Tendenzen
Ein »fliegender Professor« im Dienst der Volksschulbildung
Adolf Reichwein wurde vor 80 Jahren vom NS-Regime hingerichtet. Sein Leben war geprägt von pädagogischem Engagement und politischem Widerstand.
Nur vier Tage vor seiner Verurteilung ließ der inhaftierte Adolf Reichwein seine Gedanken um sein Leben kreisen. Aufmunternd schrieb er an seine Frau Rosemarie: »wie reich und schön diese Zeiten für mich gewesen sind. Das Schwere, etwa des vorigen Krieges, tritt ganz dahinter zurück. Um so stärker strahlt die ländlich gesunde ungebundene Jugend, … die glückliche Studentenzeit in Frankfurt und Marburg mit neuen unzertrennlichen Freundschaften, dann das mit Begeisterung erfüllte Berufsleben in der Volksbildung, die seltenen Lebensgeschenke meiner Reisen in Europa, Amerika, Ostasien, die vier Jahre Fliegen und die Welt aus der Vogelperspektive, dazwischen die wissenschaftlichen Arbeiten … und schließlich das Schöne und Reichste: die 12 Jahre mit Dir und den Kindern. Wieviel Anlass dankbar zu sein.«
Soldat, Student, Lehrgangsleiter
Adolf Reichwein wurde 1898 in Bad Ems als Sohn eines Lehrers geboren. Noch vor dem Schulabschluss meldete er sich begeistert als Kriegsfreiwilliger, kam ab Frühjahr 1917 zum Einsatz und wurde im Dezember schwer verwundet. Im Lazarett in Frankfurt/Main entwickelte er seine spätere pazifistische Haltung.
Er absolvierte mehrere Semester an der Frankfurter Philosophischen Fakultät und schloss 1923 seine Promotion ab. Im Anschluss war er leitend an der Volkshochschule in Thüringen und im Volkshochschulheim »Am Beutenberg« in Jena tätig.
Der erste Heimlehrgang wurde mit einer Englandfahrt abgeschlossen.
1927 ging er auf eine viermonatige Forschungsreise. Er durchquerte Nordamerika, Japan, China, die Philippinen, kehrte über Mexiko wieder nach Jena zurück und organisierte für den zweiten Lehrgang eine Fahrt durch Nordeuropa.
1929 wurde er Referent im Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung und zog nach Berlin. Doch ein Jahr später bekam er eine feste Anstellung als Professor für Geschichte und Staatsbürgerkunde an der Pädagogischen Akademie in Halle/Saale. Er wurde Mitglied der SPD, verstand sich jedoch als religiöser Sozialist. Liebevoll nannten ihn seine Studentinnen und Studenten den »fliegenden Professor«. Denn er war ein leidenschaftlicher Pilot und begeisterte sie damit, aber vor allem durch seine persönlichen Diskussionsrunden.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten erfolgte seine sofortige Beurlaubung. Sein geliebtes Flugzeug verkaufte er, da er nicht gewillt war, ein Hakenkreuz an der Maschine anzubringen.
Leben und Wirken im Widerstand
Im Oktober 1933 begann seine Volksschullehrertätigkeit an der Dorfschule in Tiefensee bei Berlin. Hier entwickelte er viele seiner reformpädagogischen Ideen weiter. Dazu verfasste er zahlreiche Schriften.
1939, inzwischen als Lehrer erneut beurlaubt, erhielt er eine Anstellung in der Abteilung »Schule und Museum« beim staatlichen Museum für deutsche Volkskunde in Berlin.
Während der schweren Bombenangriffe auf Berlin 1943 wurde die Wohnung der sechsköpfigen Familie Reichwein zerstört. Es erfolgte eine Übersiedlung nach Schlesien. Hier intensivierte er die Kontakte zur Widerstandsgruppe des Kreisauer Kreises.
Er galt als Bildungsexperte und sollte Kultusminister einer neuen Regierung nach dem Umsturz werden. Auf dem Wege zu einem konspirativen Treffen mit Mitgliedern des kommunistischen Widerstandes wurde er am 4. Juli 1944 auf dem S-Bahnhof Heerstraße verhaftet, am 20. Oktober vom Volksgerichtshof wegen Landesverrats verurteilt und am gleichen Tag in Berlin-Plötzensee hingerichtet.
In seinem Abschiedsbrief an seine Frau schreibt er: »… Ich scheide ruhig, weil ich die Kinder in Deiner Hut weiß. … Die Kinder, in eine Zukunft hineinwachsend, seien Dir Trost und später Freude. Dir mein ganzes Herz!«
Wanderausstellung der Adolf-Reichwein-Schule
Weitere Schicksale auf der Webseite der AG Verfolgte Lehrkräfte