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bbz 12 / 2017

Dritte Runde Schulinspektion

Nahezu alle Berliner Schulen sind seit dem März 2006 zweimal inspiziert worden. Um den Schwerpunkt Unterrichtsentwicklung tatsächlich zu verbessern, muss für die dritte Runde allerdings einiges optimiert werden.

Ausgangspunkt der Inspektionen ist der Berliner Handlungsrahmen Schulqualität, der für alle Schulen verbindliche Kriterien benennt, an denen sich Prozess- und Ergebnisqualitäten der einzelnen Schulen messen lassen müssen. Dies ist insofern richtig, als dass Schulen eine entsprechende Orientierung für ihre Arbeit benötigen. Ein Qualitätsbereich sollte jedoch noch stärker herausgehoben werden, nämlich die Basisqualität, die die Gesellschaft, stellvertretend das Land Berlin, bereitstellt.

Der Hessische Qualitätsrahmen ist hier deutlicher: »Zu den ‚Voraussetzungen und Bedingungen‘ von Schulqualität gehören bildungspolitische und rechtliche Rahmenvorgaben, die Bereitstellung von personellen wie sachbezogenen Ressourcen und Unterstützungsangeboten für die Schulen, das Bildungsangebot in der Region sowie die soziale Zusammensetzung der Schülerschaft und des Schulumfelds.« Diese Rahmenbedingungen üben einen erheblichen vorstrukturierenden Einfluss auf die Qualität von Schule aus. Daher gilt es, zum einen zu prüfen, inwieweit diese Faktoren die Schulqualität fördern oder hemmen.

Zum anderen sind sie zu berücksichtigen, um der einzelnen Schule bei der Beurteilung ihrer Qualität gerecht zu werden. Die Berliner Schulinspektionsberichte gehen kurz auf Standortbedingungen für die Einzelschule ein, aber zweifelsfrei ließe sich die Analyse der Voraussetzungen mit Blick auf eine Gesamtverantwortung der Bildungspolitik noch verbessern.

Unterrichtsentwicklung bleibt Hauptproblem

Basierend auf den Voraussetzungen hat der kritische Blick von außen durch die unabhängigen Schulinspektor*innen seine Berechtigung und kann Anregungen und Anstöße für die Weiterentwicklung einer Schule geben. So sehen es auch die Schulen selbst.

In der nun beginnenden dritten Runde der Schulinspektionen wird die Unterrichtsentwicklung als Schwerpunkt gesetzt. Hier liegt jedoch das Hauptproblem bisheriger Schulinspektionen. Vergleicht man die Ergebnisse der ersten zwei Runden gibt es keine signifikante Verbesserung, auch nicht bei den Kriterien kooperatives Lernen, selbstständiges Lernen und innere Differenzierung.

Die Berliner Schulleistungsdaten haben sich in Ländervergleichen nicht verbessert. Dies legt den Schluss nahe, die Unterstützungssysteme für die Unterrichtsentwicklung zu verbessern. Deutlich ist in den letzten Jahren der Bereich der Fortbildung ausgebaut worden, aber es erscheint notwendig, noch differenzierter die Unterrichtsprozesse zu analysieren, wie es beispielsweise bei der wissenschaftlichen Begleitung der Pilotphase Gemeinschaftsschule durchgeführt wurde.

Es fehlt der fachdidaktische Blick

Unterrichtsprozessanalyse sollte nicht nur auf der leicht beobachtbaren Aktivitätsebene des Unterrichts stattfinden, sondern erfordert den fachdidaktischen Blick auf das Unterrichtsgeschehen und die inneren Lernprozesse der Schüler*innen. Genau dies kann und soll die Schulinspektion nicht leisten. Für die wichtige Außensicht und die allgemeinen Aspekte des Unterrichts sind die Inspektor*innen Fachleute und nur ein Mitglied eines Inspektionsteams muss sich in der Schulart auskennen. So werden bei der Inspektion im Unterricht ausschließlich die beobachtbaren Aspekte, die sogenannten Oberflächenmerkmale, erfasst und nicht die Tiefenmerkmale wie die Qualität der Fragen und der Erklärungen der Lehrpersonen. Auch Felicitas Thiel, Professorin an der FU Berlin, kritisierte im Tagesspiegel den Fokus auf den Oberflächenmerkmalen an den Schulinspektionen.

Bei den Unterrichtsbesuchen wird festgehalten, ob der besuchte Unterricht problemorientiert ist oder nicht. Es erfolgt keine Beurteilung, ob problemorientierter Unterricht möglich oder sinnvoll ist. Dies können die Inspektor*innen in der Regel als Nicht-Fachdidaktiker*innen des besuchten Unterrichts auch nicht leisten. Als ich im Frühsommer mit einer Gruppe von Lehramtsanwärter*innen die Schulinspektion in der Levetzow-Straße besuchte, wurde uns eine Grammatik-Übungssequenz aus einem Lateinunterricht per Video gezeigt.

Der Unterricht bestand aus verschiedenen Übungsaufgaben, zwischen denen Schüler*innen selbst auswählen konnten, bei eigener Zeiteinteilung und mit hoher Schüler*innenaktivität, aber eben nicht problemorientiert. Die gastgebenden Inspektor*innen referierten, dass dieser Unterricht nicht problemorientiert sein müsse, um erfolgreich zu sein. Angekreuzt wurde auf dem Auswertungsbogen trotzdem zwei Mal minus für nicht zu beobachtende Problemorientierung. Meinem Hinweis, dass dies ein falsches, negatives Bild über die Unterrichtsqualität zeichne, wurde entgegnet, dass nur objektiv festgehalten wird, was zu sehen ist, und dass die Schule dann mit den Ergebnissen frei umgehen könne.

Allerdings erfährt eine Schule nicht, was wann im Unterricht sinnvoll oder nicht durchgeführt wurde. Problemorientierter Unterricht ist wegen der Motivation grundsätzlich gut, aber natürlich ist er nicht in jeder Einzelstunde in jedem Fach immer angebracht. Sicherlich können bestimmte Merkmale guten Unterrichts allgemein beurteilt werden, nämlich die Aspekte des Classroom-Managements und der Lehrkraft-Schüler*in-Beziehung. Ob es sich aber um eine sinnvolle Vorgehensweise beim Lernprozess handelt, lässt sich hauptsächlich fachdidaktisch und erst auf dieser Basis lernpsychologisch beurteilen.

Selbstständigkeit der Lernenden ist ein wichtiges Ziel des Unterrichts, aber es ist nicht automatisch das geeignetste Mittel, denn es hängt davon ab, wie weit die Lernenden bereits auf diesem Ziel vorangeschritten sind. Es ist vom Vorwissen und vom Stand der Methoden- und Selbstkompetenz der Lernenden abhängig. Die Kriterien des Inspektionsbogens erfassen jedoch nur vermeintlich guten Unterricht, der im Konkreten auch nicht lernförderlich sein kann.

Wenn also der Schwerpunkt der dritten Schulinspektionsrunde die Verbesserung der Unterrichtsqualität sein soll, also ob erfolgversprechende Lernschritte angeboten werden, dann müssen zwingend Fachdidaktiker*innen den Unterricht sehen. Ich plädiere folglich für die Unterrichtsanalyse der dritten Runde Schulinspektion auf eine Umstellung auf Fachinspektionen. Fachdidaktiker*innen sollen dabei nicht sagen, wie Unterricht zu sein hat, aber sie können bessere Hinweise geben, woran zu arbeiten ist. Ich weiß, dass eine solche Umstellung eine stark veränderte Konzeption der Schulinspektion erfordert. Bisherige Ansätze der kollegialen Beratung sollten ausgebaut werden, am besten schulübergreifend.

Für die Außendarstellung der Schulinspektionsergebnisse für Dritte wie Eltern wäre noch ein weiterer Punkt für die dritte Runde sinnvoll. Beim Wert für Frontalunterricht sollte herausgestellt werden, wann es sich um Frontalunterricht durch die Lehrperson handelt und wann um Schüler*innenpräsentationen. Dies wird getrennt erfasst und ausgewiesen, dann jedoch in den Berichten bei Sozialformen wieder unter Frontalunterricht zusammengefasst und erweckt so einen falschen Eindruck über den Anteil lehrer*innenzentrierten Unterrichts und das ganz unabhängig von der Frage, wann dieser angebracht ist und wann nicht.