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SenioRita

Ein Kampf gegen Windmühlen

Manfred Triebe ist in Sachen Arbeitsschutz und Arbeitslehre unterwegs.

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Foto: GEW BERLIN

Manfred, die gegenwärtige Diskussion um die Lüftung von Klassenzimmern muss dir sehr bekannt vorgekommen sein: Ich habe hier einen blz-Artikel von dir vom Januar 2005, wo du über eine Untersuchung berichtest, bei der man Klassenräume mit erschreckend schlechten Luftverhältnissen gefunden hat.

Triebe: Damals kam als Reaktion lediglich ein ominöses Rundschreiben, mit dem die Schulen aufgefordert wurden, doch endlich mal die Klassenräume zu lüften. Die Anordnungen waren allerdings so lächerlich, dass das Rundschreiben mehr Spott als Berücksichtigung fand. Statt vernünftige Strukturen zu schaffen, indem man beispielsweise mit den Kollegien ein Lüftungskonzept abspricht, wie und in welchen Zeiträumen gelüftet werden soll, wurde nur heiße Luft abgelassen.

Geändert hat sich also nichts?

Triebe: Genau. Jetzt wird zwar wegen Corona über die Anschaffung von CO2-Meldern geredet, aber einerseits soll nicht jeder Klassenraum damit bestückt werden, sondern die sollen rumgereicht werden. Andererseits fragt sich, ob nicht in der Corona-Situation der Einbau von Filtern sinnvoller und effektiver wäre. Aber das ist wiederum sehr viel teurer. Ohnehin ist es ein bisschen ähnlich wie damals mit dem Rundschreiben, da wird Aktivität vorgetäuscht, ohne tatsächlich auch mal ein bisschen Geld in die Hand zu nehmen. Bis heute gibt es ja noch nicht einmal ein allgemeines und anerkanntes Lüftungskonzept. Da macht jede und jeder, was einem gerade einfällt. Wenn sich überhaupt die Fenster öffnen lassen, was ja auch nicht überall der Fall ist.

Man sieht, obwohl du schon einige Zeit pensioniert bist, bist du immer noch voll engagiert. Dein Schwerpunkt bei der Personalratsarbeit war der Arbeits- und Gesundheitsschutz. Wie siehst du da die Entwicklung?

Triebe: Ich habe den Eindruck, dass sich alles eher rückentwickelt hat. Dass es zum Beispiel kaum noch vernünftige Gefährdungsbeurteilungen gibt, man die Kolleg*innen also mehr oder weniger sich selbst überlässt, statt vorbeugende Maßnahmen einzuleiten. Dieter, du hast ja selbst gesagt, dass die Schulleitungen gerade in Corona-Zeiten mit den Gefährdungsanalysen neben den vielen weiteren Anforderungen völlig überfordert sind, und deswegen auch nichts passiert. Da wird einfach eine Checkliste rumgeschickt, die als Grundlage für die Gefährdungsbeurteilung dienen soll. Gefährdungen im psychischen Bereich (Lärm, Umgang mit schwierigen Schüler*innen, große Klassen) kann man aber nicht mit Checklisten erfassen. Hier wurden im günstigsten Falle Gefahren benannt, aber keine Maßnahmen dagegen.

Wie hat die GEW darauf reagiert?

Triebe: Die letzte Presseerklärung der Berliner GEW zu diesem Thema hat die kritischen Punkte alle gut benannt. Und das, obwohl das Thema in der GEW wegen personeller Schwierigkeiten in letzter Zeit stark vernachlässigt wird. Übrigens stärker noch auf der Bundesebene, wo es keine Gruppe mehr für diesen Bereich gibt. Aber vielleicht ändert sich das ja, wo jetzt ziemlich drastisch die Bedeutung des Gesundheitsschutzes vorgeführt wird.

Gut, die Hoffnung behalten wir und kommen zu einem anderen Schwerpunkt von dir: Arbeitslehre. Das Fach wurde ja Ende der 60er Jahre in Berlin eingeführt. Wenn ich das richtig sehe, warst du, Manfred, fast von Anfang an dabei! Erzähl mal.

Triebe: Damals gab es ja im Vorfeld noch die drei Fächer Hauswirtschaft, Textiles Gestalten und Werken, die dann fusioniert wurden zum Fach Arbeitslehre. Ich bin an der Pädagogischen Hochschule (PH) ausgebildet worden und habe 1973 dort das Examen gemacht. Als ich dann an die Poelchau-Schule kam, war die in puncto Arbeitslehre eine Vorzeige-Schule. Wir hatten wirklich eine erstklassige Ausstattung mit Räumen und Geräten und sie hatten dort einen Modellversuch, wo es vier Stunden Arbeitslehre im Pflichtbereich für alle gab und außerdem voll geteilt. Wir hatten also, insbesondere im Vergleich zu heute, enorm viel Zeit für die Werkstatt-Arbeit. Also für praktische Arbeiten in der Lehrküche, für Textilarbeiten, Kunststoffbearbeitung, Siebdruck – und auch Arbeit mit dem Computer. Ja, die hatten wir damals schon!

Das war dann aber wohl irgendwann zu Ende, dieses Paradies.

Triebe: Ja, leider. Als der Modellversuch ausgelaufen war, wurden die Stunden ziemlich gekürzt. Erst auf drei und dann schließlich auf zwei Stunden und auf eine Zweidrittel-Teilung, was natürlich alles organisatorisch schwierig machte. Aber es war immer noch besser als an den Bildungszentren, die im Pflichtbereich nur theoretischen Unterricht hatten und zudem in voller Klassenstärke. Werkstattunterricht gab es nur im Wahlpflichtbereich. Für alle Schüler*innen gab es dort immerhin einen richtigen Schreibmaschinenkurs mit einem Klassensatz Schreibmaschinen, wo man lernte, mit zehn Fingern blind zu schreiben. Das fehlte bei uns.

Wie war denn damals überhaupt das Fach Arbeitslehre in der Berliner Schule vertreten?

Triebe: Sehr viel stärker! An den damaligen Hauptschulen gab es acht Stunden Arbeitslehre, davon sechs Stunden geteilt und zwei ungeteilt, später dann vier geteilte und zwei ungeteilte Stunden. In den ungeteilten Stunden wurde Berufsorientierung gemacht. An der Poelchau-Schule haben wir dagegen versucht, Berufsorientierung und Werkstattarbeit zusammen zu machen, damit man die Berufe nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch kennenlernen konnte über die Produkte, die man hergestellt hat. Und wir sind rausgegangen in Firmen, um zu sehen, wie die ihre Produkte herstellen.

Und wie war das an den anderen Schulen?

Triebe: Die haben stärker theoretischen Unterricht gemacht, obwohl zum Beispiel die Werkstätten an den Gesamtschulen exzellent waren, übrigens immer noch sind. Aber den Werkstattunterricht gibt es dort nur im Wahlpflichtbereich, also nicht für alle Schüler. Interessant war auch, dass die Veränderung der Schülerschaft bei uns in der Arbeitslehre-Küche sehr spürbar wurde. Das vorher überall präsente Schweinefleisch wurde zum Problem: keinen Falschen Hasen mehr, keine Gelatine! Und es gab durch die multikulturelle Schülerschaft auch neue Anregungen für andere Zutaten und Gerichte. Wobei wir auch noch mitbekamen, dass offenbar in den Familien nichtdeutscher Herkunft noch gekocht wurde, damals jedenfalls, während das bei vielen anderen Familien oft nicht der Fall war.

2010 wurde dann, unter Zöllner, glaube ich, aus Arbeitslehre das Fach WAT, also Wirtschaft Arbeit Technik. War das nur eine Namensänderung?

Triebe: Bei den Schulen, also vor allem den ehemaligen Gesamtschulen, die vorher eine gute Werkstattausstattung hatten, hat sich nicht so viel geändert. Der neue Name hat allerdings das Integrative der Arbeitslehre konterkariert. Die neuen, aus Haupt- und Realschulen fusionierten Schulen hatten das Problem, an Geld, aber auch an Räume zu kommen, um eine ähnliche Ausstattung zu erreichen. Schlimm ist allerdings, dass die Möglichkeit eröffnet wurde, die Stundentafel für WAT in Klasse 9 auf eine Stunde und in Klasse 10 auf null Stunden zu kürzen. Und keine*r weiß oder will wissen, an wieviel Schulen die ursprünglich vorgesehenen zwei Stunden in den Klassen 9 und 10 überhaupt noch praktiziert werden. Nachdem Schulsenator Kleemann nach der Wende das Fach Werken in der Grundschule gestrichen und auch die Werkstätten dort abgeschafft hat, ist nun mit dem Wechsel von Arbeitslehre zu WAT und erst recht noch mit Kürzung der Stundentafel der Schulunterricht immer mehr verkopft worden.

Es gab doch auch mal das Lehrkräftepraktikum am Arbeitsplatz. Was war das denn?

Triebe: Das war eine tolle Einrichtung, die leider damals gleich mit abgeschafft wurde: 12 Lehrkräfte konnten ein halbes Jahr lang in Betriebe gehen bei voller Fortzahlung der Bezüge, aber ohne Ferien. Ich war durch dieses Programm ein halbes Jahr bei Daimler Benz, andere bei BMW, bei Gillette, AEG, bei Siemens sowie anderen Betrieben.

Und was ist mit den Schülerfirmen?

Triebe: Na, die gibt es glücklicherweise immer noch. Anfangs war das ja eher eine Idee der Förderschulen, die nicht mehr wussten, wie sie ihre Schüler*innen motivieren sollten. Da haben am Anfang  neunzig Prozent vor allem »Schrippen« geschmiert, also Catering gemacht. Inzwischen ist das Spektrum von Schülerfirmen sehr breit. Die Paul-Löbe-Schule in Reinickendorf hat beispielsweise Schülerfirmen, die drucken oder Ski reparieren und warten, Fahrräder reparieren und vieles mehr. Ich glaube, die haben zwölf Schülerfirmen. Das sind richtig handfeste Sachen, die dem Arbeitslehre-Gedanken sehr nahe kommen und viel für die Berufswahl leisten.

Du bist noch gut vernetzt in der Arbeitslehre-Szene in Berlin. Wie sieht es eigentlich an der TU aus, die ja die Lehrkräfte für das Fach ausbildet?

Triebe: Das macht das IBBA, das Institut für Berufliche Bildung und Arbeitslehre. Die haben hervorragende Werkstätten, vorbildlich. Da kann ein Kleinbetrieb schon manchmal neidisch werden. Aber das IBBA ist eigentlich zu klein. Die haben genug Studierende, aber zu wenig Plätze. Auch wieder so eine verschlafene Entwicklung, denn es fehlen einfach die Mittel, obwohl ja absehbar war, dass man auch in diesem Fach mehr Lehrkräfte braucht. Jetzt hat man immerhin einige Finanzen locker gemacht, damit dort Quereinsteigende, die ein weiteres Fach brauchen, studieren können.

Manfred, du bist nicht nur bildungspolitisch aktiv, sondern auch radaktiv und bietest im Rahmen der GEW Radtouren an. Und das nicht nur im hohen Alter, sondern obwohl du durch ein Rückenproblem gehandicapt bist. Wie machst du das? Und was hast du eigentlich?

Triebe: Ich hatte Bandscheibenvorfälle, was sich dann durch eine Operation zur Versteifung der Lendenwirbel leider noch verschlimmert hat, statt sich zu verbessern. Jetzt ist inzwischen durch eine zweite Operation mein Rücken noch einmal fast komplett versteift worden, jetzt geht es. Aber wegen dieser Rückensache habe ich mir eben ein Liegedreirad angeschafft, das sich sehr bewährt hat. Darüber hinaus werde ich inzwischen von Rainer Witzel und Hiddo Hidden unterstützt.

Kein E-Bike?

Triebe: Doch, inzwischen habe ich daraus ein E-Bike gemacht und bin eigentlich sehr zufrieden. Jetzt düse ich immer mit einer Geschwindigkeit von 20 km/h durch die Gegend. Bei meinen Radtouren passe ich mich natürlich an die Gruppe an! Aber ich kann eben auch anders.

Manfred, das ist ein guter Schluss. Viele schöne Radtouren und vor allem besseres Wetter dabei als heute, denn draußen ist es ungemütlich nass!      

Manfred Triebe ist Jahrgang 1942 und hat in seiner Schulzeit an der Weddinger Ranke-Schule auch Lotte Eifert kennengelernt (siehe bbz 12/2019): »Ich hatte nie Unterricht bei ihr, aber sie hat mich als Klassensprecher beeindruckt, weil wir bei ihr eine Schulordnung erarbeitet haben, bei der Schüler*innen ein echtes Mitspracherecht hatten«, erinnert er sich. Manfred ist bis heute in der Bezirksleitung der Charlottenburger GEW aktiv und war dort auch lange im Personalrat. Für die GEW BERLIN war er danach im Gesamtpersonalrat und in der AG Gesundheitsschutz. Mindestens ebenso lange ist er im Vorstand der Gesellschaft für Arbeitslehre Berlin, die eine Untergliederung der bundesweit organisierten GATWU (Gesellschaft für Arbeit, Technik, Wirtschaft im Unterricht) ist. Auf Bundesebene war er in der GEW Arbeitsgruppe Gesundheitsschutz aktiv. Seit 2008 ist er im Ruhestand.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
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