Schule
Digitale Kluft
Die Chancen, Schüler*innen auf eine Zukunft in einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft vorzubereiten, sind in Berlin sehr ungleich verteilt. So entsteht eine neue Dimension der Benachteiligung.
Eine Umfrage der Kooperationsstelle der Universität Göttingen unter 2.385 Berliner Lehrkräften aller Schulformen hat aufgezeigt, dass sowohl zwischen Schulen der Grundstufe, als auch denen des Sekundarbereiches, eine digitale Kluft entstanden ist. Von einer digitalen Kluft wird gesprochen, wenn strukturelle Zugangshürden eine gleichberechtigte Nutzung der digitalen Medien und des Internets und damit die Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand gefährden. Von über 243 der 354 teilnehmenden Schulen konnte der Grad der digitalen Reife ermittelt werden. Diese Stichprobe zeigt somit aussagekräftig die Situation an einem Drittel aller Berliner Schulen.
Eine Schule ist digital reif, wenn digitale Technik verfügbar ist, die Technik sich im Schulalltag als nützlich erweist und das digital unterstützte Lehren und Lernen in der Schule systematisch umgesetzt wird. Bei der digitalen Reife geht es nicht darum, möglichst viel digitale Technik einzusetzen, sondern um eine nach dem Urteil der befragten Lehrkräfte pädagogisch angemessene Form der Digitalisierung.
Vielen Schulen fehlt es an digitaler Reife
Für Schulen der Grundstufe gibt es drei Reifegrade, wobei die Mehrheit der Berliner Grundschulen und Grundstufen von Gemeinschaftsschulen eine mittlere Reife aufweisen, weitere 18 Prozent haben eine geringe, 23 Prozent eine hohe digitale Reife. Im Sekundarbereich stellt die digitale Durchschnitt-Schule mit 42 Prozent den größten Anteil. Bedenklich ist der hohe Anteil von 38 Prozent an digitalen Nachzügler-Schulen sowie der geringe Anteil von nur einem Fünftel an digital orientierten oder Vorreiter-Schulen. Die Unterschiede zeigen sich sowohl bei Schulen der Grundstufe als auch im Sekundarbereich, werden aber im Folgenden am Sekundarbereich erläutert.
Die Realisierung neuer Lernformate gelingt besser, wenn Lehrkräfte an ihrer Schule eine Orientierung darüber bekommen, wie das digitale Lehren und Lernen aussehen soll. Hier sind die Unterschiede gravierend: Während 86 Prozent der Lehrkräfte in Vorreiter-Schulen sagen, dass ihre Schule eine digitale Strategie verfolgt und 87 Prozent, dass die Lehrkräfte bei der Strategieumsetzung eingebunden sind, gilt dies nicht mal für ein Drittel der Lehrkräfte an Nachzügler-Schulen.
Große Unterschiede bei der digitalen Schulstrategie
Weitere Voraussetzung dürfte sein, dass ein gemeinsamer Schulentwicklungsprozess stattfindet. Auch hier sind die Voraussetzungen sehr ungleich: Während sich an Vorreiter-Schulen 61 Prozent darin unterstützt fühlen, neue Lernformen zu erproben, sind es nur 19 Prozent an Nachzügler-Schulen. Auch die professionelle Weiterentwicklung hängt sehr davon ab, an welcher Schule man unterrichtet: Während in 46 Prozent der Vorreiter-Schulen über die Vor- und Nachteile des digital unterstützten Lehrens und Lernens diskutiert wird, findet eine fachliche Auseinandersetzung in Nachzügler-Schulen kaum statt.
Zudem hat die Technik, welche die Lehrkräfte nutzen können, eine sehr unterschiedliche Qualität: Während an Vorreiter-Schulen 88 Prozent sagen, dass die digitale Infrastruktur das digitale Lehren und Lernen unterstützt, stimmen bei Nachzüglern nur 16 Prozent zu. Auch ob die Lehrkräfte die Einrichtung der Räumlichkeiten als geeignet für das digital gestützte Unterrichten bewerten, weist eine sehr hohe Spreizung aus: 71 Prozent gegenüber 14 Prozent.
Verfügbarkeit des Internets ist eine Grundvoraussetzung
Während bei Vorreitern fast alle Lehrkräfte zustimmen, dass sie zum Lehren und Lernen einen Internetzugang haben, kann dies nicht mal die Hälfte der Lehrkräfte bei Nachzügler-Schulen sagen. Dabei ist Internetverfügbarkeit eine Grundvoraussetzung.
Besonders stark ist der Unterschied bei der Möglichkeit, bei auftretenden Technik-Problemen Unterstützung zu bekommen: In Nachzügler-Schulen sehen 26 Prozent der Lehrkräfte diese Möglichkeit, in Vorreiter-Schulen sind es dagegen 88 Prozent. Bislang durchweg wenig realisiert werden Online-Bibliotheken.
In der öffentlichen Debatte spielen Endgeräte für Schüler*innen sowie Lehrkräfte eine große Rolle. Neun von zehn Lehrkräften aus Vorreiter-Schulen sagen, dass sie über Geräte verfügen können, um sie im Unterricht einzusetzen, an Nachzügler-Schulen sind es nur knapp die Hälfte. Etwa 80 Prozent der Lehrkräfte aus digital reiferen Schulen sagen, dass auch Geräte für die Schüler*innen verfügbar sind, nur halb so viel sind es an Nachzügler-Schulen. Große Unterschiede gibt es zudem bei den Möglichkeiten, dass Schüler*innen Geräte auch mal nach Hause mitnehmen dürfen: 46 zu 17 Prozent. Eine Option, die vor allem für Kinder aus wirtschaftlich schwächeren Familien von Bedeutung sein dürfte. Weiter zeigt sich, dass vor allem bei Vorreitern die Schüler*innen mitunter über eigene Geräte verfügen. Die Nutzung der Potenziale der Digitalisierung zur assistiven Förderung von Schüler*innen wird, wenn überhaupt dann in Vorreiter-Schulen, aber fast gar nicht bei Nachzüglern genutzt.
Die Hardware ist nur der erste Schritt
Die Schwierigkeiten, die Berliner Schulen mit der Umsetzung des digital unterstützten Lehrens und Lernens haben, haben zu einer digitalen Spaltung geführt. Die Unterschiede sind gravierend. Schulen geringerer digitaler Reife müssen gezielt unterstützt werden, damit sie aufschließen können.
Dazu benötigen die Schulen ausreichend Mittel für die Umsetzung der Digitalisierung und eine stärkere Unterstützung durch die Behörden. Beispielsweise kompetentes IT-Fachpersonal, um Lehrkräfte zu unterstützen. Denn die Beschaffung von Hardware ist nur der erste Schritt. Jetzt werden in und mit den Schulen abgestimmte Konzepte und Implementierungsstrategien gebraucht, damit die Technik in den Schulen sinnvoll genutzt werden kann. Dies erfordert Prozessbegleitung und Unterstützung der Schulen bei der Umsetzung. Zudem benötigen vor allem Schulleitungen von Nachzügler-Schulen eine gezieltere Unterstützung. Um die Kluft zu verringern, sollten partizipative Schulentwicklungsprozesse eingeleitet werden.
Lehrkräfte brauchen Zeit, Fortbildungen und Entlastung
Nicht zuletzt benötigen Lehrkräfte mehr zeitliche Spielräume, passende Fortbildungsangebote und gezielte Entlastungen, um den zusätzlichen Aufwand bewältigen zu können: Sie müssen sich im Rahmen der Schulentwicklung gemeinsam mit ihren Kolleg*innen an der Entwicklung eines Medienkonzepts für ihre Schule beteiligen können. Die GEW BERLIN fordert beispielsweise hierzu Studientage. Andererseits müssen Lehrkräfte ihre neuen mediengestützten Unterrichtsformen für ihren persönlichen Unterricht auch selbst entwickeln. Das kostet Zeit und macht Arbeit – die aber gerne getan wird, wenn die Schule Orientierung gibt und die Rahmenbedingungen stimmen.
Werden keine entschlossenen Maßnahmen gegen die digitale Spaltung ergriffen, ist eine scherenartige Entwicklung zu befürchten, bei der sich bei reiferen Schulen die positiven Bedingungen wechselseitig verstärken, während sich bei unreiferen Schulen ein »Teufelskreis« entwickelt. Die Kluft würde immer größer werden, so dass ein nennenswerter Teil der Schulen dauerhaft zurückbleiben könnte. Positiv gesprochen: Jede fünfte Schule in Berlin kann zeigen, wie es besser geht.
Weitere Informationen sind den Arbeitspapieren zur Arbeitsbelastung Berliner Lehrkräfte Nr. 4 und 5 zu
entnehmen.