und mir im Schulalltag gezielter Momente der Auszeit zu schaffen – etwa bei einer Tasse Kaffee im eigenen Klassenraum.

Ich fordere von meinem Arbeitgeber konkrete Schritte zur Verbesserung des Arbeitsumfeldes. Besonders wichtig sind mir Unterstützungsangebote für Kinder und Familien, die unkompliziert und direkt greifen. Ebenso essenziell sind Rückzugsräume für Kinder und Erwachsene, die Raum für Entspannung, Bewegung oder ungestörtes Arbeiten, auch digital, bieten. Diese Oasen sollten durch qualifiziertes Personal gepflegt und pädagogisch betreut werden. Mit der Umsetzung dieser Maßnahmen könnte ich meine Energie wieder gezielter in die individuelle Förderung meiner Schüler*innen und die Entwicklung kreativer Projekte investieren.

 

Ich fordere, alle Tätigkeiten, welche durch andere Professionen ausführbar wären, auch an solche zu übertragen.

Julia Gade, Lehrerin an der Kopernikus-Oberschule

Mir ist durch die Arbeitszeitstudie klargeworden, wie viele verschiedene Tätigkeitsbereiche wir als Lehrkräfte abdecken und dies häufig unter Zeitdruck. Innerhalb einer 25-minütigen Pause habe ich nicht selten vier verschiedene Tätigkeiten eintragen müssen: von Unterrichtsvor- und -nachbereitung oder Konferenzvorbereitung über Organisation einer Veranstaltung oder Abrechnung von BuT-Geldern bis zu pädagogischen Gesprächen. Danach war mir noch klarer, warum mir manchmal am Ende eines Tages der Kopf schwirrt, bei den vielen verschiedenen Baustellen, die ich im Blick behalten muss oft mit zeitlicher Frist, bis wann ich mich um was gekümmert haben muss. Erstaunt war ich auch darüber, wie viel Raum die pädagogischen Gespräche in meiner täglichen Arbeit einnehmen. Besonders als Klassenleitung bin ich Ansprechpartnerin für die Klasse, Eltern und das Klassenkollegium, und dies auf verschiedensten Kanälen: im (Pausen-)Gespräch, über die Schul-App, per E-Mail und Telefon. 

Die vielen Nebentätigkeiten fressen Zeit und Energie, welche dann für die eigentliche Arbeit – Erziehung und Unterricht – nicht immer in ausreichendem Maße vorhanden sind. 

Daher fordere ich, alle Tätigkeiten, welche durch andere Professionen ausführbar wären, auch an solche zu übertragen. Dazu gehören beispielsweise die Organisation sowie Abrechnung von Ausflügen oder Klassenfahrten, aber auch die Verwaltung des Zugangs meiner Lerngruppen zum Schulportal und vieles mehr. Gleichzeitig erwarte ich, dass ehrlicher damit umgegangen wird, dass es im Schuljahr (je nach Schulform andere) Zeiten von sehr hoher Belastung gibt, welche offen eingepreist werden sollten, statt zu behaupten, diese seien alle durch das Stundenkontingent schon ausreichend berücksichtigt.

 

Die Arbeitszeitstudie hat mir gezeigt, die gefühlte Überlastung ist real!

Petra Weidmann, OSZ KIM 

Als Lehrkraft mit zwei Korrekturfächern (Englisch und Deutsch) an einem Oberstufenzentrum kann ich nur in Teilzeit überleben. Trotz Reduktion auf 60 Prozent fühlte sich mein Job mit jedem Jahr belastender an und ließ mir immer weniger Freizeit: morgens Schule, nachmittags Unterrichtsvorbereitung und abends, am Wochenende und in den meisten Ferien dann ständig das elende Korrigieren seitenlanger Klausuren. Die Arbeitszeitstudie sah ich als Chance, diese Ungerechtigkeit endlich einmal zu verifizieren und öffentlich zu machen. Und dann war sie mein Erwachen – das Tracken meiner tatsächlichen Arbeitszeit verdeutlichte mir »schwarz auf weiß«, wie viele Stunden unbezahlter Mehrarbeit ich leiste, wenn ich meinen Job gut und engagiert ausführe: Statt auf umgerechnet 25 volle Zeitstunden pro Woche kam ich regelmäßig auf 40 bis 50 und in den Herbstferien wegen zwei Klausurstapeln sogar auf 60 Wochenstunden! Die gefühlte Überlastung war real.

Diese Erkenntnis befeuerte meinen Frust, meine Verzweiflung und meine Wut über das System, das viel zu viel verlangt von Lehrkräften, gerade solchen mit doppelter Korrekturbelastung. Es folgten ein Burnout und eine traurige Erkenntnis: Ich muss meinen Job, den ich liebe, mit deutlich weniger Herzblut und Engagement ausführen, wenn ich meine »LehrKraft« bis zur Rente erhalten möchte. 

Es sei denn, lieber Arbeitgeber, du schaffst endlich kleinere Klassen, eine niedrigere Pflichtstundenzahl und faire Ausgleiche für Lehrkräfte mit hoher Korrekturbelastung! 

 

 

Mir ist bewusst geworden, wie viel ich sogar krank noch arbeite, um Vertretungsaufgaben bereitzustellen.

Constanze von Essen, Grundschule am Hamburger Platz

Mir ist durch die Arbeitszeitstudie klar geworden, wie viel Zeit mich auch als erfahrene Lehrkraft die Unterrichtsvor- und -nachbereitung bei Einführung neuer Lehrwerke und für neu zu übernehmende Klassenstufen kostet. Erstaunt war ich, wie sich die »Kleinigkeiten«, die eine oft gar nicht bewusst wahrnimmt – ein pädagogisches Gespräch hier, eine kleine zusätzliche Aufgabe da – und auch die Fachkonferenzleitung an der Grundschule summieren. Auch ohne eine Klassenleitung habe ich weit mehr als die Jahressollarbeitszeit sowie regelmäßig samstags und sonntags gearbeitet. Auch, wie viel ich krank noch arbeite, um Vertretungsaufgaben bereitzustellen, ist mir bewusst geworden.

Daher habe ich bereits während der Studie versucht, meine Unterrichtsvorbereitungen so zu reduzieren, dass ich einen Tag in der Woche nicht arbeite und Vertretungsaufgaben bei Krankheit so zu stellen, dass sie mich weniger Zeit kosten. Ich möchte dies in Zukunft noch effizienter gestalten, um noch weniger meine Erholungszeit für meine Arbeit einzusetzen. 

Ich fordere von meinem Arbeitgeber, dass eine praktikable, ehrliche und vollumfängliche Erfassung unserer Arbeitszeit umgesetzt wird und dass diese Konsequenzen in Form von nachhaltigen Entlastungen nach sich ziehen. Das von der Universität Göttingen entworfene Tool zur Arbeitszeiterfassung halte ich für sehr geeignet, denn es bietet pragmatische Kategorien und ein professionelles Niveau.

 

 

Ich fordere, dass die Arbeitszeit standardmäßig festgehalten wird und bei zu viel Arbeit Anspruch auf einen Ausgleichstag besteht.

Alice Thoms, Lehrerin an einer Sekundarschule in Neukölln

Mir ist durch die Teilnahme an der Arbeitszeitstudie klargeworden, dass es als Lehrerin sehr unterschiedliche Belastungszeiträume gibt. Auf Klassenfahrten beispielsweise, aber auch in anderen arbeitsintensiven Wochen sind über 60 Stunden reine Arbeitszeit zusammengekommen, im Gegenteil zu ruhigeren Wochen mit »nur« 35 Stunden. Irgendwann war es mir schwergefallen, jede Arbeitsaktivität zu »tracken«, weil ich wegen weniger Minuten, beispielsweise für Elterngespräche oder Kontakt per WhatsApp mit Schüler*innen am Abend, die App nicht mehr aufrief. Ich befürchte, dass die Studie keine Veränderung bringen wird, da sie lediglich eine kleine Stichprobe innerhalb eines kurzen Zeitraumes zeigt. Dies wird den Senat nicht dazu bewegen, die echte Arbeitszeit der Lehrkräfte anzupassen. 

Ich war erstaunt darüber und habe durch die Studie gelernt, welche kleinen Nebentätigkeiten offiziell zur Arbeitszeit gehören und probiere daher nun, mehr auf mich zu achten, damit ich mich nicht überarbeite.

Ich fordere von meinem Arbeitgeber, dass die Arbeitszeit standardmäßig festgehalten wird und bei zu viel Arbeit Anspruch auf einen Ausgleichstag zwischendurch besteht.

 

 

Mir ist klargeworden, dass ich erheblich mehr Aufgaben zu meiner Arbeit zählen muss und mir auch anrechnen darf, als ich bisher angenommen hatte.

Katharina Franz, Lehrerin an der Hans-Fallada-Grundschule

Mir ist durch die Arbeitszeitstudie klargeworden, dass ich erheblich mehr Aufgaben zu meiner Arbeit zählen muss und mir auch anrechnen darf, als ich bisher angenommen hatte. Abends auf dem Sofa doch den nächsten Ausflug planen, obwohl eigentlich Feierabend ist, zum Beispiel. Oder der kollegiale Austausch in der »Freistunde«. Das ist mir erst durch die täglichen Eintragungen mit den unterschiedlichen Tätigkeitskategorien so richtig bewusstgeworden.

Daher werde ich in Zukunft darau achten, dass beispielsweise auch der anfallende »Mental Load« Arbeit ist und meine Freizeit besser davor schützen. 

Ich fordere von meinem Arbeitgeber, dass er eine zeitgemäße Form der Arbeitszeiterfassung endlich auch für Lehrkräfte etabliert. Die Berechnung der Lehrkräftearbeitszeit nach Deputatstunden, also den Unterrichtsstunden, ist veraltet und absolut irreführend, da sie suggeriert, dass Unterricht die überwiegende Arbeitszeit der Lehrkräfte umfasst und nur noch wenige ergänzende Aufgaben dazukommen. Die Studie zeigt, was wir alle längst wissen, dem ist schon lange nicht mehr so. 

 

 

Ich fordere kleinere Klassen und eine niedrigere Pflichtstundenzahl!

Sebastian Riks, OSZ Lotis 

Mir war die Arbeitszeitstudie bereits aus Niedersachsen bekannt. Nun konnte ich für mich feststellen, dass die dort gemessenen Mehrarbeitszeiten auch für meine Arbeit in Berlin zutreffen. Sicherlich gab es über das Schuljahr verteilt Spitzenzeiten und auch ruhigere Phasen. Aber im Durchschnitt arbeitete ich deutlich mehr als arbeitsvertraglich vorgesehen. Gerade die Arbeit, die immer nebenbei anfiel, beispielsweise Mails beantworten, Online-Material sichten und Kurse im Lernraum Berlin pflegen, summierten sich beträchtlich. Das mal in Summe zu kalkulieren, brachte für mich überraschend hohe Ergebnisse.

Hoffentlich kommt die Bildungsverwaltung nun an den harten empirischen Fakten nicht mehr vorbei und nimmt die Arbeitsverdichtung der Lehrkräfte stärker in den Blick! Wesentliche Faktoren im Sinne von Stellschrauben sind für mich ganz klar die Klassenfrequenz und die Pflichtstundenanzahl. Auch für die GEW werden die Studienergebnisse argumentativ sehr wertvoll sein, um die »gefühlte« Belastung der Lehrkräfte auch mit repräsentativem Zahlenmaterial nachweisen zu können.