bbz 06 / 2019
Ein Plädoyer für die Berufliche Bildung
Bei der Frage »Ausbildung oder Abitur?« entscheiden sich viele immer noch blind für Letzteres. Dabei sind falsche Entscheidungen für alle Betroffenen unerfreulich. Mehr Aufklärung über berufliche Wege ist dringend geboten
Beim Übergang von einer Bildungseinrichtung in die andere werden die Weichen für eine erfolgreiche Bildungsbiographie gestellt. Spannend ist die Frage nach der »Gleichwertigkeit« der verschiedenen Übergänge. Dem Abschluss der 10. Klasse kommt eine besondere Bedeutung zu, da sich hier zum ersten Mal die gesellschaftliche Spaltung in potentielle Akademiker*innen – mit Perspektive in der Gymnasialen Oberstufe und im Studium – und abgehängte »Loser*innen« – die eine Ausbildung machen »müssen« –zeigt. Das ist zumindest die Sichtweise eines zu großen Teils der Bevölkerung, insbesondere vieler Eltern. Wer es nicht auf das Gymnasium schafft, oder wenigstens in die Gymnasiale Oberstufe einer Integrierten Sekundarschule, hat die Chance zum Aufstieg verpasst und steht mit einem Bein bereits im Prekariat. Aber stimmt diese Sichtweise überhaupt? Die so oft postulierte und im Europäischen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen auch angelegte Gleichwertigkeit von Beruflicher und Akademischer Bildung wird hier von den Protagonist*innen nicht anerkannt.
Ausbildung, Arbeit, Abi – es gibt verschiedene Wege
Nach wie vor gilt das Abitur als erstrebenswertes Ziel insbesondere vieler Eltern und gerade auch derjenigen Familien, die selbst eine andere Art der Qualifikation erfahren haben. Schon der Gegensatz Abitur versus Ausbildung zeigt das Problem: Das Abitur beendet ja nicht die Qualifizierungsphase zur Beruflichkeit, sondern ist lediglich die Eingangsvoraussetzung für ein Studium. Die Belastbarkeit dieser Qualifikation wird inzwischen durchaus unterschiedlich gesehen. Abbruchquoten im Studium und Einschätzungen vieler Unis zeichnen ein düsteres Bild. Demgegenüber steht die Forderung »der Wirtschaft« nach praktisch qualifizierten (Fach-) Arbeitskräften, die die Hochschulen nicht liefern können, die Betriebe aber selbst auch nicht ausbilden wollen und erst recht oft nicht attraktiv entlohnen wollen.
Niemandem darf der Weg zur höchsten Qualifizierungsstufe vorenthalten werden, die Frage ist nur, welcher Zeitpunkt für diese Qualifizierung der Beste ist. Muss es wirklich im Rahmen der Allgemeinbildenden Schule das Abitur sein, oder ist ein Weg über Ausbildung, Arbeit und den zweiten Bildungsweg zum Abitur nicht womöglich für etliche Schüler*innen besser? Die Folgen von Fehlentscheidungen bei der Bildungswahl und der daraus folgenden Fehlallokation sind für alle Betroffenen unerfreulich. Noch kann man in der Bundesrepublik auch als Arbeiter*in, Angestellte*r, Betriebswirt*in oder Techniker*in eine Familie ernähren und ein erfülltes Leben führen. Gesellschaftlich gilt es eher für diesen Bereich die Perspektiven zu erhalten und zu verbessern.
Zu viele schlecht informierte Schüler*innen
Notwendig für eine belastbare Berufswahlentscheidung ist zunächst, dass den beteiligten Schüler*innen und Eltern die volle Breite der Möglichkeiten und Qualifizierungswege bekannt ist. Der zweite Aspekt, nämlich die Attraktivität des angestrebten Berufs im Hinblick auf Arbeitsbedingungen, Einkommen und Entwicklungsmöglichkeiten liegt in der Hand der Betriebe. Hier scheint jedoch der Markt langsam einen positiven Einfluss zu entwickeln. Aus der Not des Fachkräftemangels heraus steigt die Vergütung sowohl in der Ausbildung als auch im Beruf zumindest in den Mangelberufen langsam an.
Der wirksamste und damit wichtigste Bereich, die Berufs-und Studienorientierung in der Sekundarstufe I, ist aber leider auch nach vier Jahren noch nicht erfolgreich. Die Zahl der offensichtlich völlig unzureichend informierten Schüler-*innen ist nach wie vor viel zu hoch.
Obwohl mit der Verankerung der Integrierenden Berufsausbildungsvorbereitung (IBA) als Regelbildungsgang im Schulgesetz eine jahrelang erhobene Forderung der Berufsbildenden Schulen erfüllt wurde, soll niemand glauben, dass die Probleme des Übergangs aus Schule in Beruflichkeit damit gelöst wären.
Gerade in diesem Bereich betrifft es an etlichen Oberstufenzentren mehr als die Hälfte der Bewerber*innen, die an einer für sie falschen Schule gelandet sind, deren Übergang also nicht gut geklappt hat. Auch die Zahl der Ausbildungsabbrüche ist hier ein Indiz. Möglicherweise, weil die Berufs-und Studienorientierung zu oft an spezielle Teams in den Oberschulen »outgesourced« wird und die generelle Ausrichtung der Sekundarstufe I nach wie vor den Übergang in die Gymnasiale Oberstufe präferiert, was sich nicht zuletzt auch immer noch an der Zusammensetzung der Unterrichtsfächer, ihren Stundenanteilen und den Curricula zeigt. Mit dieser Grunddisposition wird der »Übergang« nach Klasse 10 in Ausbildung zum »Abgang« und damit zweitklassig und die eigentlich postulierte Gleichwertigkeit ad absurdum geführt.
Für die Sekundarstufe I bedeutet das, dass die Aufklärung über die möglichen Bildungswege inklusive der Perspektiven im Rahmen der Weiterbildung und des zweiten Bildungsweges als gleichwertige Qualifizierung einen höheren Stellenwert erhalten und zusammen mit der Beratung der Schüler*innen und auch der Eltern von allen unterrichtenden Lehrkräften als Kernaufgabe akzeptiert werden muss. Erst dann können Übergänge wirklich erfolgreich gestaltet werden.
Die Integrierende Berufsausbildungsvorbereitung (IBA) hat in erster Linie das Ziel, Schüler*innen beruflich zu orientieren und ihnen (gegebenenfalls auch ohne Abschluss) zu einer Ausbildung zu verhelfen. Sie richtet sich an Schüler*innen, die nach zehn Jahren Schulbesuch höchstens den Mittleren Schulabschluss (MSA) erreicht haben sowie an Geflüchtete mit einem B1 Sprachniveau.