Sprachakrobat*innen
Ein langer und steiniger Weg
Herkunftssprachen sollen künftig besser gefördert werden. Auch die kurdische Sprache könnte als abiturrelevante Fremdsprache an Berliner Schulen Eingang finden.
Die ersten offiziellen Gespräche zwischen kurdischen Initiativen und dem zuständigen Senat liegen schon über drei Jahrzehnte zurück. Der Grund, weshalb das Kurdische es bisher nicht leicht hatte, liegt aber schon über 50 Jahre zurück.
In den 1960er Jahren kamen viele Menschen aus der Türkei als Gastarbeiter*innen nach Deutschland. In diesen Jahren war vor allem die Migration aus den kurdischen Gebieten sehr stark. Gründe dafür waren neben den zahlreichen großen Erdbeben in den kurdischen Regionen auch der wachsende Druck auf die kurdische Bevölkerung seitens der türkischen Regierung. Nach den Erdbeben haben die türkischen Behörden bevorzugt Kurd*innen zur Ausreise nach Deutschland ermuntert, anstatt ihre Dörfer in Kurdistan neu aufzubauen.
Die Pflege der Muttersprachen war schon damals ein wichtiges bildungspolitisches Thema. Schließlich wurde der Konsulatsunterricht eingeführt, der über die Botschaft der Türkei finanziert wurde, damit die Kinder bei ihrer Rückkehr ins Herkunftsland die Integration in die dortigen Schulen leichter haben. Jedoch sind viele Menschen in Deutschland geblieben. Die kurdischen Kinder hatten leider in Deutschland sowie in der Türkei nicht die Möglichkeit, in ihrer Muttersprache unterrichtet zu werden. So kam es sogar dazu, dass viele kurdische Kinder, die in Deutschland eingeschult wurden, neben der deutschen Sprache eine andere fremde Sprache lernen sollten, nämlich Türkisch.
Eine frühe Initiative
Dies sollte nicht so bleiben. Deshalb hat sich 1981 eine Arbeitsgemeinschaft aus kurdischen Pädagog*innen und Eltern innerhalb der GEW BERLIN gegründet. Im Juli 1984 veranstaltete die AG in München unter dem Dach der GEW zwei Seminare zur Organisation des muttersprachlichen Unterrichts.
Die ersten offiziellen Gespräche zur Einführung eines Kurdisch-Unterrichts wurden 1986 mit der damals zuständigen Senatorin Laurien geführt. Wir haben uns mit der Bitte an sie gewandt, die Möglichkeit zu prüfen, für kurdische Kinder einen muttersprachlichen Unterricht anbieten zu können. Der Senat verwies lediglich darauf, dass die Kurd*innen über keinen eigenen Staat verfügen und somit kein Recht auf die Förderung der Muttersprache in den Schulen haben. Auf den Fakt, dass es bei unserer Anfrage nicht um die Amtssprache sondern um die Muttersprache ging, wurde in der schriftlichen Antwort nicht eingegangen.
Im selben Jahr erhob erstmal auch die GEW die Forderung nach Einführung des Kurdisch-Unterrichts. 1988 hat die Fraktion der Grünen im Abgeordnetenhaus einen Antrag zur Einführung von Kurdisch-Unterricht an Berliner Schulen eingereicht. Anschließend folgte ein ähnlicher Antrag der damaligen PDS. Als Antwort auf diese parlamentarischen Initiativen wurde eine Prüfung des Anliegens gemeinsam mit anderen Bundesländern durchgeführt. Der DGB und die Kirchen haben im Jahre 1990 ebenfalls unser Anliegen unterstützt. So kam es zu einer engen Zusammenarbeit mit der Evangelischen Akademie in Mühlheim, die uns sehr bereichert hat. Im selben Jahr war es endlich so weit: Erstmals wurde eine Kurdisch-AG in einer Berliner Grund- und in einer Gesamtschule eingeführt. Drei Jahre später wurden auch an Bremer Schulen Kurdisch-AGs eingeführt.
Für eine bessere Koordinierung des Kurdisch--Unterrichts und anderer Anliegen der kurdischen Familien in Berlin haben wir 1993 den kurdischen Elternverein YEKMAL gegründet. Leider wurde die Arbeit unseres Vereins durch die türkische Auslandsvertretung sehr erschwert. Sie übten Druck auf die Familien der Kinder aus, die an den Kurdisch-AGs teilnahmen. So zum Beispiel im türkischen Konsulat, wo den betroffenen Familien Probleme bei der Passbeantragung gemacht wurden. Schließlich führte es dazu, dass die Familien ihre Kinder von den AGs abmeldeten.
Der nächste Schritt ist nicht schwer
Nach über drei Jahrzehnten Erfahrung mit dem Thema Kurdisch-Unterricht und mit Blick auf die gesellschaftliche Entwicklung halten wir es immer noch für dringend nötig, uns aktiv für die Wertschätzung und Pflege der kurdischen Muttersprache in Berliner Schulen einzusetzen. Denn aktuell, das können wir sagen, hat sich in den letzten 30 Jahren in der Praxis nicht viel verändert. Nach wie vor gibt es allenfalls Kurdisch-Unterricht für Berliner Schulkinder in Form von Arbeitsgemeinschaften. Das bedeutet, dass der Unterricht ehrenamtlich durchgeführt werden muss, weil es vom Senat keine Förderung dafür gibt. Schulbücher und Materialien müssen von Yekmal oder den Eltern angeschafft werden.
In Bezug auf die neuen Überlegungen der Senatsverwaltung für Bildung, muttersprachlichen Unterricht in den Schulen einzuführen, wird nur von Türkisch und Arabisch ausgegangen. Die Wünsche von kurdischen Kindern und Eltern werden bisher nicht berücksichtigt.
Doch nach wie vor gibt es sehr viele Nachfragen von Kindern, Eltern und Schulen. Mittlerweile sind Unterrichtsmaterialien vorhanden und auch die Gewinnung von fachlich befähigtem Lehrpersonal ist vorangekommen. Wir als gemeinnütziger Verein bieten diesen muttersprachlichen Unterricht derzeit in einer Grundschule im Wedding als sogenannter »dritter« nichtstaatlicher Anbieter an.
Von diesen inhaltlichen und pädagogischen Erfahrungen ausgehend, schätzen wir es fachlich so ein, dass die Phase eines Schulversuchs übersprungen werden kann. Es konnten schon genug Erfahrungen gesammelt und auch in ausreichendem Maße fachliche Kompetenzen erlangt werden. Überall dort wo der Bedarf an Grundschulen existiert, kann der entsprechende Unterricht angeboten werden.
Vorteile gelingender Mehrsprachigkeit – »doppelte Halbsprachigkeit« Günstig wirkt sich für mehrsprachig aufwachsende Kinder nach wie vor die Regel aus: Eine Bezugsperson – eine Sprache. Nachteilig sind schlechte Sprachmodelle mit restringiertem Sprachcode. Bilinguale Kinder genießen bei guten Spracherwerbsbedingungen große Vorteile: Sie lernen früher zu abstrahieren, haben insgesamt ein größeres mentales Lexikon, eine schärfere Sprachbewusstheit, eine sensiblere interkulturelle Kompetenz und bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt als Monolinguale. Unter Linguisten ist umstritten, ob Mehrsprachigkeit kognitive Vorteile mit sich bringt und der (meist stigmatisierende) Begriff »doppelte Halbsprachigkeit« greift, denn ein völlig ausgewogenes Sprachniveau zwischen beiden Sprachen (balanced bilingualism) gibt es äußerst selten. Normalerweise ist eine Sprache etwas stärker als die andere, was sich im Laufe des Lebens verkehren kann.