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Schwerpunkt „Erzieher*innen und Sozialarbeiter*innen unter Druck“

Ehrenamt und Soziale Arbeit

Notwendige Unterstützung oder Kennzeichen der Deprofessionalisierung.

Foto: Imago

Während der ersten beiden Lockdownphasen der Coronapandemie im Frühjahr sowie Herbst und Winter 2020 waren die Handlungsfelder der Sozialen Arbeit mit erheblichen Veränderungen und Herausforderungen konfrontiert. Dies betrifft beispielsweise die Digitalisierung des Kontakts zu den Adressat*innen, die fehlende Einhaltung von Schutzmaßnahmen durch die Arbeitgeber*innen und die Deprofessionalisierungstendenzen durch sich verändernde Standards in der Arbeit.

Eine besonders hohe Arbeitsbelastung haben dabei jene Beschäftigten in der Sozialen Arbeit erlebt, in deren Feldern vor Ausbruch der Pandemie ehrenamtlich Tätige in die Alltagsgestaltung eingebunden waren. Bürgerschaftliches Engagement brach in diesen Handlungsfeldern während der Lockdowns ein, auch weil eine große Zahl der ehrenamtlich Tätigen in Rente war und damit aufgrund des Lebensalters als besonders vulnerabel galt.

Auf Basis dieser Beobachtung fragt der vorliegende Beitrag nach den Strukturen ehrenamtlichen Engagements in der Sozialen Arbeit sowie den damit verbundenen Folgen aus professionstheoretischer Sicht.

In einem Beitrag zum Personal der Sozialen Arbeit konstatiert der Marburger Erziehungswissenschaftlicher Ivo Züchner, dass »die Soziale Arbeit in fast all ihren Feldern neben hauptberuflich Tätigen auch von nebenberuflichem Personal […], Praktikant*innen, Honorarkräften, Freiwilligendienstler*innen und ehrenamtlich tätigen Personen gestützt und getragen [wird]“. Trotz dieses scheinbar selbstverständlichen und alltäglichen Engagements ist eine quantitative Beschreibung ehrenamtlicher Strukturen in der Sozialen Arbeit kaum möglich: Bisher existiert hierzu keine allgemeine Übersicht.

Im Freiwilligensurvey 2019 wird für den sozialen Bereich bürgerschaftliches Engagement von rund sechs Millionen Menschen angegeben und damit mehr als eine Verdoppelung seit 1999 konstatiert. Im Bereich Schule und Kindergarten engagierten sich in den letzten 20 Jahren ebenfalls mehr Menschen: Waren es 1999 noch rund 3,5 Millionen Menschen, stieg die Zahl 2019 auf rund 5,9 Millionen. Neben diesen zentralen Bereichen der Sozialen Arbeit weist der Freiwilligensurvey engagierte Menschen in der außerschulischen Jugendarbeit und Bildungsarbeit für Erwachsene sowie im Gesundheitsbereich aus, wo, je nach Definition und Bereich, ebenfalls Soziale Arbeit geleistet wird. Während 2019 in der außerschulischen Jugendarbeit und Bildungsarbeit für Erwachsene mit 2,5 Millionen mehr als dreimal so viele Menschen ehrenamtlich engagiert waren als 1999, stieg die Zahl derjenigen, die sich im Gesundheitsbereich bei Besuchsdiensten oder in Selbsthilfegruppen engagierten, im selben Zeitraum auf 1,4 Millionen an.

Nun lassen sich die Personenzahlen aus den verschiedenen Bereichen des Freiwilligensurveys nicht einfach addieren. Gleichwohl kann man von mindestens sechs Millionen ehrenamtlich Engagierten in den verschiedenen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit ausgehen, wenn man den höchsten Wert eines genannten Bereichs zugrunde legt. Diese hohe Mindestzahl ehrenamtlich engagierter Menschen in der Sozialen Arbeit deutet auf dreierlei: Zunächst auf die durch die Menge an Ehrenamtlichen notwendigerweise einsetzende Funktionsuntüchtigkeit der Sozialen Arbeit im Fall des plötzlichen Mangels an Ehrenamtlichen. Andererseits auf eine Strukturbedingung innerhalb der Sozialen Arbeit: Diese kann auf kurzfristige gesellschaftliche Veränderungen von außen offenbar nur durch den Einsatz Ehrenamtlicher reagieren. Ein dritter Aspekt ist die Qualifizierung und die Finanzierung der Sozialen Arbeit: Unverkennbar umfasst diese keine personelle Reserve, sondern ist vielmehr auf ehrenamtliches Engagement angewiesen.

Wie bewertet die Professionstheorie die Frage der Ehrenamtlichkeit in der Sozialen Arbeit? Wenden wir uns zunächst der Kategorie Profession zu: Diese beschreibt in der Soziologie jene besonderen Berufe, die zentrale gesellschaftliche Werte wie zum Beispiel Gesundheit (Medizin) oder Gerechtigkeit (Jura) verwalten. Voraussetzung dieses in der Regel akademischen Berufs ist eine aufwändige Sozialisation, die in Form einer beruflichen Lizenz wie dem fachgebundenen Studienabschluss sichtbar ist und nicht von Lai*innen durchgeführt werden kann. Im Umstand, dass eine so große Zahl ehrenamtlich Tätiger in der Sozialen Arbeit mitwirkt, ist streng genommen eine Beschreibung der Sozialen Arbeit als Profession unmöglich. So wäre eine ehrenamtliche Herzchirurgin als reguläre medizinische Fachkraft im Krankenhaus ja für uns auch eher schwer vorstellbar.

Mit dem Begriff Professionalisierung sind soziale Prozesse verbunden, die dazu beitragen, dass die Mitglieder der jeweiligen Berufsgruppe Schritt für Schritt autonomer über die fundamentalen Belange des eigenen Berufs bestimmen können. Letztlich geht es dabei um ein soziales Aufstiegsprojekt der Berufskultur. Aus dieser Perspektive ist eine konsequente Professionalisierung der Sozialen Arbeit nur mit der Auflösung des Ehrenamtes als solchem zu erkaufen.

Nutzt man die analytische Brille der Professionalität, ist dagegen die bisher eher negative Konnotation des Ehrenamtes in der Sozialen Arbeit weniger eindeutig: Professionalität beschreibt die besondere Qualität einer personenbezogenen Dienstleistung auch über den institutionellen Komplex der anerkannten Professionen hinaus. In dieser soziologischen Perspektive gehören Krankenpfleger*innen zwar keiner Profession an, können in ihren personenbezogenen Dienstleistungen an der Patientin aber einen Grad der Könnerschaft an den Tag legen, der das Attribut Professionalität zweifelsfrei verdient. Insofern können auch Ehrenamtliche in der Sozialen Arbeit im Alltag Kriterien professionellen Handelns erfüllen, wenn sie beispielsweise zwischen den komplexen wie individuellen Problemlagen, Widersprüchen und Erwartungen in der Integrationsarbeit changieren oder im Sozialdienst einer Altenhilfeeinrichtung zwischen der Notwendigkeit des Eingreifens oder gewähren lassen unterscheiden können. Kurzum, wenn sie wissen, was sie tun. Der professions-theoretische Unterschied besteht letztlich in der Begründung dieses professionellen Handelns: Während es von Angehörigen der Berufskultur aufgrund der Qualifizierung erwartet wird, ist es bei Ehrenamtlichen eine Frage der individuellen Könnerschaft.

Ehrenamt ist für die Soziale Arbeit aus professions-theoretischer Sicht also eine ambivalente Größe, auch weil auf der Ebene der Professionalität eine Komplexität hinzutritt: Das Arbeitsbündnis wird triadisch und damit noch störanfälliger. Immerhin tritt in den Aushandlungsprozess zwischen Adressat*in und Fachkraft, nur an diese ist der rechtliche Handlungsauftrag der Sozialen Arbeit in Form des Mandats geknüpft, eine weitere Person. Diese kann nun in diesem triadischen Arbeitsbündnis extrem hilfreiche Moderationen leisten oder die Durchführung der Hilfe beispielsweise im Fall falsch verstandener Solidarisierung bedrohen. Die Gefahren ehrenamtlichen Engagements müssen künftig also konsequenter diskutiert und das Engagement auch mit Blick auf die Finanzierung des Systems betrachtet werden. Weder darf ehrenamtliches Engagement auf Dauer gestellt sein, sonst verliert es den Charakter ehrenamtlichen Engagements und wechselt in den Bereich unentgeltlicher quasi freundschaftlicher Hilfe, noch darf Ehrenamtlichen eine Vergütung angeboten werden. Beide Aspekte deuten die Gefährdungen durch ehrenamtliches Engagement für die Professionalisierung Sozialer Arbeit an, die im deutlichen Widerspruch zur Förderung bürgerschaftlichen Engagements durch die Politik stehen. Der Einsatz Ehrenamtlicher ist eine sinnvolle Ergänzung für die Adressat*innen, darf aber nicht zum Stopfen von Personallöchern dienen. Die große Zahl ehrenamtlich engagierter Menschen und der Boom in der Qualifizierung für die Soziale Arbeit verweist allerdings gerade auf den immensen Personalbedarf.  

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46