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Schule zusammen weiterentwickeln

Ein Ort zum Wohlfühlen

Die Berliner Schule braucht eine gemeinsame Vision, sonst bleiben auch Qualitätsoffensiven im Ankündigungsmodus stecken

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Foto: Bertolt Prächt

Was macht eine gute Schule eigentlich aus? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. In der Regel können Praktiker*innen, Schüler*innen und Eltern aber recht konkret benennen, was für sie gute Schule bedeutet. Eine gute Schule ist ein Ort, an dem sich Schüler*innen, das gesamte Schulpersonal sowie Eltern wohlfühlen. Schüler*innen werden in ihrer Individualität wahrgenommen und bestärkt, sie erhalten eine bestmögliche und vielfältige Förderung und Unterstützung. Formelles und *informelles Lernen werden verknüpft. Die Schule wirkt ausgleichend in Bezug auf die verschiedenen Voraussetzungen, mit denen die Schüler*innen in die Schule kommen. Vielfalt wird positiv bewertet und anerkannt. Demokratische Mitbestimmung wird auf allen Ebenen und in allen schulischen Gremien gelebt. Alle gehen respektvoll miteinander um. In Konfliktsituationen wird konstruktiv-behutsam vorgegangen. Die Lehrkräfte, sozialpädagogische Fachkräfte sowie das weitere Schulpersonal arbeiten gleichberechtigt zusammen und erfahren Wertschätzung durch die Schulleitung. Die Schulleitung trägt eine angemessene Fürsorge für die Beschäftigten, erkennt Überlastungen und ergreift Maßnahmen zum Gesundheitsschutz. Für die Pädagog*innen gibt es Arbeitsplätze mit Ablagemöglichkeiten an der Schule. Die Schule wird von allen als lernende Organisation angesehen und mitgestaltet. Das Schulgebäude ist anregend gestaltet und sauber. Kurzum: Die Schule ist ein angenehmer Ort, an dem viele Menschen zusammenkommen und gern arbeiten.

Empirie allein ist nicht die Lösung

Seit den ersten PISA-Untersuchungen im Jahr 2000 wird in Deutschland sehr viel über schulische Daten gesprochen, es werden viele Daten erhoben und Vergleichsarbeiten geschrieben. In den Bildungswissenschaften wird deshalb von einer empirischen Wende gesprochen. Aber lässt sich Schulqualität eigentlich messen? Was lässt sich wie messen? Welchen Stellenwert sollten Schuldaten für die praktische pädagogische Arbeit haben?

Um die Qualität von einzelnen Schulen zu erheben, gibt es seitens der Senatsbildungsverwaltung bereits seit Längerem einige Instrumente. So sind die Schulen alle drei Jahre zur Selbstevaluation verpflichtet. Alle fünf bis sechs Jahre findet die Schulinspektion statt und soll mit professioneller Außensicht die Schulprogrammarbeit unterstützen. Viele der oben genannten Aspekte werden bei der Schulinspektion mit betrachtet. Aber das scheint der Senatorin Sandra Scheeres nicht zu reichen. Mit dem »neuen« Qualitätspaket von März 2019 wurden weitere Maßnahmen eingeführt. Eine der neuen Maßnahmen sind die Schulverträge. Die Schulleitungen sollen mit der Schulaufsicht nun jährlich Verträge abschließen, damit sich die Ergebnisse bei Vergleichsarbeiten, Abschlussprüfungen und Abbrecher*innenquoten verbessern. Dass Schulleitungen Extra-Verträge unterzeichnen sollen, mutet etwas absurd an, als wüssten sie und die Pädagog*innen nicht, dass die bestmögliche Förderung aller Schüler*innen ihre originäre Aufgabe wäre.

Die im Vertrag festgehaltenen Ziele sollen datenbasiert und abrechenbar sein. Natürlich können schulische Daten über bestimmte Aspekte Aufschluss geben. Unklar ist allerdings, wie eigentlich die Qualität inklusiver und informeller Bildung erhoben werden soll. Welche Daten brauchen inklusive Ganztagsschulen, um ihre Arbeit auszuwerten und »erfolgreich« weiterzuentwickeln? Ist hier vielleicht eine Grenze der Messbarkeit erreicht? Mit Blick auf Schulentwicklungsinstrumente, die auf praktischen Erfahrungen basieren, lässt sich sagen: Die Praxis guter Schule ist viel mehr als Daten erfassen können. Gute Beispiele dafür sind der Index für Inklusion und die Kriterien für den deutschen Schulpreis. Diese Ansätze sollten in der weiteren Arbeit zur Schulqualität auf jeden Fall eine wichtige Rolle spielen. Daten können nicht die alleinige Messlatte für gute Schule sein.

Schulentwicklung braucht Zeit

Die Verträge sollen in den Schulen partizipativ entwickelt werden. Das ist gut und richtig, denn Partizipation und gemeinsame Schulentwicklungsarbeit sind von großer Bedeutung für das Gelingen der Prozesse. In der Betrachtung der Senatsverwaltung fehlt leider die Anerkennung, dass Schulentwicklung auch sehr viel Zeit beansprucht. Zeitkontingente für die Schulentwicklungsarbeit sind bei den neuen Maßnahmen nicht vorgesehen. Aus den Kollegien heraus wird aber immer wieder geäußert, dass schlicht die Zeit fehlt, um die Anforderungen und Vorhaben qualitätsvoll umzusetzen und neue Ideen zu entwickeln. Die Schulen brauchen dringend zusätzliche Ressourcen und geeignete Unterstützungsmaßnahmen. Dies sollten die Kolleg*innen einfordern, damit es die Schulleitungen und die Vertreter*innen der regionalen Schulaufsicht bei Abschluss der Schulverträge im Blick haben.

Was passiert, wenn die Schulgemeinschaft nicht überall mit einbezogen wurde? Gehen die Schulaufsichten dem nach? Welchen Wert haben Verträge, die ohne die Beteiligung der schulischen Gremien zustande kommen? Hier braucht es Mechanismen, die die Beteiligung der Beschäftigten und der Schulgemeinschaft sicherstellen. Die bisherige Vorgabe ist viel zu vage.

Ungleiche Entwicklung der Schulen muss in den Blick

Die Schulverträge lenken den Fokus auf die Einzelschule. Ob und wie sich durch die neuen Maßnahmen eine positive Entwicklung an den Schulen abzeichnet, bleibt abzuwarten. Was den Qualitätsmaßnahmen gänzlich fehlt, ist eine Vision von guter Bildung für die ganze Stadt und von gerechten Chancen für alle Kinder und Jugendlichen. Strukturell betrachtet, erhöht sich der Konkurrenzdruck auf die Schulen immer mehr. Der Wettbewerb ist nicht zuletzt durch die Ausweitung der Schulautonomie bereits stark ausgeprägt. Die Berliner Schulen »kämpfen« um die Gunst der Schüler*innen und Eltern und brüsten sich, wenn möglich, mit ihren Anmeldezahlen. In diesem Setting gibt es unter den Schulen quasi Verliererinnen und Gewinnerinnen, was sich dann in den Erfolgsquoten, Notendurchschnitten oder Abbruchsquoten niederschlägt.

Bei der Zusammensetzung der Schüler*innen variieren die Schulen sehr. Auch zehn Jahre nach der Schulstrukturreform ist die Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der Herkunft groß. Kinder, die bereits zu Hause viele Bildungsanregungen erhalten, besuchen tendenziell Gymnasien oder Sekundarschulen mit Oberstufe, die hohe Abiturquoten und Abschlussnoten aufweisen. Überspitzt lässt sich sagen: An den einen Schulen ballen sich die sozialen Probleme, an anderen die Einser-Abiturient*innen. Die Zusammenhänge von sozialer Ungleichheit und Bildungserfolg wurden im Jahr 2017 von der Berlin-Studie, der wissenschaftlichen Begleitung der Schulstrukturreform, und zuletzt auch von der PISA--Studie erneut aufgezeigt. Das können wir so nicht hinnehmen.

Die Qualitätskommission hat sich auf die Fahnen geschrieben, neben vielen anderen Themen auch soziale Disparität zu behandeln. Professor Köller ist der Leiter der Kommission und auch Mitverfasser der Berlin-Studie. Inwiefern werden nun die Erkenntnisse zur ungleichen Entwicklung der Schulen für die Erarbeitung konkreter Umsetzungsvorschläge genutzt? Mit welchen Instrumenten möchte der Senat gegensteuern? Wie soll eine stadtweite Schulentwicklung angestoßen werden, die allen zugutekommt?

Unsere Vision ist Bildungsgerechtigkeit

Als Bildungsgewerkschaft haben wir hier einige Ideen. Um mehr Bildungsgerechtigkeit zu erzielen, wäre eine weitere Angleichung der Bildungswege sinnvoll. Dazu müssten an den Gymnasien die grundständigen Züge und das Probejahr abgeschafft und eine flexible Oberstufe eingeführt werden. Langfristig sollte das gemeinsame Lernen von Jahrgangsstufe 1 bis 10 mit anschließender dreijähriger Oberstufe eingeführt werden. Dabei müssten wir auch nicht bei null starten: Für das längere gemeinsame Lernen sind die Berliner Gemeinschaftsschulen ein gutes Vorbild und für die Gestaltung einer vielfältigen Oberstufe sind die Oberstufenzentren beispielhaft.

 

*Informelles Lernen findet in klassischer Definition außerhalb von schulischen Lernorten statt, formelles innerhalb der Institution.