Schule
Ein dritter Ort
Ein Plädoyer für den Erhalt und den Ausbau der Schulbibliotheken als Orte zwischen Unterricht und Freizeit.
Niemand bezweifelt, dass Bildung mit und durch Medien vermittelt erfolgt. Von Bildungsmaterialien über Digitalpakte bis zur IT-Infrastruktur eröffnet die Medienausstattung von Schule ein weites Feld der Maßnahmen und Meinungen. Schulbibliotheken kommen in diesen Diskussionen nur selten vor. Dabei haben ungefähr zwei Drittel der Berliner Schulen eine Schulbibliothek. Ungefähr, denn genaueres weiß man nicht. Der Berliner Senat hat bislang die geringe Mühe gescheut, sie zu erfassen. Er hat sie auch nicht einrichten lassen. Für Medienbeschaffung und Honorare werden seit ein paar Jahren im Senatshaushalt 380.000 Euro zur Verfügung gestellt – das sind etwa 1.000 Euro pro Berliner Schulbibliothek. Allein nur für den Neukauf verschlissener Bücher wäre bei einer Schulbibliothek mit einem kleinen Bestand von 4.000 Medien das Doppelte nötig.
Dass Schulbibliotheken dennoch, meist mit gespendeten Medienbeständen, aufgebaut werden, ist engagierten Kollegien zu verdanken. Meist unentgeltlich mühen sich Kolleg*innen, Spenden einzuwerben, um einen Schulraum mit Regalen und Medien auszustatten. Immerhin wird bei Berliner Schulneubauten ein Raum dafür vorgesehen. Dass diese Räume trotz des im Schulgesetz verankerten Bestandsschutzes nicht sicher sind, zeigte sich im Sommer 2024 an der Eduard Mörike Grundschule: Der Bezirk wollte sich die gestiegene Miete für die Jugendkunstschule nicht leisten und verordnete der Grundschule, diese in ihren Räumen aufzunehmen. Die Bibliothek musste weichen. Glücklicherweise konnte der Bestand, nach Lagerung im Keller, zum neuen Schuljahr in einem anderen Raum wieder zugänglich gemacht werden.
Bereiche für gemeinschaftliches Handeln
Bibliotheken sind nicht einfach Räume mit Büchern. Als Bildungseinrichtungen sind sie Katalysatoren für ein auf die Gemeinschaft bezogenes Handeln und fördern mit dem Verständnis des Lesens und Schreibens das der Kultur. Bibliotheken sichern Zugang zu Wissen und schaffen Transparenz über gesellschaftliche Prozesse. Auch für Kinder. Abgesehen von der Vermittlung von Fachkenntnissen, ist dies ein schulischer Auftrag. Mit der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention ist der Zugang zu kindgerechten Medien und Informationen Bundesgesetz geworden. Dieser Zugang lässt sich auch in Berlin ohne angemessen ausgestattete Schulbibliotheken nicht umsetzen.
Eine Demokratie muss aktiv eine gebildete Bevölkerung hervorbringen, das ist Ziel aller öffentlichen Bildung. Auch das pädagogische Personal versorgen Schulbibliotheken mit Medien und Informationen, unter anderem zur Fachdidaktik. Diese Aufgabe ausgelasteten Pädagog*innen selbst zu überlassen, ist in einem Beruf mit sich ständig wandelnden sozialen Anforderungen mindestens fahrlässig. Die wenigen Fortbildungs- und Studientage werden diesen Anforderungen nicht gerecht. Das Medienforum, das mit seinem Angebot bald noch weiter an den Stadtrand nach Westend zieht, ist für die meisten viel zu weit weg, um wirklich genutzt werden zu können.
Einsparungen und Zentralisierungen bei Bibliotheken arbeiten also gegen die Demokratie. In Berlin wurden 2005 die Schulbibliotheken aus den öffentlichen Bibliotheken und deren Finanzierung ausgegliedert. Dabei waren die öffentlichen Bibliotheken im 19. Jahrhundert aus Schulbibliotheken hervorgegangen. Der Verbund öffentlicher Bibliotheken Berlins verzeichnet exorbitante Besucher*innenzahlen. Wartezeiten von einigen Monaten für Kita- und Schulgruppen, die eine Bibliothekseinführung durchführen möchten, sind die Regel.
Wohlstandsgewinn durch bibliothekarische Vielfalt
Dagegen zeigen Studien aus den USA und Kanada (1999 bis 2013), dass gegen jeden in Bibliotheken investierten Euro das Zwei- bis Siebenfache an direktem gesellschaftlichen, ökonomischen Gewinn stehen. Bibliotheken sparen also Geld, viel Geld. Zentralisierungen stehen sowohl dem Zugang der Kinder als auch ihren spezifischen Bedarfen entgegen. Denn je genauer die Zielgruppe der Bibliothek adressiert werden kann, desto besser ist ihr Angebot und desto größer der Gewinn für die Gemeinschaft.
Dass zum Beispiel ein Sicherheitsmann in einer öffentlichen Neuköllner Bibliothek Jugendliche bei jedem Mucks regelmäßig herauswarf, zeigt ein Problem dieser mehrfach genutzten Räume.
Die Effekte von Bibliotheken lassen sich also nicht nur in Lesekompetenztests messen. Angesichts der Pisa-Ergebnisse sollte die Leseförderung jedoch eine vordringliche Aufgabe sein. Selbst Schweden will deshalb ab Juli 2025 alle Schulen mit durch Personal besetzten Bibliotheken ausstatten.
In Zeiten, in denen die meisten Grundschüler*innen mit Smartphones ausgestattet sind, verändert sich die Leseförderung rasant. Die Aufmerksamkeitsspanne hat sich bei Kindern und Jugendlichen im letzten Jahrzehnt mehr als halbiert. Zudem verlieren Bücher in Konkurrenz zu Streamingdiensten und Gaming mehr und mehr an Boden in der Freizeitbeschäftigung. Selbst in bildungsbürgerlichen Haushalten werden Kinder zu funktionalen Analphabet*innen, weil Freizeitangebote jenseits des Lesens deutlich attraktiver scheinen. Bildungserfolg wird in diesem sich verengenden Möglichkeitsfenster noch stärker vom Bildungsstatus der Eltern abhängig. Ein immer größerer Teil der Heranwachsenden entwickelt keine ausreichenden Lesekompetenzen.
Eine traurige Entwicklung, auf die moderne Bibliotheken zu reagieren in der Lage sind. Denn auch Verlage reagieren auf die schwindenden Konzentrations- und Lesefähigkeiten mit reich bebilderten und locker gesetzten Lesebüchern, Comics, Lese- und Lernapps, Erzählbilderkarten und Hörstiften. Kinderbuch- und Erstleseklassiker aus den achtziger Jahren dagegen, die sich oft im Bestand Berliner Grundschulen als Klassensätze finden, wollen nicht einmal mehr Lehrkräfte lesen. Tablets erfreuen sich dagegen großer Beliebtheit. Für einen sinnvollen pädagogischen Umgang mit den Geräten bräuchte es neben einer Zugangsoffenheit dieser aber vor allen medienpädagogisch gebildetes Personal.
Bibliotheken brauchen Personal
Schulbibliotheken könnten solches Personal haben, aber kaum ein Siebtel der Berliner Schulbibliotheken hat überhaupt Angestellte. Diese werden meist über das Bonusprogramm oder das Jobcenter finanziert, sind oft Honorarstellen oder manchmal werden Lehrkräfte mit wenigen Ermäßigungsstunden dafür freigestellt. Da finanzielle Sondermittel meist befristet sind, sind es die Arbeitsverträge der in Schulbibliotheken Angestellten ebenso. Ein Großteil der Arbeiten bleibt an engagierten Lehrkräften und Erzieher*innen, an Lebenskunde- und Religionslehrkräften und, in sozialstrukturstärkeren Bezirken, an den Eltern hängen.
Medienpädagogische Angebote erreichen ohne Angestellte nicht das Niveau, das dem positiven Effekt einer fachlich betreuten Bibliothek annähernd gleichkommt. Da Schulbibliotheken nachweislich die Lesefähigkeiten der Kinder erhöhen, sind Schulen ohne betreute oder ganz ohne Bibliothek ein messbarer Nachteil für die Schüler*innen.
Orte für den Ganztag
Nicht zuletzt könnten Schulbibliotheken ein wichtiger Baustein im Ganztag werden. Als non-formale, kindgerechte Bildungsangebote eignen sie sich ideal für die Freizeitbetreuung. Die Stiftung Lesen finanziert mit den »Leseclubs« ein solches Angebot und auch »Save the children« fördert mit dem Programm »Leseoasen« Räume für Buchkultur, die auf freiwilliger Teilhabe beruhen. Die Startchancenschulen könnten Bibliotheksmitarbeiter*innen im Rahmen der Förderung für multiprofessionelle Teams anstellen. Der Großteil der Berliner Schulen aber wird darum kämpfen müssen, dass der Staat sich seiner vordringlichsten Aufgabe besinnt, Kinderrechte wahrnimmt und die Gelder zum Erreichen einer gebildeten Bevölkerung zur Verfügung stellt.
Die Arbeitsgemeinschaft Schulbibliotheken Berlin-Brandenburg e.V. setzt sich für Belange von Schulbibliotheken ein. Viele Infos, Fakten und Zahlen zu Berliner Schulbibliotheken findet ihr auf www.agsbb.de